Totalschaden in der Grünen Hölle

Koblenz · Erstmals in der Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz muss ein ehemaliger Minister ins Gefängnis. Der SPD-Politiker Ingolf Deubel ist verurteilt worden, weil er seine Amtsbefugnisse missbraucht und sich der Untreue schuldig gemacht hat.

Koblenz. Ingolf Deubel ist kein Mann, dem irgendjemand mangelndes Selbstbewusstsein unterstellen würde. Selbst in seiner schwersten Stunde bleibt sich der ehemalige rheinland-pfälzische Finanzminister treu - und cool. Das Urteil des Landgerichts Koblenz gegen sich - dreinhalb Jahre Haft - kommentiert er nicht. Wortlos verlässt er den Gerichtssaal.
Sein Anwalt ist etwas gesprächiger: Selbstverständlich werde man dagegen vorgehen und Revision einlegen. Immerhin habe das Gericht juristisches Neuland betreten. "Das wird den Bundesgerichtshof interessieren." Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, bleibt der 64-jährige Deubel ein freier Mann.
Professor Ingolf Deubel, einst bundesweit geachteter Finanzprofi und ausgezeichneter Judoka mit schwarzem Gürtel, hat seine Gesprächspartner gerne seine Überlegenheit spüren lassen. Im Landtag nannte er kritische Oppositionspolitiker bisweilen "ahnungslos". Nachfragen zur Nürburgring-Finanzierung bügelte er oft rigoros ab. Er agierte lieber im Hintergrund, am Parlament vorbei. Im Kabinett oder vor Journalisten hielt Deubel so lange Monologe, bis ihm keiner mehr folgen konnte. Was natürlich aus seiner Sicht an den anderen lag, nicht an ihm.Uneidliche Falschaussage


Im Gerichtssaal hat das Gehabe nicht funktioniert. Die Staatsanwaltschaft hat Deubels rabiate Auftritte mit heftiger Schelte gegen sie auf ihre Weise beantwortet - mit der Forderung nach einer hohen Strafe. Die Strafkammer ist ihr im Wesentlichen gefolgt. Ein halbes Jahr ist sie unter der Forderung der Staatsanwaltschaft geblieben.
Dreieinhalb Stunden lässt sich der Vorsitzende Richter Winfried Hetger mit seiner Urteilsbegründung Zeit. Sachlich, detailliert, teils minutiös damalige Abläufe schildernd und auf jede Spitze verzichtend.
Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass Deubel sich der Untreue schuldig gemacht hat. Teils in besonders schweren Fällen, bei denen finanzielle Schäden entstanden seien. Zudem sei Vermögen des Steuerzahlers in hohem Umfang gefährdet gewesen.
Schwer wiegt für Deubel eine uneidliche Falschaussage - auf deutsch: Lüge - vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags. Alleine dafür gibt es mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe.
Für die Strafkammer war Deubel die Hauptfigur, der faktische Geschäftsführer im Drama um die gescheiterte Privatfinanzierung des 330 Millionen Euro teuren Ring-Ausbaus, bei dem sich ein vermeintlich steinreicher Investor nach dem anderen als Luftnummer entpuppte. Bis nichts anderes übrig blieb, als die Betonbauten in der Eifel komplett mit Steuergeld zu bezahlen.
Deubel war das egal. Er, der es gewohnt war, als Geldbeschaffer für die Wünsche des damaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck zu fungieren, betonte noch vor zwei Wochen im Gerichtssaal, er sei sich keiner Schuld bewusst. "Ausgehend von meinem damaligen Wissen, würde ich auch heute so handeln."
Doch dieses Handeln, unterstreicht der Richter, habe eindeutig den weiten politischen Handlungsspielraum überschritten. Immer wieder spricht Hetger von "groben" oder "gravierenden" Pflichtverletzungen. Er hält dem Professor vor, er habe damals verschleiert und vertuscht. Persönlich bereichert habe er sich freilich nicht.
Zwei Tatkomplexe zeigt der Richter auf: Zum einen geht es um Provisionen für die Finanzvermittler, die private Investoren für den Ring-Ausbau suchten, aber nie fanden. Deubel habe die "vertragslosen Zahlungen auf Grundlage falscher Fakten" veranlasst. Und am Aufsichtsrat der nahezu landeseigenen Nürburgring GmbH vorbei, dessen Vorsitzender er war, durchgesetzt.
Der zweite Komplex betrifft Zahlungen über 85,5 Millionen Euro an den Düsseldorfer Kaufmann Kai Richter. Das Geld floss in Form von stillen Beteiligungen, doch in Wahrheit, sagt das Gericht, seien es "verkappte Darlehen" gewesen.
Das Problem besteht darin, dass die Landesförderbank ISB diese Summe über ihre Tochter RIM finanzierte - laut Strafkammer unter eklatanter Missachtung der Regeln des Kreditwesens, indem etwa auf erforderliche Sicherheiten verzichtet wurde. Im Grunde sollte mit der Konstruktion nur gegenüber der Öffentlichkeit verschleiert werden, dass staatliche Mittel flossen, weil sich kein privater Geldgeber fand, erklärt Richter Hetger.
Sollte das Urteil auch in Karlsruhe Bestand haben, steht Deubel, der Unbelehrbare, der an der Uni Münster lehrt, vor den Trümmern seines Lebens. In der Grünen Hölle, wo etliche namhafte Rennfahrer aus der Kurve schleuderten, hat er einen Totalschaden erlitten.
Denn ins Gefängnis zu müssen, wäre für ihn nur ein Problem. Eine weitere gravierende Konsequenz: Der politisch bereits im Juli 2009 gescheiterte Finanzexperte - so grotesk wie noch keiner, befand der Spiegel - steht dann vor dem wirtschaftlichen Ruin.Schadenersatzansprüche


