"Damals lagen die Nerven blank": Am 1. Oktober 1994 räumen die Amerikaner die Air Base Bitburg

Bitburg · Die Stadt hielt kurz den Atem an, 1994. Damals fiel der ehemalige Nato-Stützpunkt Air Base Bitburg nach 42 Jahren zum 1. Oktober 1994 zurück an die Bundesrepublik. Es galt, eine Perspektive für die Fläche von 500 Hektar zu finden. Heute siedeln dort 178 Unternehmen, die rund 1400 Arbeitsplätze bieten. Eine Erfolgsgeschichte.

Bitburg. Jetzt gehen die Lichter aus. Diese Angst trieb viele um in Bitburg, in der Stunde Null am 1. Oktober 1994. Nach 42 Jahren hatten die Amerikaner zum Ende des US-Haushaltsjahres am 30. September (siehe Extra) die Air Base zurück an die Bundesrepublik gegeben. Die Sorge vor Arbeitslosigkeit ging um. Allein 600 Deutsche waren auf dem Flugplatz in Lohn und Brot.
"Etliche weitere Betriebe, ob Handwerker oder Bäckerei, hingen indirekt von der Base ab", sagt der damalige Landrat Roger Graef. 12 000 Amerikaner lebten einst in Bitburg - heute sind es nur noch knapp 2000. Stadt und Umland gingen mit dem Militär rund 200 Millionen Mark Kaufkraft im Jahr verloren.20 Jahre Konversion


"Wir waren konsterniert", erinnert sich der damalige Bürgermeister Horst Büttner. Man sei davon ausgegangen, dass Bitburg, wenn überhaupt, dann als letzte Base in Deutschland schließt. Es kam anders. "Wir hatten nicht viel Zeit, Wunden zu lecken. Die Ärmel wurden aufgekrempelt, der Zweckverband wurde gegründet", erzählt Büttner. In dem Verband engagieren sich seither Kreis, Stadt, die Verbandsgemeinde Bitburg-Land sowie die beiden Ortsgemeinden Scharfbillig und Röhl als direkte Anrainer des mit 500 Hektar riesigen Flugplatz-Geländes. Die Umnutzung stellte alle vor eine Herausforderung. "Die Nerven lagen blank", sagt Graef. Allein die Größe des Geländes - zum Vergleich: Bitburgs Innenstadt misst rund zehn Hektar - kann erschlagend wirken. Die Suche nach einem Großinvestor scheiterte. Die Idee einer kleinteiligen Vermarktung wurde aus der Not geboren. Schnell hatte der Zweckverband 70 ansiedlungswillige Firmen an der Hand - und erteilte deshalb 1995 einem Niederländer, der einen orientalischen Basar mit fliegenden Händlern entwickeln wollte und zwei Millionen Euro für das Areal bot, eine Absage.
Nicht nur die Größe des Geländes, auch die 500 Gebäude machten Sorge. Um Vandalismus und Verfall vorzubeugen, ließ der Bund die Bauwerke heizen und bewachen. Die meisten der alten Militärgebäude stehen noch heute. Es sind Produktionshallen und Büros von Firmen. 178 Unternehmen, die zusammen rund 1400 Arbeitsplätze bieten, siedeln heute auf dem Flugplatz - darunter Handwerks- und Industriebetriebe, aber auch das Jugend- und Sporthotel sowie der Eifelstern, die 1500 Betten und damit auch einen touristischen Aufschwung für Bitburg bringen. "Das war eine sehr erfolgreiche Partnerschaft mit Bund und Land. Es war das erste Mal, dass der Bund die Einnahmen, die er durch die Veräußerung von Gebäuden und Flächen erzielte, wieder in die Infrastruktur und weitere Erschließung des Areals reinvestierte", sagt Graef.
Das so genannte "Bitburger Modell" war geboren, bei dem der Bund 50 Prozent, das Land 45 und der Zweckverband fünf Prozent der Erschließungskosten trägt. Mehr als 30 Millionen Euro wurden bisher investiert. Aktuell wird eine weitere Fläche von 30 Hektar erschlossen. Das Bitburger Modell sollte bundesweit bei Konversionsprojekten Schule machen.
Der TV beleuchtet in einer Reihe das Thema "20 Jahre Konversion" - von geplatzten Träumen bis zur heutigen Situation.Meinung

