Folge 25: Der christliche Rebell aus Wittenberg

Trier · Sie waren ein Aufstand gegen die Macht der römischen Kirche: die 95 Thesen des Martin Luther. Und wie von Italien her die Renaissance, so trieb von Deutschland her die Reformation Europa vom Mittelalter in die Neuzeit.

Es war einer der großen Wendepunkte der Kirchengeschichte: 1521 verweigerte der Augustinermönch Martin Luther den Widerruf seiner Schriften vor dem Wormser Reichstag. Für die Kirche war er da schon ein Ketzer, nun erklärte ihn auch noch der Kaiser zum Geächteten.
Kulturgeschichte der Menschheit


Wer war dieser Martin Luther? Als Sohn eines Bergmanns wurde er 1483 in Eisleben geboren. Mit 18 Jahren ging der junge Mann zum Studium nach Erfurt. Eigentliches Berufsziel: Jurist. Ob er in diesen Jahren schon insgeheim mit dem Gedanken spielte, ins Kloster einzutreten, ist nicht zu belegen. Und so hält sich die Geschichte, ein Gewitter sei Auslöser für Luthers Berufswechsel gewesen. Der Überlieferung nach geriet der Anfang-20-Jährige nach einem Besuch bei seinen Eltern in einen schweren Sturm. Er erlebte Todesangst - und schwor, sein Leben der Kirche zu weihen. Luther wurde Mönch.

Arbeiten, Beten, Fasten:
Es begann ein Leben, das bestimmt war von Arbeiten, Beten und Fasten. Luther wurde ein rastlos Suchender, er litt unter Gewissensnöten. Was ihn umtrieb, war das Ringen um den richtigen Zugang zu Gott. Was war der wahre Glaube? Musste man vor Gott Angst empfinden? Oder gibt es einen gnädigen Gott? Durch Askese und das Studium der Heiligen Schrift versuchte Luther, Antworten zu finden. In der Abgeschiedenheit seiner Zelle hatte er Erlösungserlebnisse. Er gelangte zu der Überzeugung: Allein der Glaube an die Gnade Gottes könne den Menschen vor der Hölle retten.

Schnelle Karriere:
Als frommer und gelehriger Zögling seines Erfurter Klosters machte er rasch Karriere: Er wurde zum Professor an die Universität von Wittenberg berufen und stieg die Leiter hinauf bis zum Generalvikar, dem Verwaltungschef des Bischofs. In Wittenberg sorgten seine Vorlesungen für Aufsehen. Luther predigte das Prinzip der Gerechtigkeit Gottes: Keine Eigenleistung könne die Gnade Gottes erzwingen, meinte er. Sie sei ein Geschenk an den (gläubigen) Menschen. Das war eine völlig neue Sicht der Dinge.

Rom ist nicht begeistert:
In Rom hörte man solche Predigten nicht gern. Ein Kernstück der christlichen Lehre war bis dahin die Angst vor Gottes Strafe und der ewigen Verdammnis. Dieser Angst entsprang nicht nur der Wunsch der Christen, gottgefällig zu leben, sondern auch die Bereitschaft, Spenden zu geben. Denn diese, so glaubte man, konnten in einer Art Gegengeschäft das Sündenregister verkürzen. Der amtierende Papst Leo X. schickte Ablasshändler übers Land, um den Geldfluss anzukurbeln. Gleich einer Drückerkolonne zogen sie los und verkauften päpstliche Zertifikate über die Vergebung aller Sünden. Den Landesfürsten und Bischöfen war die Sache Recht, schließlich hatte Leo ihnen einen Teil der Einnahmen zugesagt. Es war ein Geschäft, an dem viele mitverdienten. Und eine Praxis, die dem Theologieprofessor Luther widerlich war.

Thesen an der Tür:
Er begann, öffentlich gegen die Ablasspraxis zu predigen. Und er ging noch einen Schritt weiter: Er schrieb Briefe an seine Kollegen und kirchlichen Vorgesetzten. Diesen Briefen legte er 95 Thesen bei. Weil die kirchlichen Würdenträger nicht reagierten, hämmerte der aufgebrachte Luther das Schriftstück der Legende nach an die Tür der Wittenberger Schlosskirche. Der Tag dieser Proklamation soll der 31. Oktober 1517 gewesen sein. Noch heute feiern die Protestanten diesen Tag als Reformationstag - als den Tag, der die Erneuerung der Kirche einläutete.

Kein Schnickschnack:
Noch war der Disput kein Angriff auf den Papst. Luther protestierte zu Anfang gegen eine falsche Gesinnung in der christlichen Praxis. Seine Maxime war: Der Mensch erreicht das Heil nicht aus eigener Kraft. Er kann und muss Buße tun und bereuen. Doch das Tor zum Himmel öffnet nur Gottes Gnade. Ob Wallfahrten, Heiligenbilder oder Ablassbriefe: All das verdeckte nach Luther den wahren Glauben. Solcher Zierrat war für ihn überflüssig - weshalb evangelische Kirchen heute so karg erscheinen.

Prominente Unterstützer:
Die neuen Thesen verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Gott ist gnädig? Und: Jeder Christenmensch kann mit Gott sprechen? Es braucht dafür nicht den Umweg über den Papst oder seine Würdenträger? Da klang Freiheit an. Luther fand Anhänger, darunter den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen oder den Humanisten Ulrich von Hutten. Letzterer begrüßte den Wittenberger Mönch als Befreier Deutschlands von Rom. Zusammen mit anderen Rittern bot Hutten Luther seinen Schutz an.

