Bei Hilfe drohen Kündigung und Strafe

Trier · Verweigern sie Patienten starke Schmerzmittel, machen sie sich womöglich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Verabreichen sie verschreibungspflichtige Medikamente, droht die Kündigung - das Dilemma der Rettungsassistenten.

Trier. Er wollte der Frau helfen, womöglich hat er ihr Leben gerettet. Doch dafür sollte der Rettungsassistent gefeuert werden. Weil er bei einem Notfalleinsatz einer Patientin mit extrem hohem Blutdruck auf der Fahrt ins Krankenhaus ein blutdrucksenkendes Mittel gegeben hat. Das ist aber verboten. Zumindest für Rettungsassistenten. Laut Heilpraktikergesetz dürfen nur Ärzte das von ihm verabreichte Mittel den Patienten geben. Auch ein paar Stunden später hat sich der Rettungsassistent aus der Eifel bei einem anderen Einsatz nicht an die Vorschrift gehalten. Weil eine Frau nach einem Oberarmbruch über starke Schmerzen klagte und ihr auf dem Weg ins Krankenhaus übel geworden ist, hat er ihr ein Schmerzmittel und ein Medikament gegen die Übelkeit verabreicht. Ein Notarzt war nicht an dem Einsatz beteiligt.
Als der Arbeitgeber des Rettungsassistenten, das DRK, später aus den Einsatzberichten von der Verabreichung der Medikamente erfährt, wird er entlassen. Der Mann zieht vors Arbeitsgericht in Mayen - und bekommt recht. Er habe das getan, was sein Beruf sei, urteilten die Richter vor drei Jahren. Rettungsassistenten sollen bei Notfallpatienten lebensrettende Maßnahmen durchführen und die lebenswichtigen Körperfunktionen während des Transports zum Krankenhaus beobachten und aufrechterhalten. Nichts anderes habe der Rettungsassistent getan, sagten die Richter. Das Urteil, das laut Gewerkschaft "erhebliche Bedeutung für die praktische Arbeit aller Rettungsassistenten" hat, hat aber offenbar nichts am Alltag von Rettungsassistenten geändert.
Urteil ändert nichts am Alltag


Noch immer befänden sie sich in einem Dilemma, schreiben zehn Rettungsassistenten aus der Region in einem Brief. Sie reagieren damit auf den TV-Bericht über eine 71-jährige Triererin, die nach einem Oberschenkelbruch in Bad Bertrich mindestens 30 Minuten auf einen Rettungswagen warten muss.
Die Rettungsassistenten gaben der vor Schmerzen schreienden Frau keine Schmerzmittel. Sie seien dafür nicht ausgebildet. Die Frau musste eine halbe weitere Stunde warten, bis ein Notarzt mit Rettungshubschrauber ankam.
In der Standard Operating Procedure (übersetzt: Arbeitsanweisung) für Rettungsassistenten in Rheinland-Pfalz ist die Gabe von starken Schmerzmitteln geregelt. Wenn der Patient über starke Schmerzen klagt, müsse ein Notarzt nachalarmiert werden. Außerdem müsse der Rettungsassistent den Patienten aufklären, dass er kein Arzt sei. Stimme der Patient trotzdem zu, ein Schmerzmittel zu bekommen, dann dürfe der Rettungsassistent ein bestimmtes, verschreibungspflichtiges Mittel (Paracetamol) verabreichen. Die Therapie von Schmerzen im Rettungsdienst ohne Notarzt beinhalte "einige Probleme" heißt es in der Arbeitsanweisung. Schmerzen seien zumeist Folge von anderen Erkrankungen oder Verletzungen und zunächst müssten diese behandelt werden. Außerdem hätten viele Schmerzmittel gefährliche Nebenwirkungen. "999 Patienten mit ‚weniger\' Schmerzen über einen überschaubaren Zeitraum rechtfertigten nicht einen einzigen toten Patienten, der ohne Analgetikgabe (Anmerkung der Redaktion: Schmerzmittelgabe) nicht gestorben wäre", heißt es. Und: Schmerztherapie für sich alleine sei keine lebensrettende Maßnahme.
Dennoch, so der Rettungsassistent Roman Reimer, verabreichten viele seiner Kollegen oft Schmerzmittel. In einem Rettungswagen sind die Medikamente vorhanden, die laut Gesetz nur von einem Arzt verabreicht werden dürfen. Es sei moralisch nicht zu vertreten, Patienten leiden zu lassen, schreiben Reimer und neun weitere Kollegen in einem Brief. Rettungsassistenten dürften nicht zum Spielball der Ärzte und deren Standesdenken gemacht werden.

Leserbrief zum Artikel vom 22.08.2011

"Über eine Stunde bis der Notarzt kommt: Geschrien vor Schmerzen"

Ihre Anzeige schildert eine Situation, wie sie jeden Tag vorkommen kann und es ist sicherlich richtig, wenn Herr Schiffer sagt, dass es sich beim zeitlichen Ablauf um eine unglückliche Verkettung von Ereignissen gehandelt habe.

Unglücklich war wohl in erster Linie der zeitliche Ablauf den Notarzt betreffend. Zeitig vor Ort waren allerdings die Kollegen vom Rettungsdienst, die allerdings zu Recht auf die mangelhafte rechtliche Situation hinweisen. Dieser Fall lässt wieder einmal das Dilemma in unserem Rettungswesen erkennen, denn die Schulen im Rettungsdienst bilden sehr wohl auch in den Bereichen Pharmakologie (Medikamentenkunde) aus. Es wird sehr wohl die Analgetikagabe (Schmerzmittelgabe) gelehrt. Jedoch ist die Gabe von Medikamenten dem Rettungsassistenten verboten, da er mit dieser Maßnahme gegen das Heilpraktikergesetz (Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung) vom 17. Februar 1939 verstößt, welches medizinische Maßnahmen unter den sog. Arztvorbehalt stellt.

Herr Schiffer sagt, dass Rettungsassistenten bestimmte Schmerzmittel verabreichen dürfen. Es ist jedoch nur ein einziges Schmerzmittel, dass im Rahmen des § 34 StGB (rechtfertigender Notstand), verabreicht werden soll. Es handelt sich hier um Paracetamol 1000mg , wenn auch i.v. (auch bekannt unter ben-u-ron). Aber auch dies verstößt gegen das Heilpraktikergesetz.

Des Weiteren sagt Herr Dr. G. Scherer, ebenfalls ärztlicher Leiter: "999 Patienten mit weniger Schmerzen über einen überschaubaren Zeitraum rechtfertigen nicht einen einzigen toten Patienten, der ohne Analgetikagabe nicht gestorben wäre" (Zitat)

Dennoch verabreichen Rettungsassistenten oftmals starke Schmerzmittel, auch gegen das Gesetz. Sie tragen hierfür die volle Verantwortung selbst, da es vom Patienten erwartet wird und es moralisch nicht zu vertreten ist, den Patienten leiden zu lassen. Gleichzeitig macht sich der Rettungsassistent strafbar und zum Spielball der Justiz.

Er kann sich aussuchen, ob er wegen Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz belangt wird, oder aber wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt wird. Dies ist jüngst so geschehen.

Erst vor kurzem wurden zwei Kollegen von einer Ärztin wegen unterlassender Hilfeleistung angezeigt, weil sie ein Medikament (Buscopan), welches zwar auf einem Rettungswagen vorgehalten wird, aber aufgrund der Gesetzeslage nur von einem Arzt verabreicht werden darf, nicht verabreicht haben. Das Verfahren läuft noch.

Es kann nicht sein, dass Rettungsassistenten zum Spielball der Ärzte und deren Standesdenken gemacht werden. Es wird endlich Zeit, dass notwendige Maßnahmen, auf die der Patient ein Recht hat, legal durchführt werden dürfen, ohne das ein Rettungsassistent Angst haben muss rechtlich belangt zu werden, denn Tatsache ist, dass in dieser Grauzone täglich gearbeitet werden muss.

Roman Reimer, Rettungsassistent, Brauneberg
Christian Doeres, Rettungsassistent, Bernkastel-Andel
Thomas Bollig, Rettungsassistent, Bernkastel-Kues
Christof Roegler, Rettungsassistent, Bernkastel-Kues
Guido Gerber, Rettungsassistent, Piesport
Karin Noble, Rettungsassistentin, Morbach
Alexander Nauert, Rettungsassistent, Sehlem
Anita Gerhard, Rettungsassistentin, Morbach
Gregor Sicken, Rettungsassistent, Mülheim
Michael Roßwinkel, Rettungsassistent, Wittlich
Katrin Pauly, Rettungsassistentin, Wintrich
Julia Terres, Rettungsassistentin, Konz

Extra

Paragraf 3 Rettungsassistentengesetz: Die Ausbildung soll entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs als Helfer des Arztes insbesondere dazu befähigen, am Notfallort bis zur Übernahme der Behandlung durch den Arzt lebensrettende Maßnahmen bei Notfallpatienten durchzuführen, die Transportfähigkeit solcher Patienten herzustellen, die lebenswichtigen Körperfunktionen während des Transports zum Krankenhaus zu beobachten ... red

112 271 Rettungseinsätze hat es im vergangenen Jahr in der Region gegeben. In Trier gab es 8492 Einsätze mit Rettungstransportwagen, 2986 Notarzteinsätze und 15 037 Krankentransporte. In der Eifel, im Hunsrück und an der Mosel gab es zusammen 30 529 Einsätze des DRK, davon 7610 Notarzteinsätze. In Trier-Saarburg rückten die Helfer vom DRK im vergangenen Jahr 28 891-mal aus, Notarzteinsätze gab es insgesamt 6435. wie

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