Ahnen kalkuliert mit 700 zusätzlichen Lehrerstellen

Mainz · Mehr Lehrer für den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder, mehr Lehrer gegen den Unterrichtsausfall, mehr Beamtenstellen: Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) setzt klare Akzente in der Schulpolitik.

Mainz. Doris Ahnen (48) gilt als eine der profiliertesten Bildungspolitikerinnen in Deutschland. Der Sozialdemokratin werden Ambitionen nachgesagt, nach Berlin zu wechseln. Darüber und wie sie die Herausforderungen der Inklusion meistern sowie den Unterrichtsausfall an den Schulen bekämpfen will, sprach TV-Redakteur Frank Giarra mit ihr.

Frau Ahnen, Sie sind seit fast zwölf Jahren Bildungsministerin - ohne Doktortitel. Sind Sie froh darüber, dass Sie keinen haben?
Doris Ahnen: Die Frage hat sich für mich nie gestellt. Wäre ich an der Uni geblieben, hätte ich wahrscheinlich eine Promotion angestrebt.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan soll zurücktreten, weil ihr der Doktortitel wegen Schummelns aberkannt wurde ...
Ahnen: Ich finde nicht, dass ich das kommentieren muss.

Sie gelten als Kandidatin für diesen Posten, falls es im Herbst nach der Bundestagswahl zu einem Regierungswechsel kommt.
Ahnen: Mein Name ist schon öfter für Berliner Ämter genannt worden. Ich fühle mich in Rheinland-Pfalz ausgesprochen wohl. Grundsätzlich beantworte ich Fragen immer dann, wenn sie zu beantworten sind. Und diese stellt sich momentan nicht.

Werden Sie zum Schattenkabinett von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gehören? Wie ist ihr Verhältnis zu ihm?
Ahnen: Peer Steinbrück wird entscheiden, wann und mit wem er ein Team zusammenstellt. Steinbrück und ich haben ein gutes Verhältnis zueinander und begegnen uns auch regelmäßig, da ich dem SPD-Bundesvorstand angehöre, in dem ich mich insbesondere um Bildungs- und Wissenschaftspolitik kümmere.

Kommen wir zur Schulpolitik in Rheinland-Pfalz. Warum ist die Inklusion, das gemeinsame Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern, so wichtig?
Ahnen: Ein völlig neues Thema ist das nicht. 25 Prozent der behinderten Kinder werden in Rheinland-Pfalz bereits gemeinsam mit nichtbehinderten unterrichtet. Durch die UN-Behindertenkonvention, die eine optimale Teilhabe verlangt, gewinnt die Inklusion einen noch höheren Stellenwert. Wir wollen diese optimale Teilhabe auch, daran arbeiten wir.

Sie setzen auf das uneingeschränkte Wahlrecht der Eltern, ob sie ihr behindertes Kind zu einer Förderschule oder zu einer Regelschule schicken. Warum?
Ahnen: Das individuelle Wahlrecht zwischen einem inklusiven Unterricht in einer Schwerpunktschule und der Förderschule ist für mich aus tiefster innerer Überzeugung oberste Maxime. Wir haben mit dem Elternwahlrecht gute Erfahrungen gemacht. Eltern kennen ihre Kinder am besten. Das gilt für Eltern beeinträchtigter Kinder, die ihre Kinder intensiv begleiten und unterstützen, besonders.
Das Land will den Ausbau inklusiver Angebote mit 200 zusätzlichen Lehrerstellen bis 2016 absichern. Kritiker sagen, das sei zu wenig, Qualität habe ihren Preis.
Ahnen: Wir gehen davon aus, dass der Anteil behinderter Kinder, die mit nichtbehinderten unterrichtet werden, bis 2016 von derzeit 25 auf 40 Prozent steigt. Es gibt in Schwerpunktschulen dafür bereits 640 spezielle Stellen im Land. 200 kommen noch hinzu, um das Angebot auszubauen. Wenn Eltern sich vermehrt für inklusiven Unterricht entscheiden, werden zudem Ressourcen an Förderschulen frei, die man für die Inklusion einsetzen kann.

Sie wollen Förderschulen zu Förder- und Beratungszentren entwickeln - warum nur ausgewählte Förderschulen und nicht alle 138?
Ahnen: Eine Bestandsgarantie für jede einzelne Förderschule kann ich nicht geben, das kann ich in anderen Schularten auch nicht. Es geht um ein qualitativ hochwertiges Angebot. Wir brauchen weiter Förderschulen, und wir brauchen regional konzentriert die Kompetenz der Förderschulen auch für die Inklusion in Regelschulen, indem speziell ausgebildete Lehrer dort beraten. Wir stimmen uns dabei eng mit den Kommunen ab.
Warum beschränken sich die Inklusionsbemühungen auf die Primarstufe und die Sekundarstufe I - dürfen behinderte Kinder kein Abitur machen, wie es der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung formuliert?
Ahnen: Bei dieser Formulierung darf man schon von einem gewissen Willen zum Missverständnis reden. Es machen doch viele behinderte Kinder Abitur in Rheinland-Pfalz! Und beeinträchtigte Kinder bekommen auch in der Oberstufe die notwendige Unterstützung! Das umfassende inklusive Konzept der Schwerpunktschule konzentriert sich vor allem auf die Primarstufe und die Sekundarstufe I.

