Auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft

Trier · Es herrscht Alarmzustand in der deutschen Theaterlandschaft. Fast wöchentlich kursieren Petitionen gegen Kürzungs- und Schließungspläne, ständig erscheinen neue Häuser auf der "roten Liste" des Bühnenvereins - nun soll das "deutsche Theaterwesen" gar auf die Liste des schützenswerten Unesco-Kulturerbes gesetzt werden.

Was sich derzeit zu einem Tornado über den Theatern und Orchestern zusammenbraut, ist eine gefährliche Mischung: Einerseits die Finanznot der öffentlichen Hand, vor allem der Kommunen. Andererseits der schwindende bildungsbürgerliche Konsens, dass ein Theater unverzichtbar zum Angebot einer Region gehört, die auf sich hält.

Dabei verlieren die Theater keineswegs an Resonanz. Zwar schrumpft das klassische Abo-Publikum, aber wo die Häuser sich nicht verschanzen, halten sie die Zahlen - Trier ist da ein gutes Beispiel. Dennoch war und ist Theater immer das Vergnügen einer Minderheit. Politische Mehrheiten für Erhalt und ausreichende Ausstattung gibt es nur, wenn diejenigen mitziehen, die selbst nie das Theater betreten.

Das gilt für Freibäder, Jugendzentren oder Sportplätze fraglos genauso, aber auch dort wurden die Mittel in den vergangenen Jahren drastisch zurückgefahren. Und den Theatern gelingt es leider kaum, ihren Sinn auch der Laufkundschaft zu vermitteln. Ausnahmen sind Großstadt-Häuser, die mit Stars, Skandalen, Events aufwarten können - jenen Ingredienzien, aus denen sich Masseninteresse zaubern lässt.

Es nützt also wenig, wenn Theaterschaffende und Theaterfans mit markigen Protestnoten ihren Anspruch auf uneingeschränkte Fortsetzung der öffentlichen Förderung einklagen, während gleichzeitig aus Geldnot Schulen geschlossen werden. Zumal in einer Situation wie in Trier, wo die Bürger der Stadt ein Theater finanzieren, das in erster Linie vom Umland genutzt wird.

Rund 100 000 Besuche zählt das Haus am Augustinerhof pro Saison. Geht man davon aus, dass der Durchschnittsbesucher vier Mal in der Spielzeit hingeht, sind das 25 000 Menschen, davon vielleicht 10 000 aus der Stadt. Neun von zehn Trierern gehen also nie ins Theater. Sie zahlen aber den städtischen Anteil von 7,5 Millionen Euro mit. 75 Euro pro Einwohner, für eine vierköpfige Familie statistisch rund 300 Euro im Jahr. Es käme darauf an, diesen Menschen zu erklären, warum auch sie ein Theater brauchen.Zukunft des Theaters in der Region

Zum Beispiel, wenn es sie ärgert, dass ihre Kinder nur noch DSDS als musikalischen Maßstab kennen. Wer will, dass auch die übernächste Generation Mozart und Beethoven hört, muss dafür sorgen, dass es Stätten gibt, an denen sie gespielt werden, und Klangkörper, die sie aufführen können. Wer es für sinnvoll hält, dass Goethe und Brecht auch künftig bekannter sind als Stefan Raab und Rosamunde Pilcher, der muss ihre Stücke aufführen.

Wer will, dass Kunst noch live produziert und nicht nur aus der Konserve zusammengesampelt wird, wer will, dass es wunderbare Produktionen wie die "Zauberflöte" mit der Porta-Schule gibt, wer will, dass sich die im rasanten Wandel befindliche Gesellschaft ein paar Biotope gönnt, in denen nachgedacht, gezweifelt, gemahnt werden darf: Der muss für das Theater sein, auch wenn er seine Zeit selten dort zubringt.

