Kündigungswelle am Trierer Theater: Neuer Intendant stellt Verträge auf den Prüfstand

Trier · Als Gerhard Weber 2004 als Intendant des Trierer Theaters antrat, mussten 13 künstlerische Mitarbeiter das Haus verlassen. Diesmal könnten es beim Wechsel auf dem Chefsessel mehr als doppelt so viele werden. Im Haus am Augustinerhof herrscht Unruhe.

Eigentlich hätte es ein ruhiges Saison-Finale werden sollen: Die Spielzeit 2013/14 ist ganz gut gelaufen, die Diskussionen über die Existenz des Dreisparten-Theaters sind verstummt, mit Labiches "Sparschwein" steht am Samstag eine Komödie als letzte Premiere an - samt Abschiedstour für die Ruheständler Manfred-Paul Hänig und Peter Singer.

Doch im Haus am Augustinerhof ist niemandem zum Lachen zumute. In den letzten Tagen sind massenhaft "blaue Briefe" an die Künstler herausgegangen. Thema: Die beabsichtigte Nichtverlängerung ihrer Verträge ab der Spielzeit 2015/16. Die Sache ist persönlich und vertraulich, offizielle Zahlen gibt es daher nicht. Doch die Ansage des künftigen Intendanten Karl Sibelius ist klar: "Wir wollen mit allen sprechen, die nicht unkündbar sind."

Noch, darauf weist Sibelius hin, sei "keine einzige Nichtverlängerung definitiv ausgesprochen". Aber der 44-Jährige hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er einen möglichst breiten personellen Neuanfang anstrebt. Bei Orchester, Chor, Technik und Verwaltung ist das aufgrund der Arbeitsverträge kaum möglich.

Umsetzen kann er den Personalwechsel aber bei Mitarbeitern, die künstlerische Soloverträge haben: Schauspieler, Sänger, Tänzer, Dramaturgie, Künstlerisches Betriebsbüro, Inspizienz, Assistenz - alles in allem bis zu 50 potenziell Betroffene.

Ihre Künstlerverträge sind jeden Sommer mit einem Jahr Vorlauf kündbar - die Intendanz braucht nur die Nicht-Verlängerung förmlich korrekt mitzuteilen. Wenn sie das vorhat, muss sie juristisch korrekt dem Betroffenen allerdings vorher ein Gespräch anbieten. Das hat Karl Sibelius, von der Stadt als Arbeitgeber mit einer entsprechenden Vollmacht ausgestattet, nun per Brief getan. Kommende Woche schlägt die Stunde der Wahrheit.

Ausgenommen sind dabei nur künstlerische Mitarbeiter, die länger als 15 Jahre im Haus sind - wie etwa der Schauspieler Klaus-Michael Nix, der Sänger Laszlo Lukacs oder die Allrounderin Angelika Schmid. Aber all zu groß ist die Zahl der Unkündbaren nicht.

Beim letzten Intendantenwechsel hatte das Theater die Formalitäten ziemlich lax gehandhabt. Die Folge waren diverse Auseinandersetzungen vor Gericht - und der Umstand, dass Gerhard Weber teilweise mit Künstlern weiterarbeiten musste, die er nicht mehr wollte.

Weber hatte von Einzelfall zu Einzelfall entschieden - und sich dabei viel Kritik eingehandelt. Sein Nachfolger findet es "seriöser, alle gleich zu behandeln". Was in diesem Fall wohl heißt: alle zumindest fürs Erste zu kündigen. Rückgängig machen könnte er das fallweise freilich immer noch. Zum Stellenabbau, versichert Sibelius, wolle er die Nichtverlängerungen nicht nutzen: "Die Stellen werden neu besetzt."

Im Haus ist die Betroffenheit groß. Viele verweisen im Gespräch darauf, mit welcher Intensität sich gerade die Künstler für den Erhalt des Theaters in der jetzigen Form ins Zeug gelegt haben. Einer, der anonym bleiben will, bringt das Gefühl vieler auf den Punkt: "Der große Kulturdampfer hat den Sturm überstanden, aber die Matrosen werden jetzt ausgemustert." Klaus-Michael Nix, Sprecher der Schauspieler, schlägt in die gleiche Kerbe: "Es ist hart für das Ensemble, das mit viel Herzblut und persönlichem Engagement für das Ensembletheater Trier gekämpft hat, nun selbst von der Auflösung bedroht zu sein."

Den Frust kann auch Kulturdezernent Thomas Egger verstehen. Dennoch versichert er, bei unbequemen Entscheidungen hinter seinem Intendanten zu stehen. Karl Sibelius werde "aufgrund seiner Sachkompetenz entscheiden". Schließlich habe man ihn gewählt, um neue Akzente zu setzen.
Meinung

Chef entscheidetTraurig, aber real: Chefwechsel im Theater sind eine beschissene Situation. Der Wunsch des künftigen Intendanten, neue Akzente auch mit neuem Personal zu setzen, ist legitim. Auch wenn mancher im Publikum auf Gewohnt-Beliebtes ungern verzichtet: Theater lebt vom Wandel.

Legitim ist aber auch der Wunsch der Künstler, nicht nach Gutsherrenart behandelt zu werden. Sie haben gute Arbeit geleistet, großes Engagement eingebracht - und nun sollen sie gehen. Das schafft eine unproduktive, von Frust gekennzeichnete Atmosphäre, auch und vor allem für die letzte Spielzeit der alten Intendanz. Es wäre mehr als schade, wenn es statt eines furiosen Finales nun einen Abgang auf Raten gäbe.

Noch schlimmer wäre freilich eine jahrelange Hängepartie unter Menschen, die künstlerisch-kreativ zusammenarbeiten sollen, sich aber nicht verstehen. Deshalb wird sich die Linie von Karl Sibelius letztlich durchsetzen. Wenn er den Neuanfang so radikal will, dann geht es eben nicht anders. Eines muss dem künftigen Chef aber klar sein: Wenn er gar nicht erst versucht, wichtige Eckpfeiler und große Talente des Ensembles in irgendeiner Form zu binden, dann steigt die Erwartungshaltung gegenüber ihm und "seinem" Personal in gefährliche Höhen. d.lintz@volksfreund.de

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