Prozess vor dem Landgericht Trier: Opfer von psychisch krankem Gewalttäter sagt aus

Trier · Ein 21-Jähriger greift einen Menschen an, würgt ihn bis zur Bewusstlosigkeit und tritt ihm gegen den Kehlkopf, als er schon am Boden liegt. Er steht deshalb zwar vor Gericht, wird aber keiner Straftat angeklagt, denn er ist psychisch krank und nicht schuldfähig.

 Recht und Gerechtigkeit symbolisiert die Statue der Justitia. Foto: i-stock

Recht und Gerechtigkeit symbolisiert die Statue der Justitia. Foto: i-stock

Ein Prozess vor der Ersten Großen Jugendkammer des Trierer Landgerichts wird zum Lehrstück über einen der sensibelsten und schwierigsten Bestandteile des Strafrechts. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die Hilfe für einen kranken Menschen mit dem Schutz der Allgemeinheit vor den Taten, die er aufgrund seiner Erkrankung begeht, verbunden werden kann. Muss der 21-jährige Beschuldigte dauerhaft in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung eingewiesen werden, weil in Freiheit die Gefahr zu groß ist, dass er wieder jemanden angreift?

Im Juli 2014 wurde der aus Trier stammende junge Mann in der psychiatrischen Abteilung des Mutterhauses betreut. In dieser Abteilung griff er einen anderen Patienten an. Er würgte den damals 59 Jahre alten Mann, bis dieser sich nicht mehr bewegte, und trat ihn danach noch gegen den Kehlkopf. Mehrere Pfleger konnten ihn nur mit Mühe bändigen. Das Opfer erlitt einen Herzstillstand, überlebte aber dank des schnellen und beherzten Eingreifens einer Ärztin.

Der 21-Jährige hat diese Tat bereits am ersten Tag seines Prozesses Mitte Januar gestanden (der TV berichtete). Seine Worte: "Ich wollte ihm die Kehle durchschneiden. Weil kein Messer da war, habe ich ihn gewürgt." Das Gericht unter dem Vorsitz von Albrecht Keimburg zweifelt weder an diesem Geständnis noch an der Erkrankung des Beschuldigten. Auch die Staatsanwaltschaft geht von einer psychischen Störung mit Realitätsverlust aus. Es herrscht Konsens: Der 21-Jährige hat ohne Schuld gehandelt. Deshalb ist der Prozess kein Straf-, sondern ein Sicherungsverfahren (siehe Extra).

Der zweite Prozesstag am Dienstag wird emotional sehr intensiv, denn das Opfer des Angriffs sagt als Zeuge aus. Der heute 60-Jährige spricht mit einer extrem heiseren Stimme. "Eine Folge des Angriffs", erklärt er dem Gericht. "Eines meiner Stimmbänder wurde dabei beschädigt."

Der Vorsitzende Richter führt den Zeugen vorsichtig an die unvermeidbare Konfrontation mit dem Tag der Tat heran. "Ich kann mir vorstellen, dass das jetzt sehr schwer für Sie ist", sagt Albrecht Keimburg. Der 60-Jährige im Zeugenstand hält sich tapfer. Er war zum Zeitpunkt des Angriffs ebenso wie der Beschuldigte ein Patient der Psychiatrie im Mutterhaus, hat diesen Aufenthalt aber mittlerweile beendet. "Ich leide sehr unter den Folgen", sagt er vor Gericht. "Ich habe Alpträume und Panikattacken."

Der Beschuldigte sei am Tag des Angriffs einfach so in das Zimmer des Zeugen und späteren Opfers gekommen. "Er hat das schon öfter getan, ohne anzuklopfen", erzählt der 60-Jährige. "Ich habe ihn dann wieder rausgeschickt, weil ich das als sehr unhöflich empfand." Doch so weit kam es dieses Mal nicht. "Er hat gegrinst", erzählt der Zeuge. "Ich habe noch gedacht, er werde gleich einen Witz erzählen." Doch ohne ein weiteres Wort habe der 21-Jährige ihm einen Schlag gegen den Kehlkopf versetzt, ihn dann am Hals gepackt und gewürgt. "Mir wurde dann schwarz vor Augen. Ich bin erst auf der Intensivstation wieder aufgewacht."

Der Beschuldigte hat den Angriff in seinem Geständnis als Resultat seiner Wahnvorstellungen erklärt: Der Rapper Kollegah habe ihm "Dinge eingetrichtert", bis ihm die "Sicherungen durchgebrannt" seien. Ob auch Drogenkonsum eine Rolle gespielt hat, wird die Kammer noch klären. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.Extra

Wenn ein Tatverdächtiger wegen Gewaltdelikten vor Gericht steht und als gefährlich gilt, dabei aber schuldunfähig ist, tritt die Sonderform des Sicherungsverfahrens in Kraft. Ebenso wie bei einem Strafverfahren werden dabei die Tat und ihre Hintergründe durchleuchtet, doch das Gericht entscheidet nicht über eine Freiheitsstrafe, sondern über die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik oder einer Entziehungsanstalt. Die Schuldunfähigkeit regelt Paragraf 20 des Strafgesetzbuchs: "Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln." jp

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