Folge 28: Die Geburt der Oper im Barock

Trier · Nördlich der Alpen wütet der Dreißigjährige Krieg. Zeitgleich erblüht in Italien mit dem Barock eine Kulturepoche nie erlebter Prachtentfaltung. In Florenz entsteht eine neue Kunstgattung: die Oper.

Es war um das Jahr 1580, da begründeten in Florenz einige Herren eine schöne Gewohnheit. Sie trafen sich regelmäßig zu gebildeten Gesprächen über Gott und die Welt, insbesondere aber über die Künste. Dem akademischen Kreis gehörten Schriftsteller, Philosophen, Musiker, Gelehrte adliger wie bürgerlicher Herkunft an. Darunter beispielsweise auch der Tuchhändler, Lautenspieler, Musiktheoretiker und Komponist Vincenzo Galilei, Vater des später so berühmten Naturwissenschaftlers Galileo Galilei. Diese Runde sollte nachher unter dem Namen "Florentiner Camerata" als Erfinder oder Wegbereiter der Oper in die Musikgeschichte eingehen.
Kulturgeschichte der Menschheit


Das Interesse dieser italienischen Humanisten galt - ganz im Geiste der Renaissance - vorrangig der griechischen Antikenkultur. Insbesondere beschäftigte sie die Frage: Wie kann das altgriechische Theaterdrama wiederbelebt werden. Demzufolge war für die Herren in Florenz die Verständlichkeit des Wortes bei Bühnenaufführungen von zentraler Bedeutung. Und wohl zu Recht gingen sie auch davon aus, dass im Theater der Antike instrumentale Musik sowie Solo- und Chorgesang eine wichtige Rolle gespielt hatten. Zur Wiederbelebung des antiken Dramas fürs späte 16. Jahrhunderts waren also zwei Forderungen zu erfüllen: von Musik und Gesang durchdrungenes Theater bei gleichzeitig optimaler Textverständlichkeit.

Gegen den Trend:
Ein derartiger Anspruch stand damals im Widerspruch zum musikalischen Haupttrend der ausgehenden Renaissance. Vorherrschend war in deren Musikkunst nämlich die sogenannte Polyfonie, in der mehrere eigenständige Instrumental- und/oder Gesangsstimmen sich derart komplex verweben, dass vom gesunge nen Text oft kaum noch etwas zu verstehen ist. Weshalb Vincenzo Galilei seinerzeit eine engagierte Streitschrift gegen die "niederländische Polyfonie" schrieb und die Camerata einfache, klare Gesangslinien zum Ideal erhob. Diesem Singen habe sich eine zurückhaltende Akkordbegleitung durch wenige Instrumente unterzuordnen.

Sprechgesang:
Das Florentiner Ideal der Wortverständlichkeit brachte eine Art Sprechgesang hervor, den wir bis heute in der Oper als "Rezitativ" kennen. Die wahrscheinlich allererste Oper wurde von Jacopo Peri komponiert, auch er ein Mitglied der Florentiner Camerata: "La Dafne". Von dem 1597 beim Karneval in Florenz uraufgeführten Werk ist kaum etwas erhalten. Peris zweite Oper hatte etwas mehr Glück: Von Text und Noten der am 6. Oktober 1600 ebenfalls in Florenz uraufgeführten "L\'Euridice" ist einiges überliefert, so dass sie als erste bekannte Oper gilt.

Auftrag für Monteverdi:
Unter den Besuchern der Uraufführung von "L\'Euridice" war unter anderen Claudio Monteverdi - zu jener Zeit 33 Jahre alt und gefragter Komponist. Peris Werk hatte durchschlagenden Erfolg. Und so kam es, dass der Herzog von Mantua Monteverdi beauftragte, für ihn ebenfalls ein solches Musikwerk zu schreiben. Ergebnis: Im Februar 1607 wurde in Mantua die Oper "L\'Orfeo" uraufgeführt - und ist bis heute fester Bestandteil der Theaterspielpläne geblieben.

Basis für andere Komponisten: Monteverdi hat den schlichten Florentiner Stil vielfach erweitert und damit den Grundstein für das gesamte spätere Opernschaffen gelegt - von Lully, Schütz, Telemann, Händel oder Gluck über Mozart, Weber oder Bizet bis Tschaikowsky, Donizetti, Verdi und schließlich Richard Wagner. Rezitative mit erweiterter Begleitung, große Arien, Tänze, Chöre, orchestrale Zwischenspiele: Monteverdi schmiedete dem Musiktheater jenes Werkzeugarsenal, das nachher eine Generation von Opernmeistern auf stets neue Weise handhabte.

Hochdramatisch:
Hatte schon der Florentiner Stil mit dem Rezitativ verstärkt auf die gesangliche Darstellung von subjektiven Gefühlen abgehoben, so öffnet Monteverdi nun einen ganzen Kosmos der Emotionalität. Beispielsweise setzte er Instrumente danach ein, wie sie Personen und Situationen zu charakterisieren vermögen, oder er führte psychologische Tonmalereien ein. Kurzum: Er entwickelte die Oper mit Macht in Richtung hochdramatisches Gesamtkunstwerk - das Richard Wagner 250 Jahre später mit "Tristan und Isolde" bis an die Grenzen der Harmonik treiben sollte.

Europa im Fieber:
Die Opern-Begeisterung griff Anfang des 17. Jahrhunderts schnell um sich, breitete sich erst über Italien und bald auch im übrigen Europa aus. Venedig war ihr erstes Zentrum, dort eröffnete 1637 das erste kommerzielle Opernhaus. Zugleich wurde die Gattung Oper zum wichtigen Element einer zuvor nie dagewesenen Prachtentfaltung, die mit dem aufkommenden Barock an den europäischen Fürstenhöfen Einzug hielt. Und zwar zunächst in den katholischen Ländern, später abgewandelt auch in protestantischen Regionen.