Das ist der Diskurs, der zu führen wäre. Aber genauso wichtig ist die Frage, wie sich das Theater verändern kann, um unter gewandelten Rahmenbedingungen zu überleben. Das hat leider ganz schnöde auch mit Geld zu tun. Nichts rechtfertigt die Vermutung, die finanzielle Ausgangsbasis für den Kulturbetrieb könne sich in den nächsten Jahren verbessern. Selbst wenn es (zu erhoffende) politische Mehrheiten dafür gäbe, die staatlichen Einnahmen zu erhöhen, dann würden die zusätzlichen Ressourcen vom Schuldenabbau und dem demografisch bedingten Strukturwandel mehr als aufgefressen.

Der Druck der vergangenen Jahre wird also noch steigen. Bislang haben die Theater und ihre meist kommunalen Träger in einer unheiligen Allianz das "Sparen in den Strukturen" praktiziert. Will heißen: alle beweglichen Ausgaben zusammengestrichen, das künstlerische Personal ausgequetscht, das Programm eher popularisiert, die PR vernachlässigt. Alles, um die Strukturen zu erhalten. So ersparten sich beide Seiten die Entscheidung, die in Zeiten wie diesen auf jedes Unternehmen zukommt: Welche Teile muss ich opfern, um meine Existenz insgesamt zu sichern.

Bei großen Häusern gab und gibt es genug Fett, um das Abspecken eine Zeit lang durchzuhalten. In mageren Betrieben wie Trier geht es ganz schnell um die Frage: Apparat oder Kunst? Das führt zwangsläufig zu der Frage, ob und wie man qualitätsvolles Theater auch mit bezahlbareren Strukturen machen kann. Wenn die Theater diese Konsequenz weiter scheuen wie der Teufel das Weihwasser, und sich nur auf die verbissene Verteidigung des Bestehenden kaprizieren, dann werden sie verlieren - ein paar repräsentative Häuser ausgenommen.

Es ist keineswegs so, dass es im Apparat keine intelligenten Reform-Ideen gäbe. Aber wer sie öffentlich äußert, wird als Verräter angesehen. So fehlen der Diskussion die entscheidenden Impulse und die neuen, produktiven Gedanken: Geht es um Strukturreformen, ist meist nur von Spartenschließungen oder der Umwandlung in Bespieltheater ohne festes Ensemble die Rede.

Beides wäre für Trier keine Lösung. Welche Sparte wollte man schließen? Das Tanztheater? Zehn unterbezahlte Tänzer, zwei winzige Produktionsbudgets pro Saison, ein Ballettchef: Da ist das Einsparpotenzial gering, zumal, wenn man noch den Verlust der Einnahmen von 8000 Tanztheater-Besuchern gegenrechnet. Nicht zu vergessen das Ballett für Operette und Musical, das dann eingekauft werden müsste.

Also das Schauspiel? In der Schul- und Hochschulstadt Trier? Eine absurde Idee, und finanziell ebenfalls nicht sonderlich einträglich. Bleibt das Musiktheater. Da ließe sich fraglos sparen. Aber das hieße, auch dem Orchester seine Existenzgrundlage zu entziehen. Will das wirklich jemand? Eine Region ohne professionellen Klangkörper, der Verödung auf dem Gebiet der Klassik preisgegeben? Ohne die befruchtende Breitenwirkung auf Chöre, Musikschulen und -vereine? Das wäre dann wirklich ein kultureller Kahlschlag, ebenso wie der völlige Verzicht auf ein Ensemble.

Was geht aber dann, wenn nichts geht? Mehr, als man denkt. Warum redet man nicht über die Art, wie in Trier Spielpläne gemacht werden? Jeden Tag steht ein anderes Stück auf dem Programm. Macht unglaublich viele Umbauten. Für Vorstellungen und für Proben. Wieso spielt man nicht in Wochenblöcken? Wo bleibt die entschiedene Forderung nach einem "kleinen Saal", der es erlauben würde, das Personal effektiver und damit kostengünstiger einzusetzen?