Luther bleibt sich treu:
Der aufgebrachte Papst drohte mit der Exkommunikation. Doch Luther blieb sich treu, bezog immer klarer Stellung. Unter anderem stellte er die Autorität des Papstes infrage. Dem deutschen Adel empfahl er in einer Schrift, dem Papst den Gehorsam zu verweigern und eine deutsche Nationalkirche zu gründen - dann würde auch der Geldfluss nach Rom aufhören. Schließlich sei nicht der Papst, sondern allein die Heilige Schrift die höchste Autorität der Christenheit.

Exkommunikation:
Damit war der Bruch zwischen dem Rebellen und dem Papst unausweichlich. Im Januar 1521 wurde Luther exkommuniziert. Im April desselben Jahres stand der ehemalige Mönch vor dem Reichstag zu Worms, wo er vor den Fürsten zum Widerruf seiner Thesen gedrängt wurde. Im Wissen, dass dies seinen Tod bedeuten könnte, blieb Luther entschieden: "Ich kann und will nichts widerrufen. Amen." Damit war auch der fürstliche Stab über ihn gebrochen: Er war nun vogelfrei. Eine Entführung durch Soldaten Friedrich des Weisen half ihm in letzter Minute, sich der Gefahr zu entziehen.

Junker Jörg:
Luther wurde auf die Wartburg bei Eisenach gebracht. Hier lebte er inkognito als "Junker Jörg" und übersetzte in dieser Zeit die Bibel ins Deutsche. Und dank des Buchdrucks verbreiteten sich Luthers Schriften quer durch das Land. Die neue Erfindung von Gutenberg machte die Reformation erst möglich: 1521 kam das Neue Testament auf Deutsch heraus, 1534 folgte das Alte Testament. Die Bibel wurde zum Mittelpunkt des Lebens der Christen. Damit einher gingen Veränderungen in der christlichen Lehre: Die Reformation schaffte das Fegefeuer ebenso ab wie die Marienverehrung, die Heiligen, die Sakramente der Beichte und der Letzten Ölung - einfach, weil sie in der Bibel nicht vorkamen.

Neues Lebensmodell:
In der Folge von Luthers Lehre wurde die universale Kirche ersetzt durch Landeskirchen. Und es entwickelte sich ein neues Lebensmodell: der arbeitsame, sparsame Christenmensch. Luther prägte auch den Begriff des Berufs als Berufung von Gott. Berufsarbeit nahm einen zentralen Stellenwert im protestantischen Leben ein. So gewannen neue bürgerliche Tugenden an Bedeutung: Pünktlichkeit, Nüchternheit, Redlichkeit im Geschäftsleben, Sparsamkeit.

Deutsche Sprache:
Die Protestanten hielten die Bibel für Gottes Wort, der Text wurde als heilig verehrt. Mit Hilfe der Bibel drang Luthers Deutsch bis in den letzten Winkel der Sprache ein und formte so aus den vielen Mundarten und Dialekten allmählich die deutsche Schriftsprache. Auf diese Weise trug die Reformation auch zum allmählichen Heranreifen eines deutschen Nationalbewusstseins bei.

Nationales Bewusstsein:
In den folgenden Jahrzehnten sollte es oft um dieses neue nationale Bewusstsein gehen. Denn die Luther\'sche Kirche erkannte den Staat und die Fürsten als ihr weltlich übergeordnete Autorität an. So wurde das Glaubensbekenntnis zu einem wichtigen Faktor für die Einheit eines Landes. Ein Umstand, der bis heute nachwirkt, erkennbar beispielsweise an der protestantischen Dominanz Skandinaviens und der römisch-katholischen Spaniens oder Italiens. Doch welches Bekenntnis in einem Land vorherrscht, darum sollten im damaligen Europa bald erbitterte Kriege geführt werden.
Lesen Sie in der nächsten Folge: der Calvinismus
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Extra

Mit Hammerschlägen, die sinnbildlich durch ganz Europa hallten, soll Luther sein Thesenpapier an das Tor der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben. Historische Tatsache oder liebenswerte Legende? Belege dafür existieren nicht. Weder wurde das Originaldokument gefunden noch gibt es Zeitzeugenberichte. Die erste schriftliche Darstellung der Tat erschien nach Luthers Tod, vom Reformator selbst ist keine Notiz dazu überliefert. Gesichert ist: Luther legte Briefen an seine Vorgesetzten 95 Thesen bei. Sie sollten die Grundlage für eine Disputation bilden. Zur christlichen Saga hat er immer gehört, der Kampf mit dem Teufel. Der Legende nach soll auch Luther vom Teufel belästigt worden sein - 1521/22, bei seiner Bibelübersetzung auf der Wartburg (Foto: dpa). Es hieß, er habe mit einem Tintenfass nach dem Beelzebub geworfen und ihn damit verjagt. Als Zeichen von Luthers Gegenwehr galt über Jahrhunderte ein Tintenfleck an der Wand. Eine schöne Geschichte - wissenschaftlich haltbar ist sie nicht. Als Ausgangspunkt der Legende gilt eine Notiz Luthers, in der er in übertragenem Sinn davon berichtet, dass er mit seiner Bibelübersetzung den Teufel mit Tinte vertrieben habe. Der Text dieser Seite entstand auf Basis eines Vortrages, den Barbara Abigt im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck in der Zeitung haben Andrea Mertes und Andreas Pecht übernommen. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e. V. Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e. V., Telefon: 02661/6702, Info: www.marienberger-akademie.de Die TV-Serie "Kulturgeschichte der Menschheit" ist eine Kooperation der Marienberger Seminare mit mehreren Regionalzeitungen. Sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz. red

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