Tiefgreifender Umbruch:
Zur Erinnerung: Europa erlebte das 16. Jahrhundert nicht nur als nach-mittelalterlichen Kulturaufbruch (Renaissance). Seit 1517 steckte der Kontinent mit der Reformation zugleich in einem tiefgreifenden Umbruch der religiösen und politischen Ordnung. Kriegerischer Ausdruck davon waren etwa: Wuchtige Bauernaufstände in Süd- und Mitteldeutschland 1524 bis 1526 (von Reformator Martin Luther verflucht, von Reformator Thomas Müntzer angeführt); acht "Hugenottenkriege" in Frankreich zwischen 1562 und 1598; schließlich der Dreißigjährig Krieg quer durch Nordeuropa 1618 bis 1648.

Pracht gleich Macht:
Dieser Kampf wurde auch als Kulturkampf ausgetragen - und der Barock war vor allem in der frühen Phase seiner 200-jährigen Dauer Ausdruck davon. Die katholische Kirche versuchte ihre in Scharen zum Protestantismus neigenden Schäfchen bei der Stange zu halten. Ein Mittel war es, sie durch Pracht entfaltung in der Kirchenarchitektur, durch die malerisch-bildhauerische Ausschmückung der Kirchenräume sowie der Gottesdienste zu beeindrucken. Die weltlichen Fürsten suchten zugleich nach angemessenem Ausdruck ihrer erstarkten Stellung als absolutistische Herrscher und versuchten einander an Glanz zu übertreffen. Pracht in Bauten, Kunst, Mode und Repräsentations- wie Lebensstil sollte sichtbarer Beweis für Macht sein.

Bauboom:
Architekten, Baufirmen und Künstler hatten reichlich zu tun. In Rom wurde nicht nur der Petersdom 1626 fertiggestellt, sondern es entstanden gleich 50 Kirchenneubauten. Das Schloss Versailles ließ "Sonnenkönig" Ludwig XIV. ab 1661 zu einem der prächtigsten Paläste Europas ausbauen. Es wurde zum Vorbild für viele Herrschaftsbauten, darunter die Residenz von Würzburg, der Winterpalast in St. Petersburg, der Dresdner Zwinger oder das Berliner Stadtschloss.

Üppig und farbenfroh:
Zwar entwickelte sich der Barock nicht als Gegenbewegung zur vorherigen Renaissance, sondern aus ihr heraus. Die Unterschiede wurden aber rasch deutlich: Die Strenge und Klarheit der an der Antike orientierten Renaissance-Architektur wurde aufgegeben zugunsten eines schwingenden, verspielten, reich mit Ornamenten geschmückten, raumgreifenden Baustils. Gemälde und Skulpturen nahmen bei der Innenausstattung breiten Raum ein. Die Maler spielten mit illusionistischer Tiefenwirkung. Nie zuvor hatte es solch dramatische Bewegtheit gegeben, so intensive Farbigkeit, so ein raffiniertes Spiel mit Licht und Schatten wie in den Gemälden der Barockmeister Tiepolo oder Velázquez, Rubens oder Rembrandt.

Neue Gedanken:
Und während der Barock als Kunstform des Absolutismus sich über ganz Europa ausbreitete, mischten sich zwischen all die Pracht neue Gedanken: über religiöse Toleranz, naturwissenschaftlich fundierte Welterkenntnis, Natur- und Menschenrecht. Die Vernunft ging um - das Zeitalter der Aufklärung begann.
In der nächstes Folge:
Die Aufklärung
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Extra

Theater mit Musik und Gesang gab es schon, bevor 1597 die erste Oper aufgeführt wurde. Im Mittelalter wurde von Musik begleitetes Szenenspiel benutzt, um dem einfachen Volk das Bibel-Geschehen näherzubringen. Daraus entstanden "Mysterienspiele", die in Kirchen, aber auch andernorts aufgeführt wurden. In der Antike, später wieder in der Renaissance, waren Intermedien - Einschübe mit Musik, Gesang und Tanz - zwischen den Akten des Schauspiels verbreitet. Und natürlich vermischten fahrende Spielleute und Volkstheater immer wieder Musik, Gesang und szenisches Spiel. Vom Gesamtkunstwerk Oper trennten diese Praktiken jedoch noch Welten. Belcanto nennt sich ein Gesangsideal, das Opernfreunde verzückt. Es handelt sich dabei um reich verzierte und/oder ganz auf stimmliche Klangschönheit gerichtete Solopartien. Im 17. und 18. Jahrhundert galten Kastraten wie Farinelli (Foto: Wikipedia) dafür als ideale Besetzung. Sie wurden hoch verehrt, waren quasi die ersten Superstars des Musikgewerbes. Anfangs hatten die Sänger große improvisatorische Freiheiten. Seit Gluck und vor allem Rossini wurden die Gesänge dann streng fixiert. Im frühen 19. Jahrhundert hoben die Opernkomponisten Donizetti und Bellini auf Melodielinien ab, die die Belcanto-Sänger immer stärker zu dramatischen Aktionen drängten. Der Text dieser Seite entstand auf Basis eines Vortrages, den Bastian Klein im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck in der Zeitung haben Andrea Mertes und Andreas Pecht übernommen. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e. V. Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e. V., Telefon: 02661/6702, Info: www.marienberger-akademie.de Die TV-Serie "Kulturgeschichte der Menschheit" ist eine Kooperation der Marienberger Seminare mit mehreren Regionalzeitungen. Sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz. red

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