Esperanto-Idylle in Bitburg: Fans aus aller Welt treffen sich in der Bierstadt und feiern gemeinsam ins neue Jahr

Bitburg · Esperanto sollte einst die neue Weltsprache werden. Auch wenn das nicht geklappt hat: Die Wörter, die ein polnischer Arzt im 19. Jahrhundert erfand, werden heute noch gesprochen – derzeit sogar in Bitburg. Mehr als 150 Menschen aus unterschiedlichen Ländern haben sich über Silvester in der Bierstadt getroffen, um gemeinsam ihrem Hobby nachzugehen und ins neue Jahr zu feiern.

Sie sollte Verständigungsprobleme aus dem Weg räumen, unterschiedliche Herkünfte aufheben und Menschen einander näher bringen: Mit diesem Ziel erschafft der polnische Arzt Ludwik Lejzer Zamenhof im Jahr 1887 eine neue Sprache. Das erste Lehrbuch gibt er unter dem Pseudonym "Doktor Esperanto" heraus - und bezeichnet sich damit als "Hoffender". Der Begriff steht heute nicht mehr nur für ihren Erfinder, sondern für die Sprache selbst. Esperanto, das ist eine konstruierte Sprache, erdacht aus Wörtern mit romanischen und germanischen Wurzeln und gebaut aus einer Grammatik, die den einfachsten Regeln folgt.

128 Jahre später hat sie zwar keinen Weltfrieden, aber doch Menschen zusammen gebracht - und zwar in Bitburg: Dort haben sich mehr als 150 Teilnehmer aus einem Dutzend Ländern - darunter Belgien, Norwegen, Spanien und Kanada - zum 13. internationalen Esperanto-Neujahrstreffen eingefunden, organisiert vom Verein EsperantoLand mit Sitz in Berlin. Zusammen feiern sie nicht nur den Beginn des neuen Jahres, sondern verbringen eine ganze Woche miteinander - bei Theater und Konzerten, Bastel-, Jonglier- und Tanzkursen und Ausflügen in die Region. Miteinander sprechen sie dabei natürlich in ihrer Sprache: Esperanto. Untergebracht sind die Teilnehmer, darunter auch etwa 40 Kinder bis zwölf Jahren, noch bis Sonntag, 4. Januar, im Youtel - und egal wen der Vereinsvorsitzende Louis Ferdinand von Wunsch-Rolshoven auf den Fluren des Jugendhotels auch trifft: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es ein alter Bekannter ist. Bei 150 Teilnehmern seien etwa 30 neue Gesichter dieses Jahr dabei, erzählt er. Den Rest aber kenne er schon von früheren Treffen.

Auch in Bitburg sind die Esperanto-Fans nicht zum ersten Mal: 2011 hat man in der Bierstadt schon mal Silvester gefeiert. Gründe, die für den Ort sprechen: "Das große Haus und die Region zwischen Saarbrücken und Xanten", sagt von Wunsch-Rolshoven. Auch in Jülich, in Herzberg am Harz und in Schloss Grésillon bei Baugé in der Loire-Region geht man gemeinsam in das neue Jahr. Diese Tradition gebe es in Deutschland seit 1957, erzählt von Wunsch-Rolshoven: "Die Esperanto-Jugend hatte damals die Idee." Daraus hätten sich die einwöchigen Treffen entwickelt.

Für viele mag es eine von wenigen Möglichkeiten sein, sich in der Sprache tatsächlich zu üben - denn die ist an kein Land gebunden. Genaue Zahlen zu den Sprechern gibt es nicht. Von Wunsch-Rolshoven geht davon aus, "dass ein paar hunderttausend Menschen auf der Welt die Sprache regelmäßig sprechen, ein knappes Zehntel davon in Deutschland." Er verweist darüber hinaus auf "moderne Möglichkeiten" - sprich: das Internet.

