Die Politiker und der Karriere-Fahrstuhl

Trier · Das Ansehen von Politikern war selten auf einem solchen Tiefpunkt wie heute. Allenfalls Journalisten können da noch mithalten. Ist das alles ein Image-Problem? Nein, es hat auch damit zu tun, dass Parteien die falschen Leute aufstellen - sagt der Parteinforscher Benjamin Höhne.

Es waren eigentlich die deutschen Europaparlamentarier, denen sich Höhne bei seiner Doktorarbeit am Lehrstuhl des Trierer Politikwissenschaftlers Uwe Jun widmen wollte. Doch rasch stellte sich bei der großangelegten Befragung von 4000 Parteimitgliedern heraus, dass die Schlussfolgerungen auch auf andere hauptamtliche Ämter und Mandate zutreffen, die Parteien zu vergeben haben.
Auf der unteren Ebene, dort, wo die ehrenamtlichen Jobs zu vergeben sind, seien die Parteien "schon mal experimentierfreudiger", sagt Höhne. Aber da, wo es um die wichtigen, hauptamtlichen Funktionen geht, gelte das Prinzip "je höher, desto weniger Innovationsbereitschaft".
Da wird dann der ordentliche Funktionär mit viel Sitzfleisch bevorzugt, der reichlich Zeit hat, den etablierten Führungskräften nicht auf die Füße tritt, sich an die Mechanismen anpasst, stets loyal ist und, so formuliert es Höhne, "die Machttektonik nicht durcheinanderbringt". Dann muss man noch das Glück haben, in den Regionalproporz zu passen, dem richtigen Parteiflügel anzugehören und vielleicht auch noch, je nach Partei, zur Quotenerfüllung beizutragen.

Dennoch findet es der Eifeler SPD-Bundestagskandidat Jens Jenssen richtig, dass die Parteien ihr Personal selbst auswählen. Politik fordere nun einmal einen langen Atem, und der dokumentiere sich durch langfristiges Engagement und die Bereitschaft, auch Niederlagen zu akzeptieren. Der 32-Jährige, der als junger Hoffnungsträger seiner Partei gilt, war schon vor vier Jahren gegen eine langjährige Amtsinhaberin angetreten - und hatte verloren. Diesmal wurde er im Wahlkreis einstimmig nominiert, aber beim morgigen SPD-Landesparteitag wird er wohl die aussichtsreichen Listenplätze manch Altgedientem überlassen müssen - und so zum unfreiwilligen Beleg für Höhnes Thesen mutieren.

Ein erfahrener Funktionär wie der Trierer CDU-Abgeordnete Bernhard Kaster sieht noch einen ganz anderen Grund, warum mancher bezweifelt, dass in den Parlamenten wirklich die Besten der Besten sitzen. Hochqualifizierte Leute mit guter beruflicher Karriere hätten oft "nicht die geringste Lust, sich dem Risiko eines Wahlamtes zu stellen", sagt der Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion. Man wäre ja durchaus bereit, über mehr Quereinsteiger und Kandidaten "aus der Breite der Gesellschaft" nachzudenken - "aber dann müssen die auch zur Verfügung stehen".
Kaster kann sich sogar vorstellen, "im Vorfeld von Nominierungen auch Bürger außerhalb der Parteien einzubeziehen" - eine Idee, die auch Parteienforscher Höhne als "Reformmodell" ins Gespräch bringt. Allerdings bezweifelt Kaster ebenso wie sein SPD-Kollege Jenssen, dass sich durch den frühzeitigeren Einfluss der Bürger tatsächlich Umschichtungen zugunsten "frischerer" Kandidaten ergeben.

Eine Lanze für mehr Bürgerbeteiligung bricht dagegen Franz-Peter Basten, inzwischen eine Art "elder statesman" der CDU in der Region. Das "Ausleseprinzip der Parteien" sei "tatsächlich verbesserungsfähig", sagt der ehemalige Staatssekretär, Landtags- und CDU-Bundestagsabgeordnete. "Hausmacht, Seilschaften und Regionalproporz sind keine persönlichen Qualitätskriterien", mahnt der 68-jährige Mehringer, warnt aber gleichzeitig vor Verallgemeinerungen. Manches sei auf dem Weg der Besserung. Aber immer noch sei viel zu oft "derjenige favorisiert, der die meisten Hände schüttelt", wohingegen "die Bereitschaft zum Blick über den Tellerrand einem Kandidaten nicht unbedingt hilfreich ist".
Der heutige Honorarkonsul Luxemburgs in Trier empfiehlt das Nachbarland als Vorbild. Schließlich bringt das kleine Großherzogtum von jeher erstaunlich viele große Politiker hervor. Basten führt das, jedenfalls ein Stück weit, auf den Umstand zurück, dass die Wähler bei allen Listenwahlen im Ländchen personalisiert abstimmen dürfen - was es in Deutschland nur auf kommunaler Ebene gibt. Bei der Vergabe etwa von Ministerwürden spielt "Volkes Stimme" in ihrer ausgezählten Form eine erhebliche Rolle. Vielleicht kommt dann auch der eine oder andere der "Besten" eher durch.Extra

Benjamin Höhne (34) stammt aus Wittenberg. Sein Studium als Diplom-Politologe schloss er mit einer Arbeit zur politischen Kultur in Deutschland ab. Seit 2006 arbeitete er an der Uni Trier als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre von Professor Uwe Jun, mit dem er mehrere Bücher veröffentlichte. 2012 schloss er seine Promotion zum Dr. phil. ab, seine Arbeit über "Rekrutierung von Abgeordneten" erschien im Verlag Barbara Budrich. Seit Beginn des Jahres ist er an der Akademie der Bundeswehr in Strausberg tätig. DiL

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