Der Mensch denkt, das Auto lenkt: Der Weg zum vollautomatischen Fahren ist noch weit

Trier · Autonomes Fahren, also der Individualverkehr, in dem die Technik statt des Menschen das Heft des Handelns übernimmt, erfordert die Schaffung von völlig neuen Rahmenbedingungen im Verkehr. Auf dem Weg dahin werden uns aber schon die vorhandenen Assistenzsysteme helfen, sagt Verkehrsexperte Professor Peter König von der Hochschule Trier.

Trier. Die Liebe zum und die Auseinandersetzung mit dem Automobil sind unverkennbar in diesem Raum: Konstruktionszeichnungen des meist verkauften Mercedes-Benz, der Baureihen W 114 und W 115 (besser bekannt als "Strich acht") und des 911er Vorgängers Porsche 356 an den Wänden des Büros von Peter König lassen unschwer erkennen: Der Mann, der hier lehrt und forscht, ist mehr als nur ein dozierender Hörsaal-Täter. Dieser Mensch hat Benzin im Blut.
Seit vier Jahren arbeitet König als einer der führenden Köpfe des Instituts für Fahrzeugtechnik (ift) auf dem Trierer Hauptcampus. Darüber hinaus gilt er als gefragter Moderator und Kommunikator bei diversen Fach-Kongressen. So auch kürzlich beim Symposium des Deutschen Instituts für Qualitätsförderung (DIQ) in Wuppertal. Sein Credo dort: "Es gibt viele Erwartungshaltungen an das autonome Fahren als zentrales Element zukünftiger Mobilität. Aber wir dürfen den Menschen mit seiner Intuition und seiner einzigartigen Fähigkeit, sich in Echtzeit auf neue Situationen anzupassen, nicht aus dem Regelkreis des Verkehrs herausnehmen."
König, das wurde bei unserem Besuch bald deutlich, ist mehr als nur promovierter Fahrzeug-Techniker. Der Trierer Hochschul-Lehrer ist Visionär und Querdenker gleichermaßen. Weshalb er die Zukunft des (autonomen) Fahrens auch nicht nur als eine Frage des technologischen Fortschritts und der Weiterentwicklung von Automobilen sieht. "Ein programmiertes Fahrzeug ohne Pedale oder Lenkrad wird seinen Weg auch dann nehmen, wenn unvorhergesehene Situationen eintreten". Ein humanes Wesen als ausführendes Organ dagegen reflektiere und treffe erst danach seine Entscheidung. "Der Mensch überlegt, ob spielende Kinder, die er wahrnimmt, eventuell auf die Straße laufen könnten. Er handelt nach situativem Ermessen. Diese Reflexe haben wir im Auto bei weitem noch nicht."
Doch es gelte nicht nur ethisch vertretbare und haltbare Entscheidungen in kritischen Situationen zu treffen. In Autos, die nicht nur mit ihrer Umwelt, sondern auch in zunehmendem Maße mit anderen Fahrzeugen vernetzt seien ("Car-to-Car"-information), würden auch die Insassen zum "gläsernen Passagier." Dennoch gebe es auf diesem Feld ein ungeheuer großes Potenzial.
Die Vernetzung von Fahrzeugen untereinander oder mit den großen Verkehrsströmen sei technisch durchaus machbar und böte auch eine massive Erhöhung der Verkehrssicherheit. Doch bei der Verquickung von öffentlichem Nahverkehr und Privatsphäre müssten auch Versicherer und Gesetzgeber mitspielen: "Der Gesetzgeber kennt nur ein Auto, das ein menschlicher Fahrer im Griff hat. Und dafür ist dieser auch verantwortlich."
Sobald natürlich das autonome Auto die Entscheidungen trifft, wird man die alleinige Verantwortlichkeit des Fahrers für Fahrfehler überdenken müssen, vielleicht muss man dann den Fahrzeughersteller mit in die Haftung ziehen. Hier gibt es noch viele offene Fragen, die derzeit von Juristen intensiv diskutiert werden.
Auch untersuchen die Versicherungen derzeit genau, ob Fahrzeuge der Premiumklasse mit Stauassistent, Kollisionswarner und Notbremssystem im Unfallgeschehen positiv auffallen und so bald günstiger gestellt werden können als ein spartanisch ausgestattetes Kompaktfahrzeug.
Die Rechtsunsicherheit werde auch bei Entwicklungen wie dem europäischen Unfallmeldesystem "e-call" deutlich. Viele in die Fahrzeug-Telematik programmierten Apps geben nicht nur den Standort des verunglückten Autos weiter, sondern informieren auch den nächsten Abschleppdienst oder die nächste Werkstatt. Doch in einigen Fällen ist das "e-call"-System bereits so programmiert, dass lediglich die nächstgelegene Werkstätte der eigenen Marke informiert werde. Die aber könne oft viel weiter entfernt sein, als die tatsächlich am schnellsten Erreichbare.
Wie die Vorteile, die die digitale Kommunikationstechnik in Verbindung mit den Assistenzsystemen im Auto in fortschreitendem Maß bieten, konkret genutzt werden können, kann für Trier mit seiner kritischen topologischen Lage gut erläutert werden: "Der Verkehrsfluss durch Trier orientiert sich zum großen Teil am Verlauf der Mosel. Die Brücken werden immer Nadelöhre sein und Kreisverkehre zur Verbesserung des Verkehrsflusses brauchen viel Platz und funktionieren unter diesen Umständen nur begrenzt", sagt der in Konz wohnende König. Er spricht sich dafür aus, beispielsweise die Ampeln noch flexibler zu steuern - um Staus zu reduzieren.
Das Fazit des Trierer Verkehrsexperten: Das Szenario, bei dem der Mensch auf dem Rücksitz schläft und sich von seinem Auto stau-, stress- und unfallfrei kutschieren lässt, wird noch lange auf sich warten lassen. Dennoch, der Weg von den Assistenzsystemen über ein automatisiertes Fahren bis hin zum vollautonomen Fahren ist längst eingeschlagen, auch wenn das im wahrsten Sinne des Wortes ein "schleichender" Prozess ist: "Unsere Autos parken uns schließlich teilweise schon selbst ein, ohne dass wir einen Finger bewegen müssen." Auf diesem Weg und in unserem heutigen Verkehrsumfeld aber, fordert König, "muss der Mensch mit seiner Intuition definitiv im Regelkreis der Entscheidungen bleiben."Extra

