Folge 1: Mensch zwischen Natur und Kultur

Trier · Unsere neue Serie "Kulturgeschichte der Menschheit" beginnt mit einer Beschreibung der Zeit vor etwa 16 000 Jahren. Die Menschen zogen damals noch als Jäger und Sammler durch eine urtümliche Welt.

Diese historische Reise startet mit zwei Unsicherheiten. Erstens: wo anfangen? Vor zwei Millionen Jahren beim biologischen Scheidungsprozess zwischen Tier und ersten aufrecht gehenden Frühmenschen? Oder bei unserem direkten Vorfahren, dem entwickelten Homo sapiens, der nach dem Verschwinden der letzten Neandertaler vor 30 000 Jahren als einziger Vertreter der Spezies "Homo" übrig geblieben ist?
kulturgeschichte der menschheit


Wir haben uns für den Geschichtseinstieg beim entwickelten Homo sapiens entschieden. Für eine Zeit vor etwa 18 000 bis 15 000 Jahren, da unsere steinzeitlichen Ahnen noch immer in kleinen Gruppen oder Horden als Jäger und Sammler umherzogen und in Höhlen hausten. Für eine Zeit aber auch, in der sie schon Feuer entzünden und Werkzeuge herstellen konnten. In der sie zu Malereien fähig waren, die verblüffend genau die Natur wiedergeben; wovon die 1940 entdeckten Höhlengemälde im französischen Lascaux zeugen. Eine Zeit überdies, in der die Menschen schon eine Weile Musik machten, wie eine 2009 auf der Schwäbischen Alb gefundene, 35 000 Jahre alte Flöte aus dem Knochen eines Gänsegeiers belegt.

Evolutionäre Entwicklung:
´Die zweite Unsicherheit bei der Annäherung an die "graue Vorzeit" rührt daher, dass es noch immer recht wenig unverrückbares Wissen über die ganz frühen Epochen der Menschheitsentwicklung gibt. Wissenschaftlich völlig unstrittig ist zumindest, dass der Mensch nicht von einem Tag auf den anderen in die Welt trat. Er hat sich über Hunderttausende Jahre evolutionär entwickelt. In welchen Phasen, Verzweigungen, wo, wann und mit welchen Folgen genau die Entwicklung voranschritt, diese Forschungsarbeit befindet sich noch im Fluss.

Der Effekt der Naturgewalten:

Über die Menschen der mittleren Steinzeit, also in den letzten Jahrtausenden vor der Sesshaftwerdung um 10 000 vor Christus, wissen wir indes schon eine ganze Menge. Dennoch bleibt es schwer, von heute aus nachzuvollziehen, wie jene Menschen einst gedacht, empfunden, die Welt gesehen haben. Was mag einem angesichts von Sonne und Mond oder von Wolken, Regen, Blitz und Donner durch den Kopf gehen, wenn man über diese Phänomene bereits nachdenkt, aber so gar nichts weiß von deren wahrer Natur? Wie mag es einem ergehen angesichts von Krankheiten, über deren natürliche Ursache keine Vorstellung existiert? Wie, da einem die Endgültigkeit des Todes noch nicht bewusst ist oder der Zusammenhang zwischen Saat und Reife, zwischen Zeugung, Schwangerschaft und Geburt noch unklar?
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Geister wirken:

Zwar ist der frühe Mensch schon zu Verstand gekommen. Aber es bleibt ihm für noch sehr, sehr lange Zeit unvorstellbar, dass irgendetwas ohne Zutun steuernder Geister ganz von allein geschehen könnte. Bäume wachsen, Früchte reifen, Wolken ziehen, Wasser fließt, Menschen altern - heute wissen wir, dass die Ursache seelenlose physikalische, chemische, biologische Gesetze sind. Tiere fragen nicht, warum etwas ist, wie es ist. Sie reagieren bloß auf Umstände. Wenn das Futter knapp wird, ziehen sie weiter. Auch dem Menschen der Jäger- und Sammlerepoche bleibt nichts anderes übrig, denn er verfügt nur über das, was die Natur ihm gibt.

´Das animistische Weltbild:
Aber irgendwann beginnt er als einziges Lebewesen zu fragen: Warum ist etwas, wie es ist? Doch solange der Mensch die natürliche Beziehung zwischen Ursache und Wirkung nicht versteht, bleibt er gefangen im sogenannten animistischen Weltbild: Er kann als Ursache für Naturphänomene oder für das Wohl und Wehe seines Lebenslaufes nur unsichtbare Geister am Werk sehen. Steinzeitliche Menschen machten keinen Unterschied zwischen Natürlichem und Übernatürlichem, Realität und Traum, Tier, Pflanze und Stein. Die gesamte Welt galt ihnen als belebtes Ganzes und von Geistern erfüllt - seien es diejenigen der Verstorbenen, seien es göttliche Wesenheiten oder einfach die Seelen der Dinge selbst.

Die ältesten Schriftzeichen:
Aufschlussreiche Hinweise geben auch Beobachtungen bei heutigen Urwaldstämmen, die bis eben noch keine Berührung mit der Zivilisation hatten. Schriftliche Zeugnisse aus steinzeitlichen Epochen gibt es keine. Schrift ist eine ziemlich junge Kulturtechnik. Die ältesten gefundenen Schriftzeichen stammen aus dem vierten Jahrtausend vor Christus, sie sind damit rund 10 000 Jahre nach den Höhlenmalereien von Lascaux entstanden.

Ursprung der bildenden Kunst:
Die in Lascaux mit Farben auf den Fels aufgetragenen oder ins Gestein geritzten Bildnisse von Stieren, Wisenten und Raubkatzen gelten als die ältesten Formen bildender Kunst. Was die Frage nach der Funktion von Kunst in dieser Zeit aufwirft. Die meisten Bildnisse befinden sich nämlich nicht im vorderen Wohnteil der Lascaux-Höhle, sondern in tieferen Bereichen. So, als würde man heute seinen schönsten Raumschmuck in den Keller oder auf den Dachboden statt ins Wohnzimmer stellen. Kein Mensch tut das - es sei denn, er verfolgt damit einen anderen Zweck, als bloß seine Heimstatt zu schmücken. Jenen Höhlenmalereien wird heute zumeist ein für die steinzeitlichen Menschen sehr praktischer Zweck zugesprochen: Indem sie die Tiere möglichst lebensecht zeichneten, glaubten die Menschen, zugleich eine seelische Verbindung zu ihnen herzustellen.

Ein magischer Ritus:
Der bildnerische Bericht vom Jagderleben wurde zugleich zur Beschwörung für eine kommende gute Jagd. Kunst ist hier auch eine Art magischer Ritus, der helfen soll, die praktischen Herausforderungen des Lebens besser zu meistern: Indem der Jäger den Geistern der Jagdtiere künstlerisch Respekt erweist und sie so wohlgesinnt stimmen will. Es gibt noch andere Interpretationen der Höhlenbilder. Doch ist allen gemeinsam, dass sie für das Malen und jede andere Form kulturellen und künstlerischen Tuns jener Zeit von einer Verschmelzung alltäglicher Verrichtungen und Geisterbeschwörung ausgehen. Die moderne Trennung zwischen zweckfreier Kunst, Religion und wirtschaftlicher Nützlichkeit wäre nicht nur für unsere Vorfahren in der Steinzeit völlig unbegreiflich gewesen. Noch die Antike und das Mittelalter hoben nicht zuletzt auf den praktischen Wert der Künste ab: Sie dienten der Belehrung und sittlichen Prägung oder der Vermittlung religiöser Inhalte und der Verherrlichung Gottes sowie der Erhöhung weltlicher Herrschaft. Kunst um der Kunst willen oder bloß zum Vergnügen, zur Unterhaltung - dieses Konzept existiert erst seit wenigen Hundert Jahren.

Kulturlandschaften:
Wie überhaupt die gedankliche Zerteilung der Welt in Natur und Kultur historisch betrachtet ein recht junges Phänomen ist, das gerade in der Neuzeit zu manchem Missverständnis führte. Heißt das lateinische "cultura" wörtlich Ackerbau, so bedeutet es doch auch die Bearbeitung aller Natur durch den Menschen. Kultur meint ureigentlich also nicht nur die Werke der hohen Künste, sondern generell den gestaltenden Eingriff in die Natur. Insofern darf die frühzeitliche Steinaxt ebenso als Ausdruck von Kultur gelten wie der Speyerer Dom. Umgekehrt sind unsere heimischen Wälder, Flüsse, Äcker, Parks, Weinberge mit dem Begriff Natur falsch bezeichnet. Denn in Wahrheit handelt es sich um durch Menschenhand über zahllose Generationen geformte Kulturlandschaften.
Die nächste Folge: "Die Menschen werden sesshaft"
Die Höhle von Lascaux: Am 12. September 1940 entdeckten spielende Kinder im Tal der Vézère bei Montignac (Departement Dordogne im Südwesten Frankreichs) den Zugang zur Höhle von Lascaux. Die darin vorgefundenen Wandmalereien sind auf eine Zeit um 16 000 vor Christus datiert und zählen zu den ältesten Werken bildender Kunst in der Menschheitsgeschichte. 1948 wurde die Höhle der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, 1963 aber wieder geschlossen. Grund: Die Atemluft von mehr als 1000 Besuchern täglich zog die Bildnisse in Mitleidenschaft. Um dem großen Interesse der Allgemeinheit an den Kunstwerken aus der Jungsteinzeit gerecht zu werden, wurde in der Nachbarschaft eine Nachbildung der Höhle geschaffen und 1983 eröffnet. Das Original ist seit 1979 Unesco-Weltkulturerbe. Die Jagd: Frühgeschichtliche Jagd war mühsam und gefährlich. Die ersten Jagdwaffen waren Wurfhölzer, mit denen vor allem Vögel und kleinere Tiere bejagt wurden. Bereits vor 400 000 Jahren kamen auch einseitig angespitzte Wurfspeere zum Einsatz. Auf Pfeil und Bogen kam der Mensch erst vor knapp 30 000 Jahren. Etwa 16 000 Jahre vor unserer Zeit tauchten die ersten Speerschleudern auf, was den Wirkungsgrad verdoppelte. Der Text dieser Seite entstand auf Grundlage eines Vortrages, den Barbara Abigt, Geschäftsführerin der Marienberger Seminare, im Rahmen der Akademie gehalten hat. Die Textbearbeitung für die Zeitung machten Andrea Mertes und Andreas Pecht. Verantwortlich für den Inhalt: Marienberger Seminare e.V. Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit einem Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e.V. über Tel. 02661-6702 oder E-Mail: mail@marienberger-seminare.de Die TV-Serie "Kulturgeschichte der Menschheit" ist eine Kooperation der Marienberger Seminare mit mehreren Regionalzeitungen. Sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes.

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