Seit Jahren wird der Unterrichtsausfall kritisiert. Insbesondere die berufsbildenden Schulen klagen. Wie wollen Sie Abhilfe schaffen?
Ahnen: Wir haben in diesem Schuljahr Verbesserungen bei der Unterrichtsversorgung hinbekommen, das war auch notwendig. Um noch besser zu werden, kalkulieren wir mit 500 zusätzlichen Lehrerstellen über alle Schularten hinweg bis 2016. Auch für die berufsbildenden Schulen hatte ich mir bereits jetzt spürbare Verbesserungen erhofft. Das ist nicht eingetreten, damit bin ich nicht zufrieden.
Warum hat es nicht geklappt?
Ahnen: An den berufsbildenden Schulen gibt es ein sehr differenziertes System mit vielen Bildungsgängen. Der Schülerrückgang hat sich nicht in einem entsprechenden Rückgang der Klassenzahlen niedergeschlagen. Es geht darum, bei rückläufigen Schülerzahlen regional gute Angebote zu machen und gleichzeitig eine gute Unterrichtsversorgung zu gewährleisten. Wir haben daher vergangenes Jahr eine Expertenkommission mit Kammern, Schulleitern, Lehrer- und Wirtschaftsverbänden gegründet, die auslotet, wie wir das hinbekommen.

Eine Vertretungslehrerin verklagt das Land, weil sie nach sieben Zeitverträgen arbeitslos geworden ist. Sind solche Beschäftigungspraktiken sozial gerecht?
Ahnen: Vertretungslehrkräfte werden als Ersatz für Lehrer eingestellt, die für eine gewisse Zeit ausfallen, aber ein Rückkehrrecht auf ihre Stelle haben. Wir wollen da besser werden, indem wir mehr Kontinuität in der Lehrerversorgung sicherstellen und andererseits jungen Leuten feste Perspektiven bieten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir Bewerber nur dann auf Beamtenstellen einstellen können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen - das heißt insbesondere, dass sie das erste und zweite Staatsexamen haben.

Warum setzt das Land überhaupt Vertretungslehrer ein?
Ahnen: Ohne sie geht es nicht, weil es immer Erkrankungen von Lehrkräften oder Ansprüche auf Erziehungszeit und Ähnliches gibt. Wir wollen die Zahl der Vertretungslehrer mit Angestelltenzeitverträgen zugunsten von Beamtenstellen reduzieren. Der Vertretungspool mit dauerhaft eingestellten Beamten, die für drei Jahre zunächst längerfristige Vertretungen übernehmen, soll von 200 auf 1000 Lehrer wachsen. Allerdings werden wir darüber hinaus weiterhin Vertretungsverträge benötigen, denn wir können nicht für jeden kurzfristigen Erkrankungsfall eine Dauerstelle schaffen.

Das Land plant eine neue Grundschulordnung.
Ahnen: Ja, im Moment werden in einer Arbeitsgruppe mit den Lehrerverbänden und dem Landeselternbeirat Wünsche gesammelt. Die einen wollen zum Beispiel den Aufwand für die Verbalzeugnisse in der Grundschule reduzieren und stattdessen Kompetenzzeugnisse, viele wollen das in der zweiten Klasse verpflichtende Lehrer-Eltern-Schüler-Gespräch ausweiten.

Die CDU hält nichts von ihrer Ansicht nach unverständlichen Verbalzeugnissen.
Ahnen: Eine verbale Beurteilung ohne Noten in den Klassen eins und zwei gab es doch schon zu meiner Schulzeit. In den Klassen drei und vier gibt es in der Regel Beurteilungen und Noten.

Was wollen Sie denn an den Grundschulen ändern?
Ahnen: Eine Ausweitung der Lehrer-Eltern-Schüler-Gespräche muss man ernsthaft prüfen. Ich finde auch eine differenzierte Zeugnisbeurteilung der Kinder wichtig. Das muss man vernünftig weiterentwickeln. fcgExtra

Doris Ahnen (48) ist seit dem 18. Mai 2001 Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz. Zuvor war die gebürtige Triererin bereits fünf Jahre Bildungs-Staatssekretärin. Seit 2004 ist Ahnen stellvertretende SPD-Landesvorsitzende, seit 2006 auch Landtagsabgeordnete. Seit 2007 gehört Ahnen dem SPD-Bundesvorstand an, seit 2009 dem SPD-Präsidium.fcg

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