Wie sicher ist der Himmel über dem Hahn?

Trier · An der Sicherheitslage über dem Hunsrückflughafen müsse sich etwas ändern, fordert die Fluggesellschaft Ryanair nach dem jüngsten Beinahe-Crash über dem Hahn. Doch die Sicherheitsbedenken der Iren werden längst nicht überall geteilt.

Trier. Die italienische Insel Sardinien ist ein beliebtes Reiseziel. Vom Hahn aus fliegt die irische Fluggesellschaft Ryanair täglich in die im Nordwesten der Insel gelegene Stadt Alghero. Knapp zwei Stunden dauert der Flug über die Alpen. Bei schönem Wetter ein Genuss. Da können die am Fenster sitzenden Passagiere bisweilen sogar andere Flugzeuge sehen, die meist etliche Kilometer entfernt und auf einer anderen Flughöhe unterwegs sind.
An jenem 25. April gegen 17.37 Uhr ist allerdings alles etwas anders als sonst. Die Ryanair-Boeing 737-800 ist auf dem Rückflug aus Alghero und nur noch wenige Kilometer vom Hunsrückflughafen Hahn entfernt, als sich plötzlich von vorne rechts ein Segelflugzeug nähert. "Nur zu Ihrer Information", funkt der 23-jährige Kopilot sinngemäß an die Flugsicherung, "uns kommt ein Segelflugzeug entgegen, es ist knapp vier Kilometer entfernt und fliegt 60 Meter tiefer als wir." Kurze Zeit später landet die Maschine mit 108 Passagieren und sechs Besatzungsmitgliedern an Bord wie geplant auf dem Hahn.
Wie nahe sich die Boeing und das Segelflugzeug an jenem frühen Donnerstagabend Ende April gekommen sind, wird erst später durch die Auswertung der Bundeswehr-Radaraufzeichnungen klar: bis auf 0,11 Nautische Meilen in der Horizontalen, das sind rund 200 Meter. Der Höhenunterschied beider Maschinen war auf dem Radar nicht abzulesen, wurde aber von der Ryanair-Besatzung später auf etwa 100 Fuß (30 Meter) unterhalb der eigenen Flughöhe geschätzt. Weil der Abstand viel zu gering war, stufte die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung die Begegnung in 2000 Metern Höhe als schwere Störung ein, was im Klartext bedeutet: Um Haaresbreite hätte es geknallt.
Es war nicht der erste Zwischenfall dieser Art über dem Hunsrückflughafen. Anfang 2010 wäre eine aus Spanien kommende Ryanair-Maschine beim Landeanflug fast mit zwei Segelfliegern kollidiert. Die Piloten des Passagierflugzeugs sagten, sie hätten nicht mehr ausweichen können, weil sie die direkt unter einer Wolke fliegenden Segelflugzeuge zu spät gesehen hätten. Dabei waren sie vom Fluglotsen über Funk zuvor mehrmals "über ein aktives Segelfluggebiet nördlich vom Hahn" informiert worden.
Eine Warnung, die dieses Mal offenbar unterblieben ist. "Der verantwortliche Lotse sagte aus, dass er kein Radarziel auf dem Flugweg der Boeing ausgemacht habe", heißt es im BFU-Zwischenbericht über den Beinahe-Crash im April. Dieser und auch der vorausgegangene Zwischenfall haben sich im sogenannten Luftraum E ereignet, in dem Segelflugzeuge nach Sichtflugregeln fliegen dürfen. Heißt: Die Sicht muss klar sein (acht Kilometer Sicht), und zu den Wolken muss ein Mindestabstand eingehalten werden.
An jenem frühen Aprilabend war über dem Hahn bestes Flugwetter: keine tief hängenden Wolken und eine Sichtweite bis zu 50 Kilometer. Mehr als ausreichend, um auch ohne technische Hilfsmittel andere Flugzeuge rechtzeitig zu erkennen. Dann gilt die Devise: "Der Stärkere muss den Schwächeren beachten und ausweichen", sagt Kristina Kelek von der Deutschen Flugsicherung.
Die sichere Entfernung zwischen zwei Flugzeugen "schätzt man ab", sagt Luftraum-Experte Reiner Schröer vom Landesluftsportverband, sie betrage in der Regel mehrere Tausend Meter. 200 Meter Abstand wie beim jüngsten Vorfall seien "jedenfalls zu wenig", sagt der Fachmann, der selbst seit Jahrzehnten Segelflieger ausbildet.
Wer der Pilot war, der im April das Segelflugzeug steuerte, ist nach wie vor unbekannt. Der Soonwald, über dem es zu der Begegnung am Himmel kam, ist ein auch von Segelfliegern gerne genutztes Gebiet. Theoretisch kommen mehrere Dutzend Flugplätze infrage, von denen der Pilot gestartet sein könnte.
Dass er an dieser Stelle fliegen durfte, steht fest. Vom geschützten Luftraum über dem Hahn war der Segelflieger etwa zehn Kilometer entfernt. Dennoch: Nach Meinung der Fluggesellschaft Ryanair ist das von Segelfliegern ausgehende Gefahrenpotenzial am Hahn höher als an vielen anderen Flughäfen. Ryanair-Kommunikationschef Robin Kiely spricht in diesem Zusammenhang von einem Sicherheitsproblem, mit dem sich die zuständigen Behörden dringend ausein-andersetzen müssten.
Ein Krisentreffen gab es auch im Juli 2011 im Nachklapp zu dem ersten Zwischenfall, der sogar Thema im Mainzer Landtag war. Das Gespräch in Bad Sobernheim endete seinerzeit mit einem Kompromiss: Die Segelflieger sicherten zu, einen größeren Abstand zu dem geschützten Luftraum über dem Hahn zu halten. Und im Gegenzug versicherte Ryanair, bei Segelflugverkehr im Luftraum E eine Mindesthöhe einzuhalten.
Das Treffen habe zum "besseren Verständnis, zur gegenseitigen Rücksichtnahme und zur weiteren Entschärfung der an sich konfliktträchtigen Situation
beigetragen", hieß es später im Bericht einer Fachzeitschrift. Wie der jüngste Vorfall zeigt, hat der Burgfrieden nicht lange gehalten.

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