Ein Fass hilft notleidenden Winzern: Vor 85 Jahren rollen sie ein Fuder Moselwein von Bernkastel-Kues bis Berlin

Bernkastel-Kues · Die große Not des moselländischen Winzerstandes in der Weimarer Republik hat vor 85 Jahren zu einer besonderen Aktion geführt, bei der ein Weinfass von Bernkastel-Kues nach Berlin gerollt wurde. Das Fass sollte auf die Sorgen der Moselwinzer hinweisen und die Menschen zum Konsum deutscher Weine anregen.

 Dieses Fass wurde im Jahre 1930 von Bernkastel-Kues aus in die Reichshauptstadt Berlin gerollt.

Dieses Fass wurde im Jahre 1930 von Bernkastel-Kues aus in die Reichshauptstadt Berlin gerollt.

Foto: Markus Philipps (phi) ("TV-Upload Philipps"

In der Weimarer Republik (1919 - 1933) hatten zahlreiche Winzer der Moselregion mit großen wirtschaftlichen Problemen und einer existenzbedrohenden Absatzkrise zu kämpfen. Diese Problematik war nicht nur durch die Weltwirtschaftskrise von 1929 und die bis 1930 andauernde Besetzung des Rheinlandes bedingt, sondern auch durch die starke Konkurrenz ausländischer Weine. Seinerzeit förderte die Zollpolitik der Reichsregierung billige Weinimporte, was bei den einheimischen Winzern großen Unmut hervorrief.

Um die Menschen im Deutschen Reich auf die Not des Winzerstands aufmerksam zu machen, rollten verzweifelte Moselwinzer vom 14. April bis Ende Juni 1930 ein Weinfass von Bernkastel-Kues über eine Strecke von 1200 Kilometern in die Reichshauptstadt Berlin. Das Fass hatte die Aufschrift: "Deutsche, trinkt unverfälschten Moselwein" und "Heil den notleidenden Winzern".Heimat- geschichte(n)


Darüber hinaus erklärte man: "Unser Bestreben ist (...), durch ganz Deutschland ein Originalfuderfaß zu rollen, um unsern deutschen Brüdern zuzurufen: "Deutsche, trinkt deutschen Wein". Ihr helft Eurem eigenen Volksblute und besonders jenem Teile, der über ein Jahrzehnt lang die schwere Zeit der Besatzung am eigenen Leibe gespürt und trotz aller extremen Bestrebungen treu für unser deutsches Land gekämpft hat."

Nur wenige Wochen später verabschiedete die Reichsregierung am 25. Juli 1930 ein neues Weingesetz, um die Situation der deutschen Weinwirtschaft zu verbessern. Es beinhaltete ein grundsätzliches Verbot des Verschnitts deutscher Weißweine mit ausländischen Weiß- oder Rotweinen. Bei den Rotweinen selbst wurde der Verschnitt mit fremden Rotweinen durch die neue Regelung eingeschränkt.

Als die Nationalsozialisten im Jahre 1933 an die Macht kamen, wurde die Landwirtschaft im Deutschen Reich gleichgeschaltet und die Organisation "Reichsnährstand Blut und Boden" (RNS) gegründet. Der RNS kontrollierte die gesamte Agrarproduktion des Reiches und leitete eine Reihe staatlicher Hilfsmaßnahmen für den notleidenden Winzerstand ein. Zu diesen Maßnahmen zählten unter anderem die Festsetzung des Umfangs von Rebflächen und eine Fixierung von Wein-Richtpreisen. Darüber hinaus wurde eine gezielte Propaganda für deutsche Weine betrieben. So wurde beispielsweise Ende August 1934 der "Tag des deutschen Weines" unter dem Motto: "Wein ist Volksgetränk - Weintrinken ist kein Luxus" eingeführt. Schon bald erhöhte sich der Absatz des Moselweines spürbar und man erzielte gute Gewinne.

Nachdem es im Jahre 1934 eine witterungsbedingte Rekordernte gab, waren viele Moselwinzer mit überfüllten Kellern und erneuten Absatzproblemen konfrontiert. Darüber hinaus kam es zu einer unerwarteten Rückforderung von Reichswinzerkrediten der Jahre 1924 bis 1929, was insbesondere die Not kleiner Winzerbetriebe verstärkte. In dieser Zeit entwickelte der RNS in Verbindung mit der Deutschen Arbeitsfront und der Gemeinschaft "Kraft durch Freude" das sogenannte "Fest der deutschen Traube und des Weines". Die Veranstaltung wurde ab dem Jahr 1935 von mehreren Weinbauorten der Westmark genutzt, um einen erhöhten Konsum des Weines sowie einen Abbau von Überschüssen zu bewirken. Eine wichtige Grundlage für die Austragung der Weinfeste bildeten Weinpatenschaften. Diese wurden bereits 1934 ins Leben gerufen und verbanden zahlreiche Weinbaugemeinden der Mosel mit Städten im ganzen Deutschen Reich. Der große Erfolg des Festes 1935 führte im folgenden Jahr zu einer Neuauflage. Die letzte große Wein-Festveranstaltung des RNS wurde 1937 neben dem Bernkastel-Kueser "Weinfest der Westmark" ausgetragen.Extra

 Dieses Fass wurde im Jahre 1930 von Bernkastel-Kues aus in die Reichshauptstadt Berlin gerollt.

Dieses Fass wurde im Jahre 1930 von Bernkastel-Kues aus in die Reichshauptstadt Berlin gerollt.

Foto: Markus Philipps (phi) ("TV-Upload Philipps"

Die "Feste der deutschen Traube und des Weines" (1935 bis 1937) wurden von der lokalen Gastronomie unterstützt und waren durch die Kultur der teilnehmenden Weinbauregionen geprägt. Alle Veranstaltungen wurden durch den RNS streng reglementiert und boten mehrere Programmpunkte, wie Konzerte, Tänze, Künstlerauftritte oder Tombolas. Weinpatenschafts-Beziehungen bestanden beispielsweise zwischen den Städten Bernkastel-Kues und Hannover und zwischen dem Weindorf Graach und der Stadt Düsseldorf. phi

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