Hier geht nichts verloren: Hetzerather Projektwerkstatt Zukunft sammelt bedrohtes Wissen

Hetzerath · Wer sein Wissen und seine Gedanken mit anderen Menschen teilen möchte, kann das entweder in den sozialen Netzwerken des Internets tun oder aber nach Hetzerath kommen. Dort nämlich ist der Sitz des Vereins Projektwerksatt Zukunft – Akademie zur Bewahrung bedrohten Wissens und für ein besseres Miteinander.

Drei Weltverbesserer, eine Erbschaftsauseinandersetzung, ein alter Apothekerschrank mit 112 Schubladen, ein großes, blaues Haus, das ursprünglich ganz woanders stand und ein Blatt mit zitierten Sätzen, die so nie gesagt wurden.

Es gäbe viele Möglichkeiten, in diesen Text einzusteigen. Der Autor schwankt zwischen Apothekerschrank und Erbschaftsauseinandersetzung, entscheidet sich dann aber für das blaue Haus, wo er von den drei Weltverbesserern freundlich empfangen wird. Gemeinsam sitzen sie in einem großen Raum. Auf dem Tisch Kaffee und Gebäck. Und ein Blatt mit zitierten Sätzen, die so nie gesagt wurden. Diese Sätze haben die Weltverbesserer zusammengestellt. Sollte die gemütliche Gesprächsrunde in einer Sackgasse enden, könnte der Autor notfalls auf dieses Blatt zurückgreifen. Der Zeitungsleser würde das nie erfahren. Doch vielleicht geht es ja auch so.

"Die Geschichte ist die, dass das Haus vorher im Schlosshof von Dodenburg gestanden hat", erklärt Harald Gruber. Er ist bekennender Württemberger und zudem freier Redakteur. Gruber erklärt, wie das Haus nach dem Zweiten Weltkrieg von Dodenburg nach Hetzerath kam. Die Dorfjugend habe dem Vorsitzenden des Sportvereins dabei geholfen. Das aus Holzelementen bestehende Haus sei erst in Dodenburg zerlegt, dann nach Hetzerath transportiert und dort dann schließlich vom damaligen Landarzt Oskar Krell errichtet worden. Deswegen ist das Haus bei älteren Dorfbewohnern auch als "Krells Haus" bekannt. Oder aber als "Schaddings Haus". Denn nach dem Landarzt hat in diesem Haus auch der langjährige Bürgermeister Carl Schadding gewohnt.

Danach stand das Haus lange Zeit leer. Im Zuge einer Erbschaftsauseinandersetzung ging das zwischenzeitlich stark heruntergekommene Gebäude schließlich in das Eigentum einer gemeinnützigen Stiftung über. Und diese Stiftung wiederum hat sich dazu entschieden, zur sinnvollen Nutzung und zum Erhalt des Hauses einen gemeinnützigen Verein zu gründen: Die Projektwerkstatt Zukunft - Akademie zur Bewahrung bedrohten Wissens und für ein besseres Miteinander.

Vorsitzende des Vereins ist Ilse Preis. Die promovierte Wirtschaftsgeografin und Sozialwissenschaftlerin, die auf einem Bauernhof in Hohenlohe aufgewachsen ist, arbeitet ebenfalls als Journalistin. Auch sie ist eine Weltverbesserin. Genau wie Siglinde Krell, die in Kyllburg ihre Kindheit verbracht hat. Siglinde Krell ist die Schwiegertochter des einstigen Hausbesitzers und zudem Expertin für Steuern und Kräuter. Gemeinsam mit Harald Gruber komplettiert sie den Vorstand des Vereins.

Die Projektwerkstatt Zukunft versteht sich als Treffpunkt für Menschen, die in vertrauter Runde zusammenkommen, um ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Ideen mit anderen Menschen zu teilen. "Wir sind keine öffentliche Bildungsstätte", sagt Preis, "sondern wir wollen einen Kreis von Leuten bilden, der gemeinsam an Themen arbeitet." Dazu zähle beispielsweise Kreatives wie stricken, flechten, spinnen oder aber Poesie, aber es gehe auch um Themen wie naturnahes Gärtnern, genussvolles Essen und Trinken oder aber die Besinnung auf soziale Werte und das gemeinsame Nachdenken über Gott und die Welt. Einiges davon hat mit dem Bewahren alter Traditionen und Erinnerungen zu tun, anderes mit einer besseren Zukunft.

Um diese abstrakte Themensammlung an einem Beispiel zu verdeutlichen, verweisen die drei auf ihr erstes Angebot, das sich an alle Hetzerather Senioren richtet: das Archiv der schönen Erinnerungen. Die beiden Journalisten schreiben auf, was die Hetzerather so alles erlebt haben, retten mit digitaler Technik die vom Vergilben bedrohten Fotoalben und Diasammlungen und halten so die vielen Geschichten für kommende Generationen fest. Persönliche Erlebnisse, die für die Menschen wichtiger seien als das, was in allgemeinen Chroniken und Geschichtsbüchern stehe, erklärt Harald Gruber.

Heimat des Vereins, dem übrigens nicht nur Hetzerather, sondern Menschen aus aller Welt beitreten können, ist das blaue Holzhaus, das in den vergangenen vier Jahren in überwiegend ehrenamtlicher Eigenleistung grundlegend renoviert wurde. In diesem Haus steht auch der alte Apothekerschrank, den Siglinde Krell restauriert hat. Eigentlich war die Überlegung ja die, mit diesem Möbelstück in die Geschichte einzusteigen. Dafür ist es wohl nun zu spät. Schade eigentlich. Schließlich hat der Schrank doch 112 Schubladen.

Eine davon wird an dieser Stelle reserviert. Für das Blatt mit den zitierten Sätzen, die so nie gesagt wurden. Denn die stehen ja nun nicht in der Zeitung. Sie müssen deshalb an anderer Stelle für die Nachwelt aufgehoben werden.

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