In der Diskussion um selbstfahrende Autos gibt es unterschiedlich weitreichende Möglichkeiten. Der Automobilverband VDA unterscheidet drei Stufen. Beim teilautomatisierten Fahren muss der Fahrer die Assistenzsysteme ständig überwachen, also weiter aktiv mitfahren. Das hochautomatisierte Fahren soll den Autofahrer weiter entlasten. Das System warnt den Fahrer rechtzeitig vor, wenn es selbst nicht mehr reagieren kann und er eingreifen muss. Das vollautomatisierte Fahren entspricht dem landläufigen Verständnis eines Autopiloten. In dieser Stufe könnte der Fahrer auch auf dem Rücksitz Platz nehmen. Damit rechnen die Hersteller aber erst in der kommenden Dekade. dpaExtra

Die Chancen: Dass Fahrer-Assistenzsysteme und das autonome Fahren große Wachstumschancen haben, wird von Experten kaum bezweifelt. Laut der Unternehmensberatung Roland Berger etwa dürfte sich der Markt für Assistenzsysteme bis 2020 mehr als verdreifachen. Die Konkurrenten: Seit fünf Jahren versucht Google, Autos selbst fahren zu lassen (Foto: dpa). Der Internetkonzern schätzt, dass das in rund zehn Jahren für jedermann möglich sein dürfte. Auch Autohersteller und Zulieferer treiben die Automatisierung des Autos voran. Mit vernetzter Verkehrsbeobachtung sollen Autos zum Beispiel nicht nur einparken, sondern vorher auch selbsttätig einen passenden Parkplatz finden. Die Visionen: Google entwickelt ein Auto von Grund auf neu. Die Idee: Ein Fahrzeug mit zwei Knöpfen, ein grüner zum Starten und ein roter Not-Aus-Knopf. Im Unterschied dazu setzen VW, Daimler & Co. eher darauf, das Fahren selbst zu erhalten. So sollen bei Mercedes Lenkrad, Gas und Bremspedal Bestandteile jedes Wagens bleiben. dpaExtra

In Deutschland steht der Verbreitung von Roboterautos vor allem das Verkehrsrecht im Weg. Die Bundesrepublik hat wie die meisten Länder auf der Welt - außer den USA - das Wiener Abkommen unterschrieben. Dieses sieht bislang vor, dass der Fahrer quasi immer die Hände am Lenkrad hat. Fragen, die ebenfalls geklärt werden müssen, sind die der Haftung bei Unfällen und ob die bisherige Straßenverkehrsordnung dafür ausreicht. dpa

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