"Nach Jamaika fährt für uns kein Schiff"

Wegen der Sonderdebatte des Bundestages verabredete sich die Spitzenkandidatin der Grünen, Renate Künast, mit unseren Berliner Korrespondenten Stefan Vetter und Hagen Strauß im Berliner Reichstag zum Gespräch über die Wahlchancen der Grünen und ihre eigenen ehrgeizigen Ambitionen, wieder an vorderster Front in der Politik mitzumischen.

Berlin. (vet/has) Frau Künast, mal angenommen, die Grünen könnten nach der Bundestagswahl mitregieren. Wollen Sie dann noch mal Verbraucherschutzministerin werden wie einst unter Rot-Grün?

Künast: Durchaus, aber ich trau' mir auch anderes zu, zum Beispiel Wirtschaft, zum Beispiel Inneres. Es gibt eine Menge zu tun in diesem Land.

Sind Sie eine Allzweckwaffe?

Künast: Ein Minister muss nicht in jedem kleinsten Detail drin stecken. Dafür hat er brillante Mitarbeiter im Hause. Ein Minister muss eine Vorstellung von der Zukunft seines Fachgebiets haben. Da kenne ich mich aus. Das habe ich schonmal gemacht.

2005 war Joschka Fischer noch das grüne Zugpferd. Jetzt teilen Sie sich mit Jürgen Trittin die Spitzenkandidatur. Braucht es mindestens zwei Grüne, um Fischer zu ersetzen?

Künast: Nein. Angesichts eines Fünf-Parteien-Systems wappnet uns das im besonderen Maße. Bei Sondierungsgesprächen nach der Wahl kann eine Zweierspitze sehr hilfreich sein. Wir bilden die Partei gemeinsam ab und erreichen damit Geschlossenheit für unsere Ziele. Das haben wir schon zu rot-grünen Regierungszeiten bewiesen.

Warum sind Sie so versessen aufs Regieren angesichts des riesigen Haushaltslochs, das die nächste Koalition erwartet?

Künast: Wem es in der Küche zu heiß ist, soll kein Koch werden. Ich denke, dass unser Land vor einer Richtungsentscheidung steht. Machen wir noch mehr Schulden auf Kosten der Jüngeren oder setzen wir auf einen Schub bei Umwelttechnologien, Gerechtigkeit und Bildung? Wir sind für letzteres.

Sind die Grünen auch für Steuererhöhungen, um all die schönen Dinge finanzieren zu können?

Künast: Wir sagen offen, dass auf große Vermögen eine befristete Zusatzabgabe erhoben werden soll, um damit gezielt alte Schulden abzutragen. Und wir sagen, dass der Spitzensteuersatz auch im Interesse notwendiger Investitionen angehoben werden muss.

Die Grünen versprechen auch eine Million neue Arbeitsplätze. Wie soll das gehen?

Künast: Hier stützen wir uns auf Analysen von Wirtschaftsforschern, die nicht im Verdacht stehen, Grün zu wählen. Daraus haben wir ein Konzept für vier Jahre gemacht, wie zum Beispiel allein im Energiebereich 400 000 neue Jobs entstehen können.

Aber klassische Branchen wie die Metall- oder chemische Industrie bleiben bei den Grünen auf der Strecke.

Künast: Irrtum. Dafür haben wir ebenfalls Ideen. Auch in der Metall-Industrie, um nur ein Beispiel zu nennen, ließe sich durch intelligente Prozess-Steuerung und Energienutzung mehr Gewinn erzielen.

Was wird aus dem deutschen Afghanistan-Einsatz, falls die Grünen mitregieren?

Künast: Wir brauchen klare Ziele, welche zivilen Bereiche wie und bis wann aufgebaut werden müssen. Das reicht von der Polizei über die Bildung bis zur Rechtsprechung. Der konkrete Plan und der Beginn seiner Umsetzung gehören zu den ersten Aufgaben des nächsten Bundestages.

Ihre Parteivorsitzende Claudia Roth bringt einen Abzug der Bundeswehr bis 2013 ins Spiel.

Künast: Da ist sie falsch interpretiert worden. Wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, der kann jetzt keine Jahreszahl für einen Abzug der Bundeswehr angeben. Das würde nur den Taliban in die Hände spielen. Machen wir doch erst mal einen Plan über die zu erreichenden Ziele. Wenn er erfüllt ist, kann die Bundeswehr abziehen.

Zur Durchsetzung ihrer politischen Vorstellungen fehlt den Grünen aber eine klare Machtoption. Warum verschließt sich Ihre Partei einem Jamaika-Bündnis?

Künast: Weil wir nicht sehen, dass wir mit drei neoliberalen Parteien - CDU, CSU und FDP - auf einen Nenner kommen würden. Die entfernen sich doch immer mehr von grünen Ideen, wenn ich nur an die geforderte Laufzeitenverlängerung für Atomkraftwerke oder die Absage an Mindestlöhne denke. Nach Jamaika fährt für uns kein Schiff.

Wirklich? Im Saarland könnte es demnächst in See stechen.

Künast: Warten wir doch erst einmal ab. Ich weise darauf hin, dass grüne Landesentscheidungen nicht identisch mit denen im Bund sein müssen. Die Landesverbände entscheiden für sich. Dass wir eine Präferenz für die SPD haben, ist kein Geheimnis. Deshalb freue ich mich auch, dass meine Partei im Saarland zuerst mit den Sozialdemokraten redet.

Warum so verdruckst? In Hamburg regiert Schwarz-Grün, in Bremen Rot-Grün. Damit ist Ihre Partei doch für alle Seiten offen geworden.

Künast: Nein, das ist falsch. Wir sind nur für Grün offen. Nur wo ökologische und soziale Modernisierung drin ist und für den Bund eine verlässliche Außenpolitik, - das sage ich ausdrücklich in Abgrenzung zur Linkspartei -, nur dann geht was mit den Grünen.

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