Feierabend in Deutschland: Fernsehen, faulenzen, Freunde treffen

Trier · Ganztagsschulen und Überstunden im Job fordern ihren Tribut: Die Deutschen haben immer weniger Freizeit. Aber die nutzen sie, sagt der Trierer Soziologe Waldemar Vogelgesang. Hoch im Kurs stehe die Entschleunigung.

Nach getaner Arbeit setzt sich Otto Normalverbraucher immer noch am liebsten vor die Flimmerkiste. Fernsehen ist nach dem aktuellen Freizeitmonitor der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen weiter die mit Abstand beliebteste Freizeitbeschäftigung der Deutschen. Es folgen telefonieren, Radio hören und, die Volksfreund-Macher freut's, Zeitung lesen. Aber auch faulenzen und ausschlafen steht auf der Beliebtheitsskala weit oben. "Wenig verwunderlich", meint der Trierer Soziologie-Professor Waldemar Vogelgesang. Angesichts der hohen Dynamik in Schule, Ausbildung oder Beruf werde die knappe freie Zeit immer mehr "zu einer Art Entschleunigungsoase", in der man sich die Zeit selbst einteile.

Was die Deutschen in der Freizeit am liebsten machen, ist nach der Studie abhängig von Herkunft, Alter oder Geschlecht. So lesen Frauen beispielsweise doppelt so oft Bücher wie Männer, gehen lieber shoppen oder telefonieren häufiger, während Männer lieber heimwerken, Fußball gucken oder in die Kneipe gehen. Keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse, mag da so mancher denken, eher die Bestätigung alter Vorurteile. Im Freizeitverhalten von Frauen spiele die soziale und kommunikative Komponente eben eine größere Rolle, sagt der Trierer Wissenschaftler, der allerdings auch Kritik an der Studie äußert. Sie behandele Freizeit als Individualgeschehen, dabei unternähmen viele junge Menschen gerne etwas mit Familie oder Freunden. Von diesem Trend profitierten zunehmend auch Vereine, sagt Vogelgesang und bemängelt, dass die Studie sich damit nicht auseinandersetze. Damit gerate auch nicht in den Blick, dass der Vereinssport nach wie vor eine intakte Brücke zwischen den Generationen sei. Die BAT-Studie spricht dagegen von größten Abweichungen im Freizeitverhalten von jüngeren und älteren Menschen.

Kommentar: Die Freizeit, das unbekannte Wesen
Die Freizeit der Deutschen


Fünf Fragen an ... Waldemar Vogelgesang, Professor für Soziologie an der Universität Trier:

Inwiefern hat Sie die Freizeitstudie überrascht?

Vogelgesang: Die Ergebnisse schreiben fort, was man aus der Freizeitforschung der letzten Jahre kennt: Die zur Verfügung stehende Zeit wird immer knapper. Das trifft verstärkt auf Jugendliche zu, deren Freizeitbudget etwa durch Ganztagsschulen sinkt. Das hat natürlich Auswirkungen auf Freizeiteinrichtungen wie Jugendzentren, die weniger stark besucht werden.

Gibt es weitere auffällige Änderungen des Freizeitverhaltens?

Vogelgesang: Ein zentrales Merkmal ist die Entwicklung hin zu einer aktiven und einer regenerativen Freizeit. Ursache dafür ist die Beschleunigungsgesellschaft, in der wir leben. Die hohe Dynamik in Schule, Ausbildung oder Beruf wird in der Freizeit eben nicht unbedingt fortgeführt. Da wird sich beispielsweise bewusst entspannt, indem man ausschläft, faulenzt oder Dinge nach dem eigenen, selbst bestimmten Zeitrhythmus tut. Freizeit wird zu einer Art von Entschleunigungsoase.

Wie sind die Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Menschen?

Vogelgesang: Das unterschiedliche Freizeitverhalten ist besonders bei der Mediennutzung deutlich. Aber es trennt die Generationen nicht. Das ist auch ein Kritikpunkt an der Studie, die Freizeit als Individualgeschehen behandelt. Dabei unternehmen viele junge Menschen gerne etwas mit Familie oder Freunden, wie auch unsere Jugendstudie gezeigt hat. Und Ältere schließen sich, wenn auch erst vereinzelt, in Online-Nachbarschaften zusammen.

Profitieren davon auch die Vereine?

Vogelgesang: Ja. Die Orientierung von Jugendlichen hin zu sportlichen Aktivitäten in Vereinen nimmt wieder zu. Individualsport und Vereinssport stehen in einem Ergänzungs- und nicht in einem Verdrängungsverhältnis. Dieser Aspekt wird in der Studie überhaupt nicht untersucht.

Welche Folgerungen sollten Vereine oder Kultureinrichtungen aus der Studie ziehen?

Vogelgesang: Wenn die Freizeit von Jugendlichen knapper wird, spricht vieles dafür, den Schulsport aufzuwerten. Auch im musisch-kreativen Bereich könnten Ganztagsschulen zum Beispiel durch Schreibzirkel, Theater-Arbeitsgemeinschaften und Mediengruppen zur aktiven Kulturarbeit anleiten, die in Jugendeinrichtungen fortgeführt oder gar in Kooperation mit ihnen angeboten werden könnte. sey

Deutsche lieben Freizeit auf dem Sofa

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