Deubel trägt als Verurteilter die Prozess- und seine Anwaltskosten. Als ehemaliger Minister hat er vom Land laut Staatskanzlei ein Darlehen gewährt bekommen, das er zurückzahlen muss. Es dürfte sich bei bislang schon anderthalbjähriger Verfahrensdauer auf eine mittlere sechsstellige Summe belaufen.
Zusätzlich verliert Deubel seinen Beamtenstatus und damit sämtliche Pensionsansprüche. Er wird zwar nachträglich gesetzlich rentenversichert, doch der Unterschied dürfte mehrere Tausend Euro im Monat betragen. Schließlich werden die Insolvenzverwalter des Nürburgrings Schadenersatzansprüche gegen Deubel geltend machen müssen. Höhe offen.
Gemessen daran, sind die anderen vier Angeklagten mit einem blauen Auge davongekommen. Zwei Strafen sind zur Bewährung ausgesetzt: Ein Jahr, sieben Monate für Ex-Ring-Chef Walter Kafitz, acht Monate für Ex-Ring-Controller Michael Nuss. Beide müssen also nicht ins Gefängnis. Dem sichtlich vom langen Verfahren gezeichneten Nuss erspart die Kammer sogar Bewährungsauflagen.
Die Banker Hans-Joachim Metternich und Roland Wagner werden zwar in neun Fällen der Beihilfe zur Untreue für schuldig befunden, sie kommen aber mit einer Verwarnung des Gerichts und Geldbußen davon. Begründung: Sie hätten sich in einer "besonderen Zwangslage" befunden und persönliche Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie Deubels Ansinnen nicht gefolgt wären.
Oberstaatsanwalt Hans-Peter Gandner sagt zwar nach dem Prozess, man sei nie zufrieden. Die Behörde will prüfen, ob sie Rechtsmittel in den Fällen Metternich und Wagner einlegt. Doch angesprochen auf die Hauptfigur Ingolf Deubel, huscht Gandner ein leises Lächeln übers Gesicht.

Extra: Chronologie


Juli 2009: Die geplante internationale Privatfinanzierung des Nürburgrings geht spektakulär schief. Der rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) tritt zurück. Kurz darauf wird der 330 Millionen Euro teure überdimensionierte Freizeitpark eingeweiht.
Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft Koblenz klagt Deubel wegen Untreue in der Nürburgring-Affäre an. Den gleichen Vorwurf richtet sie gegen den geschassten Ringchef Walter Kafitz. Dem früheren Kreditmediator der Bundesregierung und Chef der Förderbank ISB, Hans-Joachim Metternich, wirft die Behörde Beihilfe zur Untreue vor.
August 2012: Anklagen gegen Deubel, Kafitz, den Ring-Controller und Ex-Ring-Finanzchef Hans-Jürgen Lippelt wegen Untreue sowie gegen Metternich und den Geschäftsführer der ISB-Tochter RIM wegen Beihilfe zur Untreue werden zugelassen. Deubel sagt damals, es sei gut, dass nach über drei Jahren die Wartezeit nunmehr zu Ende gehe und er seine Unschuld beweisen könne.
August 2012: Weitere Anklage gegen Deubel: Vorgeworfen wird ihm nun auch eine uneidliche Falschaussage im Untersuchungsausschuss des Landtages zum Nürburgring im Juli 2010.
Oktober 2012: Das Untreue-Verfahren beginnt. Zunächst sind lediglich 15 Verhandlungstage bis Anfang Januar terminiert.
Februar 2013: Der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) ist als Zeuge geladen. Er stellt sich hinter Deubel. Einen Verstoß gegen die Berichtspflicht des federführenden Finanzministeriums sieht er nicht.
Februar 2013: Nun sitzt Becks Nachfolgerin Malu Dreyer (SPD) im Zeugenstand. Sie, die seinerzeit Sozialministerin war, betont, Deubel habe über das Projekt stets detailreich informiert.
Mai 2013: Abseits des Prozesses startet der Verkauf des Rings.
Juni 2013: Ring-Sachwalter Jens Lieser erzählt als Zeuge von einem Gutachten, das den Ertragswert des Rings im Oktober 2012 auf insgesamt rund 77 Millionen Euro bezifferte.
Februar 2014: Die Beweisaufnahme in dem Mammutverfahren wird geschlossen. Schlusspunkt ist eine mehr als einstündige Einlassung Deubel beteuert erneut seine Unschuld.
März 2014: Die Staatsanwaltschaft fordert vier Jahre Haft für Deubel sowie Bewährungsstrafen für die anderen Angeklagten. Wenige Stunden später erhält der Autozulieferer Capricorn den Zuschlag für den Ring — für einen Preis von 77 Millionen Euro.
März/April 2014: Alle Verteidiger plädieren auf Freispruch.
April 2014: Die Urteile werden gesprochen. Deubel wird zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, Kafitz wegen Untreue zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten. dpa

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