Gewagt, gewonnen
Das Verantwortungsbewusstsein, mit dem hiesige Politiker sich vor 20 Jahren dafür stark machten, das Flugplatz-Areal selbst zu vermarkten, verdient Respekt. Sie hätten das auch der Bundesimmobilienanstalt überlassen können. Von diesem Verantwortungsbewusstsein lebt das Bitburger Modell, ohne diesen Gestaltungswillen wäre es nie zustande gekommen. Inzwischen sind die Verhandlungspartner längst ein eingespieltes Team. Nichts liegt näher, als die erfolgreiche Partnerschaft von Zweckverband, Bund und Land nun auch bei der Konversion der Kasernen sowie zukünftig der Housing fortzusetzen. d.schommer@volksfreund.deExtra

Helmut Berscheid, ab 1994 Sachbearbeiter im Fachbereich Konversion der Kreisverwaltung, ab 1995 Geschäftsführer des Zweckverbands Flugplatz: "Rückblickend kann man sagen: Wir haben mehr erreicht, als man damals zu hoffen wagte. Es ist nicht zu dem befürchteten wirtschaftlichen Zusammenbruch gekommen." Klaus Zimmermann, Inhaber des Stadtplanungsbüros Isu, seit 1994 mit an Bord: "Ich hätte damals nicht geglaubt, dass auf dem Flugplatz eine so große Zahl an Arbeitsplätzen entsteht. Perspektivisch würde ich mir wünschen, dass die Stadt den Flugplatz noch stärker als Teil des gesamten Stadtgefüges begreift." Joachim Streit, Landrat Eifelkreis, 1996 bis 2009 Bürgermeister Bitburgs: "Die Entwicklung der Wohnbaugebiete und weiterer Gewerbeflächen im Stadtgebiet wurde gestoppt, denn der Flugplatz galt als größtmögliches Reservoir. Der Zweckverband hat bundesweit Beispiel für die Vermarktung anderer Militärflächen gegeben. Ich würde mich freuen, das Erfolgsmodell auch auf die Housing auszudehnen, wenn diese 2019 zurückgegeben wird." Axel Simon, Mitbegründer der Entwicklungs- und Betriebsgesellschaft Flugplatz Bitburg (EBFB), die 2002 in der Flugplatz GmbH aufgegangen ist: "Was uns alle umtrieb, war die Frage, wie es gelingen könnte, den Verlust von Hunderten Arbeitsplätzen und der Kaufkraft aufzufangen. Mit der Gründung der EBFB verbanden wir die Hoffnung, auch den flugbetrieblichen Teil, zu vermarkten. Ich würde mir wünschen, dass die fliegerische Option bei der weiteren Entwicklung des Flugplatzes beibehalten wird. Für Windräder und Solaranlagen gibt es geeignetere Standorte." Klaus Niebelschütz, Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Koblenz: Auch für uns war das eine Herausforderung, eine Liegenschaft in dieser Größenordnung zu übernehmen. Der Zweckverband, in dem sich mehrere Kommunen zusammengeschlossen und die Planungshoheit gebündelt haben, hat sich bewährt." schoExtra

 Riesig: Das Flugplatz-Areal rund um die Landebahn misst 500 Hektar. Auf rund 300 Hektar hat sich Gewerbe angesiedelt (links). TV-Foto: Archiv

Riesig: Das Flugplatz-Areal rund um die Landebahn misst 500 Hektar. Auf rund 300 Hektar hat sich Gewerbe angesiedelt (links). TV-Foto: Archiv

Perestroika und Glasnost: Michael Gorbatschow leitete in der UdSSR ab 1986 eine Öffnung zum Westen ein. Dieser Umbau (Perestroika) sowie die Aufhebung der Meinungs- und Pressefreiheit (Glasnost) waren Wegebereiter für die Wiedervereinigung Deutschlands (1989/90) und die Auflösung des Warschauer Paktes (1991). Die Veränderung des weltpolitischen Machtgefüges sowie der Sparzwang, unter dem US-Präsident Bill Clinton (1993 bis 2001) stand, waren Gründe für die Reduzierung der Truppenstärke in Europa. Mitte 1993 war erstmals von einer "Teilschließung" der Base die Rede. Am 30. September 1994 war Schluss. scho

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