Das große Pfandverwirrspiel

Trier · Zehn Jahre nach der Einführung des Dosenpfands ist die Mehrwegflasche - anders als beabsichtigt - zur bedrohten Spezies geworden und der Verbraucher heillos verwirrt. Sind Wegwerfflaschen doch kaum als solche zu erkennen. Der TV beleuchtet das Chaos in deutschen Flaschensammlungen.

 Auch zehn Jahre nach Einführung des Dosenpfands ist vielen Verbrauchern nicht klar, welche Flaschen Automaten wie dieser eigentlich zurücknehmen. Zu kompliziert sind die Regeln. Foto: dpa

Auch zehn Jahre nach Einführung des Dosenpfands ist vielen Verbrauchern nicht klar, welche Flaschen Automaten wie dieser eigentlich zurücknehmen. Zu kompliziert sind die Regeln. Foto: dpa

Trier. Der Holländer hat Durst. Mit Blick auf die Porta Nigra leert er die Limonadenflasche in einem Zug und steuert zielstrebig den nächsten Mülleimer an. Der PET-Flaschenboden berührt schon die metallene Öffnung als eine entsetzte Deutsche "Nein" schreit und mit ihrem Regenschirm vorwurfsvoll auf das Fläschchen weist. "Junger Mann, das kann man doch nicht wegschmeißen! Da ist doch Pfand drauf!"
Feindbild: Die Dose


Jawoll. So isses. So könnte sich das zutragen. Denn 2003 hat die rot-grüne Regierung der Wegwerfgesellschaft den Kampf angesagt. Erklärtes Feindbild war die Dose, die es fortan nicht mehr umsonst geben sollte. Ebensowenig wie andere Wegwerfgetränkeverpackungen. Der Einwegpfand war geboren. Und damit ein großes Chaos.
Gesellten sich doch zu all den blauen Tonnen, gelben Säcken, Mehrweggetränkekisten und Altglassammlungen nun noch jene großen Behältnisse, in die erstmal alles reinkommt, wovon man nicht so genau weiß, was es nun ist, wie viel Geld es dafür gibt und wo man es wieder los wird.
Die Artenvielfalt in solchen Sammlungen ist oft beeindruckender als die in so manchem (nun dosenfreien) Straßengrabengrün. Tummeln sich da doch kleine Einweg-Wasserflaschen (25 Cent), große Mehrweg-Wasserflaschen (15 Cent), beliebig große Mehrweg-Bierflaschen (8 Cent), große Einweg-Colaflaschen (25 Cent), Bierdosen (25 Cent), Dosen mit molkehaltigem Energydrink (null Cent), Bierflaschen mit Bügelverschluss (15 Cent), Wegwerf-Multivitaminsaftflaschen, für die es überhaupt kein Geld gibt und all ihre großen und kleinen Verwandten, deren finale Bestimmung sich nur an einem kleinen, gut versteckten Aufdruck irgendwo auf dem Etikett ablesen lässt. Flasche und Dose mit Pfeil nach links bedeutet: Einwegpfand. Auf Pfandflaschen steht Pfandflasche. Verwirrenderweise steht das allerdings auch auf vielen Einwegpfandflaschen. Wenn es dem Hersteller gelungen ist, die Regeln (siehe Extra) geschickt für sich zu nutzen, zum Beispiel indem er seiner Flasche ein Fassungsvermögen verleiht, das die pfandpflichtigen drei Liter ganz knapp übersteigt oder indem er seinem Modegetränk so viel Molke zufügt, dass es als pfandfreies Milcherzeugnis durchgeht, dann, ja dann künden meist schon große rote Lettern davon, dass für diese Flasche kein Pfand zu zahlen ist. Denn das schätzen viele Käufer. Erspart es ihnen doch die vielen Fragen, mit denen sie sich seit der Einführung der Regelung auch in Internetforen beschäftigen. Dort philosophieren völlig verwirrte Verbraucher über den Unterschied zwischen hartem und weichem Plastik oder raten sich, einfach ins Geschäft zu gehen und die Flasche zurückzugeben. Wenn es kein Geld gibt, war es eben keine Pfandflasche.
2006: Neues Rückgabesystem


Immerhin. Seit 2006 müssen Flaschenkäufer nicht mehr in zehn verschiedene Geschäfte gehen, um ihr Geld zurück zu bekommen. Denn seitdem sind alle Geschäfte mit mehr als 200 Quadratmeter Fläche verpflichtet, alle Getränkeverpackungen aus dem Material, das bei ihnen vor Ort auch angeboten wird, zurückzunehmen. Doch was hat all das bewirkt?
Nach rund zehn Jahren Dosenpfand fällt die Bilanz ernüchternd aus. Zwar liegen in Straßengräben und Stadtparks nun deutlich weniger Getränkeverpackungen als zuvor. Auch wurde die als unökologisch verpönte Dose weitgehend aus den deutschen Regalen verdrängt. Das Ziel, die Quote der Mehrwegverpackungen zu erhöhen, wurde allerdings weit verfehlt.
Einer Erhebung der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung zufolge ist der Anteil der Getränke in Mehrwegflaschen deutlich gesunken. Er liegt nun nur noch bei 50 Prozent. 2004 wurden noch zwei Drittel der Flaschen wiederbefüllt. Ziel der Verpackungsordnung sind allerdings 80 Prozent.
Gescheitert ist aber auch das Ziel, den Verbraucher zu einem umweltbewussteren Verhalten zu bewegen. Grund dafür ist nicht nur, dass Discounter in Einweg-PET verpackten Sprudel sehr billig verkaufen. Oder dass die immer größer werdenden gesellschaftlichen Gruppen der Singles und älteren Menschen keine schweren Kästen lagern und schleppen wollen. Sondern auch, dass der Verbraucher oft gar nicht weiß, dass er gerade zu einer Einwegflasche greift. Zum einen, weil es auf den ersten Blick überhaupt nicht erkennbar ist. Zum anderen, weil er ja doch jede Menge Pfand dafür bezahlt, sich denkt: was viel kostet, ist bestimmt auch besser und zudem doch alles brav zurückbringt. Dass es dann in der Rückgabe-Maschine nach Drrrrrrrrrr (scannen) und piiiep (erkennen) auch krrffff, macht, tja, keine Ahnung, wird schon zu was gut sein, denkt er sich vielleicht - ist ja schließlich politisch gewollt. Unbeabsichtigt gelang es der Politik, so selbst umweltbewusste Käufer zu täuschen.
Bundesumweltminister Peter Altmaier will sie nun wieder wachrütteln: Mit einer neuen Verordnung, die Getränkehändler verpflichtet, die Käufer an Ort und Stelle deutlich darauf hinzuweisen, wenn es sich um Einwegflaschen handelt.
Ob sie sich deshalb anders entscheiden? Niederländer wohl eher nicht. Für sie sind (pfandfreie) Wegwerfflaschen schließlich normal. Ja, das Nachbarland diskutiert sogar, den Mehrwegpfand 2014 völlig abzuschaffen, da das Einsammeln teurer ist, als das Entsorgen. Na dann, prost!
Extra

Die zehn Jahre alte Pfand-Regelung ist das Ergebnis eines erbitterten Ringens zwischen Politik und Lobbyisten. Und so sieht sie auch aus: Ausgenommen von der Pfandpflicht sind: Frucht- und Gemüsesäfte und -nektare, Getränke, die zu mindestens 50 Prozent aus Milch oder Milcherzeugnissen bestehen, Wein und Spirituosen sowie diätetische Getränke. Einwegpfand (siehe Logo) in Höhe von 25 Cent muss auf alle Einweg-Verpackungen zwischen 0,1 und drei Liter Fassungsvermögen erhoben werden: Trinkwässer, Bier- (auch alkoholfreies) und Biermischgetränke, Erfrischungsgetränke, Cola und Limonaden, Fruchtsaftmischungen und Teemischungen mit Mineralwasser, Sportgetränke, Energy-drinks, Tee- und Kaffeegetränke, alkoholhaltige Mischgetränke. Ausgenommen sind Getränkekartons, Schlauchbeutel und Folien-Standbodenbeutel. 8 Cent Pfand fallen an für Mehrwegflaschen in den Größen 0,33 oder 0,5 Liter mit Bier. 15 Cent Pfand: Mehrwegflaschen aus härterem Plastik oder Glas, die etwa Mineralwasser oder Limo enthalten. Oder auch Bierflaschen mit Verschlussbügel. kah

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