Ohmsches Gesetz? Molmasse? Alles längst vergessen!

Trier · Für Richard David Precht ist klar: Unsere Kinder werden mit funkelnden Augen eingeschult und verlassen Jahre später gelangweilt die Schule. Beim Empfang des evangelischen Kirchenkreises Trier ruft er in der Basilika die Bildungsrevolution aus und erklärt, wie Schüler wieder eine Chance auf ein erfülltes Leben bekommen.

Trier. 800 Lehrer, Eltern, Schüler und Studenten, Gäste aus Politik und Gesellschaft sowie interessierte Bürger sind gekommen. Der evangelische Kirchenkreis Trier lud ein zum traditionellen Neujahrsempfang in der Konstantinbasilika. Prominenter Redner: der Philosoph und Autor Richard David Precht. Er fordert: "Wir brauchen keine Bildungsreformen, wir brauchen eine Bildungsrevolution." Die Motivation zur Veranstaltung bringt Jörg Weber, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Trier, auf den Punkt: "Wir möchten mit diesem Format zur gesamtgesellschaftlichen Diskussion, wie wir Bildung an den Mann bringen können, anregen - und auch selbst angeregt werden."
Dann schreitet Precht unter Applaus zur Bühne und stellt gleich fest: So wie Bildung heutzutage an den Mann gebracht wird, genau so sollte es nicht sein. "Wir müssen uns bewusst machen, was der eigentliche Sinn von Schule ist, nämlich Kindern eine Chance auf ein erfülltes Leben zu geben", sagt Precht. Im digitalen Zeitalter sei reines Wissen kaum mehr etwas wert, da jeder es nachschlagen könne. Doch die Schulen seien darauf nicht vorbereitet und verharrten noch in alten Strukturen. "Von dem was Sie in der Schule gelernt haben, sind heute vielleicht noch zwei Prozent an Wissen übrig." Ungläubige Blicke kreuzen sich zwischen den Reihen. Doch Precht testet sogleich das Wissen seines Publikums. Was ist das Ohmsche Gesetz? Wie berechnet man Molmassen? Schweigen, eine Hand hebt sich. "Das haben Sie alles in der Mittelstufe gelernt, doch Sie wussten, dass Sie das nach der Klausur wieder getrost vergessen können." Nach und nach hangelt sich Precht durch seine Kritik, fordert die Abschaffung der Ziffernoten und der brechend vollen Lehrpläne, plädiert für mehr Projektarbeit in den sonst starren Fächern und spricht sich für eine "lerngerechte Architektur" der Schulgebäude aus. Zudem müsse man angehende Lehrer stärker als bisher nach Begabung auswählen und mehr Teamgeist statt Einzelkämpferverhalten fördern.
Natürlich provoziert Precht, aber es wirkt: Auf den Bänken der Basilika wird gespannt zugehört, zwischendurch bricht immer wieder Applaus aus. Nach Prechts Vortrag diskutieren die Anwesenden weiter und können Fragen stellen. "Es muss sich einiges bewegen in unserem Bildungssystem, und aus meiner Erfahrung in der Schule habe ich hier viel Richtiges wiedererkannt", sagt eine Lehrerin des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums. Auch Bettina Kügl, Mutter und selbst in der Kinder- und Jugendarbeit tätig, ist begeistert: "Das was Precht fordert, ist eine gute Sache, wenn es denn so kommen wird."
Doch wenn sich alle einig sind, wieso gibt es dann keine Bildungsrevolution? Precht: "In der Politik herrscht bei dem Thema Bildung ein Angststillstand, weil man damit Wahlen verlieren kann und Eltern auf die Barrikaden bringt. Ich glaube, dass es mit etwas Mut aber auch Wahlen gewinnen kann."

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