Reden und schlagen statt schießen

Trier · In Jugendgefängnissen wie etwa in Wittlich sind sie bereits abgeschafft: die Waffen der Vollzugsbeamten. Nun sollen sie auch aus allen anderen Gefängnissen verschwinden.

Trier. Es ist der 30. Dezember 2000. Die beiden Schwerverbrecher Muhamed Agovic und Fay Cimberti fliehen aus dem Trierer Gefängnis. Während eines Hofgangs gegen 15.40 Uhr zieht Agovic, der wegen Mordes an einem Kellner in einem Konzer Tanzlokal verurteilt worden ist, die Schusswaffe, die er von einer Gefängniswärterin bekommen hat. Er bedroht zwei bewaffnete Wachleute, die ihm daraufhin ihre Zellenschlüssel übergeben.
Schüsse auf Fluchtauto


Mit den Schlüsseln öffnet der Gefangene Agovic die Zelle seines Mithäftlings Cimberti. Auf dem Flur durchtrennen beide Männer Gitterstäbe, schlagen mit dem Fäustel ein Loch in die Mauer aus Glasbausteinen. Währenddessen feuert Agovic mit seiner Waffe in die Luft. Die unter Schock stehenden Beamten fürchten um ihr Leben.
Den Ausstieg machen Agovic und Cimberti mit einem zusammengeknoteten Bettlaken. Sie durchtrennen einen Zaun, laufen zum bereitstehenden Auto und fahren los. Die bewaffneten Beamten sehen nur noch das wegfahrende Auto. Ein Beamter gibt mit der Pistole vier Schüsse auf den Wagen ab, von denen aber keiner trifft.
Künftig müssen die rheinland-pfälzischen Gefängniswärter auch bei solchen Situationen auf ihre Waffen verzichten. "Die werden nicht gebraucht. Es gibt andere Sicherheitsmechanismen in den Justizvollzugsanstalten", sagt der Sprecher des Justizministeriums, Wahid Samimy. Die Vollzugsbediensteten seien in Deeskalation und Selbstverteidigung ausgebildet. Im Krisenfall werde sowieso auch die Polizei hinzugezogen. Und es werde nicht an der Sicherheit im Strafvollzug gespart. Die Entscheidung geht laut Samimy zurück auf Beschlüsse der Arbeitsgruppe "Justizvollzug", die im Rahmen der Justizstrukturreform gebildet worden war. "Der Arbeitsgruppe gehörte der Vorsitzende des rheinland-pfälzischen Landesverbandes des Bundes der Strafvollzugsbediensteten an", sagt der Justizsprecher.
Sparen an der Sicherheit?


Winfried Conrad, Chef der Gewerkschaft Strafvollzug Rheinland-Pfalz, zeigt sich jedoch überrascht, dass künftig auch Gefangenentransporte und die Bewachung von Gefangenen außerhalb der Anstalten von unbewaffneten Vollzugsbediensteten übernommen werden sollen. "In unseren Anstalten sitzen hochgefährliche Straftäter aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, Mitglieder terroristischer Vereinigungen und Gewalttäter ein." Die Landesregierung spare an der Sicherheit der Vollzugsbediensteten, sagt Conrad. Dem widerspricht der Ministeriumssprecher. Bereits seit 2007 gibt es laut Samimy etwa in der Sozialtherapeutischen Anstalt in Ludwigshafen keine Schusswaffen mehr - und seit 2008 auch nicht mehr in den Jugendgefängnissen Schifferstadt und Wittlich.
Die CDU fordert, dass die Gefängniswärter bei Gefangenentransporten auf jeden Fall bewaffnet sein müssen. Für Fluchtwillige bedeute das "eine höhere mentale Hürde", sagt der rechtspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Axel Wilke.

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