"Alle zwei Stunden eine Vergewaltigung"

Aneeqa Maria Anthony ist Juristin in Pakistan. In der von ihr mitbegründeten nichtstaatlichen Hilfsorganisation "The Voice" setzt sich die Christin ist in ihrer Heimat für Menschenrechte und Frauenrecht ein und kämpft gegen die Verelendung von Frauen und Kindern. In Wittlich nahm die Anwältin eine Spende der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IFGM) Arbeitsgruppe Wittlich entgegen. Das Geld stammt aus der TV Aktion "Meine Hilfe zählt". Mit TV-Mitarbeiterin Eva-Maria Reuther sprach die Juristin über die Lage von Christen und Frauen in Pakistan.

 Anwältin Aneeqa Maria Anthony (vorne) spricht über Menschenrechtsverletzungen in Pakistan. Mit dabei Carmen Jondral, Vorstandsmitglied der IGFM Wittlich. TV-Foto: Eva-Maria Reuter

Anwältin Aneeqa Maria Anthony (vorne) spricht über Menschenrechtsverletzungen in Pakistan. Mit dabei Carmen Jondral, Vorstandsmitglied der IGFM Wittlich. TV-Foto: Eva-Maria Reuter

Frau Anthony, wie beurteilen Sie die aktuelle Menschenrechtssituation in Pakistan?Aneeqa Maria Anthony: Die Situation ist derzeit wirklich kritisch. Sie war immer schon schlecht, aber im Laufe der Zeit ist sie sehr viel schlimmer geworden. Seit Einführung der Scharia, dem islamischen Recht, ist die Lage für Minderheiten besonders bedrohlich. Mit dem demokratischen Recht konkurriert das religiöse.Wie geht es dabei der christlichen Minderheit?Anthony: Da in Pakistan von Beginn an der Islam Staatsreligion war, waren die Christen von Anfang an verfolgt und diskriminiert. Zudem stellen sie mit nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung eine ganz kleine Minderheit dar. Nach dem 11. September ist ihre Lage noch schwieriger geworden. Es sind seitdem eine ganze Reihe Gesetze verabschiedet worden, die Christen und Nichtmoslems benachteiligen. Darunter das Blasphemiegesetz, das Fälle von Gotteslästerung ahndet. Christen können ihren Glauben nicht öffentlich bekennen oder sich öffentlich zu Gottesdiensten treffen. Sie werden terrorisiert. Sogar Kirchen wurden angezündet. Außerdem ist der Einfluss der Taliban größer geworden. Ziel ist die Zwangskonvertierung der Christen zum Islam. Viele Moslems in Pakistan glauben nach dem 11. September und als Folge des Krieges in Afghanistan, dass alle Christen Agenten der Amerikaner seien.Welchen Bildungsstand haben die pakistanischen Christen und wie sind ihre wirtschaftlichen Verhältnisse ?Anthony: Die pakistanischen Christen sind meistens arm. Zudem besitzen in Pakistan nur etwa 35 Prozent der Bevölkerung eine Schulbildung, davon sind zwei bis drei Prozent Christen. Viele Eltern können sich gar keinen Schulbesuch ihrer Kinder leisten. Die Kinder müssen schon früh mitarbeiten. Das ist einer der Gründe, warum wir sogenannte "Street schools" eingerichtet haben. Die Kinder werden auf der Straße unterrichtet, wenn dafür Zeit ist, damit sie wenigstens Grundkenntnisse wie Lesen und Schreiben erwerben. Auf diese Weise können sie lernen und trotzdem bei ihren Eltern mithelfen. Im übrigen findet auch wer über eine Ausbildung verfügt, nur schwer eine Arbeitsstelle. Christliche Familien haben keinen Anspruch auf staatliche Fürsorge. Wenn der Vater stirbt, werden Kinder manchmal aus Not verkauft. Mädchen landen in der Prostitution, Jungen werden von militanten Gruppen gekauft und sogar zu Selbstmordattentätern ausgebildet.Die pakistanische Gesellschaft ist eine Männergesellschaft. Wie ist darin die Situation der Frauen?Anthony: Sie ist sehr schlecht. Pakistan gilt heute als eines der gefährlichsten Länder für Frauen. Die Frauen leiden dort ganz allgemein. Sie verfügen in den meisten Fällen weder über eine ausreichende Gesundheitsfürsorge noch über schulische Bildung. Aber selbst Frauen, die lesen und schreiben können, kennen kaum ihre Rechte. Zudem gibt es keine Kriminalstatistik über Delikte an Frauen. Sie sind der männlichen Gewalt ausgeliefert. Frauen werden Opfer von häuslicher Gewalt, Säureattacken, Verstümmelungen und Verbrennungen so wie von "Ehrenmorden". Die Armut fördert zudem die Prostitution. Den christlichen Frauen geht es besonders schlecht, weil sie nur wenige und dazu arm sind und keinen politischen Rückhalt haben. Es ist daher einfach, sie zum Konvertieren zu zwingen, sie zu missbrauchen oder zu vergewaltigen. Letzteres ist besonders einfach, weil über Vergewaltigung und Missbrauch nicht gesprochen wird, um nicht als unehrenhaft zu gelten. Nach Angaben der Menschenrechtskommission in Pakistan werden jährlich mehr als 1000 Frauen und Mädchen Opfer von "Ehrenmorden". Alle zwei Stunden wird eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt. Nicht selten sind die Vergewaltiger sogar Polizisten.Wie hilft "Voice" gegen solche Missstände?Anthony: "The Voice" ist eine gemeinnützige, politisch unabhängige Nichtregierungsorganisation. Wir leisten juristische Hilfe und Rechtsbeistand für Christen, in sogenannten Blasphemie Prozessen. Wir kämpfen für Frauenrecht und arbeiten in der Frauenförderung. Wir vertreten Frauen, die Opfer von Gewalt und Unrecht wurden vor Gericht. Wir bieten Kindern, die von ihren verarmten Eltern verkauft werden sollen, ein Zuhause. erExtra

Aneeqa Maria Anthony wurde 1981 geboren. Die Rechtsanwältin und Christin aus Lahore/Pakistan, setzt sich mit der von ihr geleiteten Organisation Voice seit Jahren unter Einsatz ihres Lebens für Menschenrechte in ihrer Heimat und die Wiederherstellung der Rechte der Opfer ein. Bei ihrem diesjährigen Besuch in Europa informiert sie über die Menschenrechte in Pakistan und speziell über Frauen und Christen in einer streng islamischen Gesellschaft. Die IGFM unterstützt Anthonys Arbeit.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort