Deutsche Parteien - vom Aussterben bedroht?

Der Mitgliederschwund der Parteien sei unaufhaltsam. Das sagt der Parteienforscher und Trierer Politikprofessor Uwe Jun. Im TV-Interview sagt er, warum den Gruppen der Unterbau immer mehr abhandenkommt.

 Uwe Jun.Foto: Archiv

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Was sind die Gründe für den Mitgliederschwund, der ja - bis auf die Grünen - alle Parteien betrifft?Jun: Vor allem der gesellschaftliche Wandel: Die jüngeren Leute treten kaum noch Parteien bei. Dadurch haben die Parteien ein riesiges Rekrutierungsproblem. Dann bleiben halt nur noch die Älteren übrig, die aus biologischen Gründen halt weniger werden. Das betrifft vor allem CDU und SPD, bei denen mehr als die Hälfte der Mitglieder über 60 Jahre alt sind.Das klingt nicht so, als könnten Sie den Parteien Hoffnung machen, dass der Mitgliederschwund noch zu stoppen ist?!Jun: Es spricht relativ wenig dafür, dass die Mitgliederpartei ein Comeback erleben wird. Die Nachfrage ist einfach zu gering. Parteien haben ein schlechtes "Standing" in der Gesellschaft. Ich wüsste nicht, wie sich das drehen und wenden sollte, damit der Parteieintritt wieder attraktiver wird.Haben die Parteien eine Mitschuld an diesem Abwärtstrend?Jun: Ja. Sie haben sich nicht besonders um ihre Mitglieder gekümmert. In den vergangenen 30, 40 Jahren sind Parteien sehr stark von der Partei-Elite bestimmte Organisationen, die den Mitgliedern auch relativ wenige Rechte einräumen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel will ja jetzt sogar Nicht-Mitgliedern mehr Rechte einräumen. Ob das trägt, ist die andere Frage.Was bedeutet das für die Parteien, wenn sie auf Dauer immer weniger Mitglieder haben?Jun: Politik wird immer stärker professionalisiert, die Partei-Elite dominiert das Geschehen, wird dabei unterstützt von externen Beratern. Gleichzeitig nimmt die gesellschaftliche Verankerung weiter ab.Das klingt nach weiterer Entfremdung der Politik von der Wählerschaft …Jun: Das Risiko besteht bei einer Professionalisierung immer. Allerdings stehen Aspekte wie Meinungsforschung schon dafür, dass die Parteiführungen wissen wollen, was die Menschen bewegt und wo sie der Schuh drückt. Gibt es Unterschiede zwischen der Entwicklung in Rheinland-Pfalz und dem Rest der Republik?Jun: Nein, Rheinland-Pfalz liegt immer ziemlich im Durchschnitt.Gilt das auch für die Grünen?Jun: Möglich, dass die Zahlen für die rheinland-pfälzischen Grünen überdurchschnittlich gut sind. Es ist derzeit en vogue, sich zu den Grünen zu bekennen. Ihre Positionen, etwa Atomenergie oder Ökologie, sind stark in der öffentlichen Diskussion. Sie treffen einfach den Nerv und die Themen der Zeit. Und sie geben sich das Image, mehr eine Bewegung denn eine Partei zu sein. Dieses Image wird aber im Laufe der Zeit verfliegen, wenn klarwird, dass auch die Grünen eine professionalisierte Partei geworden sind. Was bedeutet der Mitgliederschwund denn für die Finanzen der Parteien?Jun: Da sprechen Sie ein heikles Thema an. Es gibt nur drei Möglichkeiten, die weniger werdenden Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge aufzufangen: Viele Parteien bitten ihre Mandatsträger stärker zur Kasse. Zweitens hat man sich gerade darauf verständigt, die staatliche Parteienfinanzierung zu erhöhen. Und drittens können auch Parteien natürlich Kredite aufnehmen, was sie auch machen.Und was ist mit Spendensammeln?Jun: Schwierig. Das Spendenaufkommen gerade bei SPD, Grünen und der Linken ist so gering, da kommt nicht viel zusammen. Sterben die Parteien aus?Jun: Diese Frage kann niemand beantworten. Ich würde gerne mal ein Projekt darüber machen, ob Parteien quasi wie Dinosaurier sind, die irgendwann einmal aussterben.Uwe Jun, 1963 in Braunschweig geboren, lehrt seit 2005 als Professor für Vergleichende Regierungslehre, westliche Regierungssysteme und Bundesrepublik Deutschland an der Universität Trier. Seine Schwerpunkte sind Parteienforschung und politische Kommunikation. sey

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