Warum forciert das Theater nicht die Frage nach Einnahmeverbesserungen? Man hat sich die Idee eines professionellen Sponsoren-Akquisiteurs vom Gutachter Haselbach widerspruchslos abschmettern lassen. Dabei kann ein Profi-Fundraiser viel mehr Geld einbringen als er kostet. Freilich müsste die Stadt dafür eine elementare Voraussetzung schaffen: Die Umwandlung des Theaters in eine GmbH. Denn kein potenzieller Sponsor dieser Welt wird mit seinem guten Geld das Amt 46 der Stadtverwaltung finanzieren. So wenig wie die umliegenden Landkreise. Mit anderer Struktur wäre übrigens auch die Einführung eines dem 21. Jahrhundert angemessenen Ticketings kein Zehn-Jahres-Alptraumprojekt mehr. Man mag gar nicht daran denken, wie viele Zuschauer die vorsintflutliche Art des Kartenverkaufens in den letzten Jahren gekostet hat.

Neben der Art des Produzierens und der Art des Verkaufens gehören auch die räumlichen Gegebenheiten auf den Tisch. Jedes Strukturkonzept muss die ohnehin unvermeidliche Generalsanierung oder den Neuaufbau des Theaters mitdenken.Eine langfristige Strategie zur Sicherung des Theaters müsste aber über den lokalen Tellerrand hinaus gehen. Es gibt in einer Entfernung von 100 Kilometern im gleichen Bundesland zwei weitere unterfinanzierte Theater in klammen Städten. Es ist unbegreiflich, dass man der Entwicklung seit Jahren zusieht, ohne ernsthaft zu prüfen, was eine enge strukturelle Zusammenarbeit mit Kaiserslautern und Koblenz bringen könnte.

Die drei Häuser produzieren im Jahr 70 Stücke - manche davon für nur ein paar Hundert Leute. Was, wenn sie sich die Arbeit teilen würden? An jedem Standort gibt es eine Sparte, also beispielsweise in Trier Tanztheater, in Koblenz Schauspiel, in Kaiserslautern Musiktheater. Es gibt einen Gesamtintendanten, vor Ort ist der Spartenchef Leiter des Hauses. An jedem Standort gibt es ein Orchester samt Chefdirigent, aber man hilft wechselseitig aus, das spart teure Verstärkungen. Es werden nur noch 30 Stücke produziert, die sind aber an drei Häusern mit unterschiedlichen "Publikümmern" zu sehen - was den künstlerischen Spielraum erhöht. Jede Sparte bespielt die anderen Häuser mit. Die Besucher haben mehr Auswahl denn je und werden weiter von Stammkünstlern bedient - nur dass sich das Ensemble auf drei Standorte verteilt.

Ein Denkmodell, hinter dem zugegebenermaßen viele Fragezeichen stehen. Rechnet sich das angesichts des Wustes an Tarifbestimmungen? Sind die potenziellen Partner überhaupt bereit, diese Option zu prüfen? Das lässt sich nur herausfinden, wenn man Denkverbote aufhebt und diese Variante gründlich untersucht. Ebenso wie strukturelle Kooperationen Richtung Großregion.

Nein, das ist nicht die Wunschversion. Wunsch jedes Trierer Theaterfreundes wäre, dass es Geld genug gäbe, unser schönes Theater so zu erhalten wie es ist. Und die andere Kultur kräftig zu fördern, Festspiele zu etablieren, die jungen Kreativen zu unterstützen, die Tufa zu sichern, im Simeonstift große Ausstellungen zu ermöglichen. Was man halt im Wolkenkuckucksheim so träumt. In der schnöden Realität wäre ein strukturverändertes, dafür aber für die nächsten zwanzig Jahre in seiner Existenz garantiertes Theater schon ein großer Erfolg. Das Schlimmste aber, was passieren könnte, wäre ein Beschluss: Alles bleibt beim Alten, aber es gibt nicht mehr Geld.

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