"Mehr Vernetzung ermöglichen" will auch Teilnehmer Frank Merla aus der Lüneburger Heide. Deshalb hat er ein eigenes Projekt ins Leben gerufen: Er pflegt eine Art "Mitmachplattform" für Esperanto-Fans - über seine Internetseite maklarejo.de hat er auch in Bitburg einen Vortrag gehalten. Es ist sein erstes Neujahrstreffen, erzählt er, aber er habe schon viele Zusammenkünfte mitgemacht, und sei da, um alte Freunde zu treffen, aber auch, weil ihn die angebotenen Kurse interessieren - "wie diese Übung hier, der Vergleich mit anderen Sprachen." Einer Übersetzungsrunde hat Merla sich angeschlossen - im Hauskino des Youtels bespricht Dozent István Ertl mit ihm und weiteren Teilnehmern aus Deutschland und Dänemark einen Text - definitiv für Fortgeschrittene: Es handelt sich um eine Pressemitteilung des Europäischen Rechnungshofs zu EU-Hilfen nach dem Erdbeben in Haiti 2010. Dabei geht es nicht nur um die reine Übersetzung ins Esperanto, sondern auch um die Variationen in den verschiedenen Sprachen, in denen der Text vorliegt, und die spannende Frage, welches Land welche Formulierung wählt - oder ganz auf sie verzichtet. Dozent Ertl bringt eine weitere Sprachebene mit ins Spiel: Er ist Ungar.

Auch ganz normale Sprachkurse werden angeboten - Merla hat sich Esperanto selbst beigebracht, nachdem ein Infoblatt mit der Grammatik auf zwei Din-A-4-Seiten (wie einfach die Sprache tatsächlich funktioniert: siehe Extra) auf einer Verbrauchermesse in Hamburg 1974 sein Interesse geweckt hatte. Er erzählt von seinem Schlüsselerlebnis: "Ich habe meinen ersten Satz gesprochen - zu ein paar Serben. Und die haben mich verstanden und mir geantwortet. Und ich habe sie verstanden. Das war eine verbindene Erfahrung." Da habe er gemerkt, dass die Idee einer internationalen Sprache funktioniere.

Als international bedeutendste Sprache gilt zweifelsohne Englisch - und auch von Wunsch-Rolshoven weiß, dass der Traum des Erfinders, dass die ganze Welt einmal Esperanto spreche, nicht wahr geworden ist (hofft aber noch ein bisschen darauf). Er spreche auch gern Englisch, aber der Verwendungszweck sei ein anderer und die Sprachgemeinschaft auch: "Englisch ist eine praktische Sprache, dafür da, Dinge zu erledigen, sich Infos zu beschaffen. Wenn ich Esperanto spreche, fühle ich mich mit Menschen aus allen Ländern verbunden." Die Leute bei den Treffen seien wie eine Großfamilie für ihn. Und der Silvesterabend? "Nichts besonderes", meint von Wunsch-Rolshoven bescheiden: Buffet, Tanz, Feuerwerk. Und hat für die TV-Leser noch einen Wunsch - auf Esperanto, versteht sich: Felican novan jaron (ein glückliches neues Jahr)!
Extra: So funktioniert die Sprache

Esperanto sei deutlich schneller als andere Sprachen zu lernen, sagt Louis Ferdinand von Wunsch-Rolshoven, Vorsitzender des Vereins EsperantoLand. "Etwa in einem Drittel der Zeit." Das liegt daran, dass Esperanto in der Struktur sehr einfach gehalten ist - drei Beispiele: So wird selbst das in vielen Sprachen unregelmäßige Verb "sein" wie alle anderen Verben konjugiert, also immer gleich: "mi estas" (ich bin), "vi estas" (du bist), li estas (er ist).
Es gibt eine Reihe von Silben, mit denen man neue Wörter zusammensetzen kann: Heißt "bona" gut, so steht "malbona" für schlecht - "mal" drückt also das Gegenteil aus. "Aber auch hier muss man Vokabeln lernen", sagt von Wunsch-Rolshoven. "Wobei sich auch da Zamenhof Gedanken gemacht hat, denn viele Wörter gibt es auch in anderen Sprachen." Der Wortschatz entstammt überwiegend aus romanischen Sprachen, aber auch aus dem Deutschen und Englischen. eib

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