500 PS, viel Wasser und kein Kölsch: Was Mitglieder eines Kegelklubs auf einem Ausflugsschiff auf der Mosel zwischen Bernkastel-Kues und Traben-Trarbach erleben

Bernkastel-Kues/Traben-Trarbach · 15 Schiffe starten jede Woche in Bernkastel-Kues und tuckern über die Mosel. Das Bordrestaurant verkauft Wein, ein Computer erklärt die Sehenswürdigkeiten am Ufer. Warum lieben Touristen so was? Eine Bummelfahrt.

500 PS, viel Wasser und kein Kölsch: Was Mitglieder eines Kegelklubs auf einem Ausflugsschiff auf der Mosel zwischen Bernkastel-Kues und Traben-Trarbach erleben
Foto: Sebastian Gubernator (gub) ("TV-Upload Gubernator"

Bernd muss damit leben, dass es kein Kölsch gibt. War ja auch nicht anders zu erwarten auf einem Schiff, das von Bernkastel-Kues nach Traben-Trarbach fährt, vorbei an Dörfern, in denen es mehr Weinkeller als Biergärten gibt. Es ist ein Samstagvormittag, über den Himmel ziehen bleigraue Wolken, aber das stört den Kegelklub aus Lindlar bei Köln nicht: Zehn Männer und Frauen mittleren Alters sitzen auf dem Deck. Es gibt Sekt für die Frauen und Bitburger für die Männer. Sie haben Urlaub und wollen Spaß. Wolken am Himmel? Egal. Kein Kölsch im Bordrestaurant? Lässt sich nicht ändern. "Et kütt, wie et kütt", zitiert Bernd eine rheinische Redensart. "Es kommt, wie es kommt."

Das Schiff heißt Kröver Reich, ein majestätischer Name für so einen kleinen Kahn: Länge 36 Meter, Breite 7,4 Meter. Eines von 15 Schiffen, die jede Woche in Bernkastel-Kues ablegen, ein paar Stunden über die Mosel schippern und die Gäste per Lautsprecher mit Informationshäppchen versorgen: "Ürzig gehört zu den glücklichen Winzerdörfern, die ihre Spitzenlagen direkt neben dem Ort haben. Über Ürzig lehnt sich der Berghang steiler werdend in die Höhe." Auf das Schiff passen 350 Passagiere, heute sind es weniger. Das obere Deck hat der Kegelklub fast für sich allein. Die Frauen machen eine Flasche Sekt auf ("Oh, der ist trocken!"), die Männer bleiben beim Bier ("Kann et sein, dat ihr schon die Lampen anhabt?"). Seit gestern sind sie an der Mosel. Sie reden und lachen viel. Einmal fällt das Wort "Freunde". Und wie auf Kommando fangen alle an zu singen: "Echte Fründe ston zesamme, ston zesamme su wie eine Jott un Pott!"

Auf einem Touristenschiff sind bestimmte gesellschaftliche Regeln außer Kraft gesetzt: Man darf morgens um viertel vor elf den ersten Wein trinken und danach laut singen. Oder wildfremden Menschen winken, die auf einem anderen Schiff vorbeifahren. Bernd sagt: "Wenn du die ganze Woche über Stress im Beruf hast und dann so eine Tour machst, willst du Spaß haben." Eine Binsenweisheit, aber eine wahre. Wie jedes Schiff hat die Kröver Reich einen Kapitän. Er heißt Hans-Günter Thömmes und sitzt auf etwas, das aussieht wie ein übergroßer Bürostuhl. In der Ecke ein Computerbildschirm, hinter ihm ein Ventilator, vor ihm zwei riesige Steuerräder.

Warum zwei? "Wir haben zwei Maschinen, je 250 PS, die kann ich getrennt voneinander steuern. Wir sind im Prinzip wesentlich manövrierfähiger als ein Auto." Thömmes sagt das in einem Ton, der nicht erkennen lässt, ob er stolz ist oder es stinknormal findet, 500 PS zu beherrschen. Wenn er an einem der Räder dreht, sieht er aus, als stünde er vor einem Glücksrad: Mit Schwung stößt er es an und sieht zu, wie es sich von allein weiter dreht. Auch wenn er natürlich nichts dem Zufall überlässt.

Thömmes weiß genau, was er tut. Und was auf ihn zukommt. Am Computer ruft er eine Karte der Mosel auf, ein kleiner Balken im Wasser zeigt, dass sich ein anderes Schiff nähert: "Das ist die Europa." Jedes Schiff sendet und empfängt Daten: wie schnell es ist, in welche Richtung es fährt. Ein unsichtbares Netz aus Funksignalen spannt sich über das Wasser. "Das System benutzen wir auch, wenn wir nachts fahren", sagt Thömmes, "die Mosel ist ja nicht beleuchtet." Nur bei Nebel dürfe das Schiff nicht unterwegs sein, "kein Radar".

Mit 20 Kilometern pro Stunde tuckert die Kröver Reich moselabwärts. Dörfer ziehen vorbei, die aussehen, als hätte ein Maler sie mit liebevollen Pinselstrichen unter die Weinberge getüncht. Vielleicht sind Touristenschiffe auch deshalb beliebt, weil sie das Leben zeitweilig entschleunigen. Von Bernkastel-Kues nach Traben-Trarbach braucht die Kröver Reich zwei Stunden. Der Bus ist wesentlich schneller, aber auf einem Touristenschiff geht es nicht um das Ankommen, sondern um das Hinfahren. Der Weg ist das Ziel.

Der Kegelklub hat mittlerweile sein Bier getrunken und den kleinen Peter losgeschickt. Zwei Männer in der Gruppe heißen Peter, der eine ist größer als der andere, deshalb der Spitzname. Der kleine Peter schwankt also zum Bordrestaurant, breitbeinig nimmt er die Stufen, seine Freunde johlen: "Der hat schon einen richtigen Seegang!" Minuten später kommt er mit einem Tablett zurück. Flaschen klirren. Aus Lautsprechern kommt eine Frauenstimme und spricht über die Sehenswürdigkeiten am Ufer. Es ist ein bisschen wie Fahrstuhlmusik: Die Gäste hören mit halbem Ohr zu, ab und zu schnappen sie ein Wort auf, das interessant genug ist, um zum Gesprächsthema zu werden. Zum Beispiel "Nacktarsch". Bernd lacht leise.

Die Stimme aus den Lautsprechern gehört der Frau eines Kapitäns, der für das Unternehmen arbeitet, dem die Kröver Reich gehört. Vor Jahren hat sie ihre Sätze in ein Mikrofon gesprochen, jetzt spielt ein Computer sie immer im richtigen Moment ab. "GPS", sagt Hans-Günter Thömmes. Ach so? Er grinst. "Klar, wir sind ja nicht mehr im vergangenen Jahrtausend." Thömmes weiß, wie das früher war. Mit 16 hat er eine Ausbildung in der Frachtschifffahrt gemacht, später als Matrose gearbeitet. Seit wann er Kapitän der Kröver Reich ist? Kann er nicht genau sagen, "so ungefähr seit 2000, aber ohne Gewähr".

Er beugt sich vor und spricht mit der sonoren Stimme eines Radiomoderators in ein Mikrofon: "Sehr geehrte Damen und Herren, in Kürze erreichen wir Traben-Trarbach." Die Fahrt ist vorbei. Auf dem Deck werden Sachen gepackt und Pläne geschmiedet. Was kann man in Traben-Trarbach eigentlich machen? "Bundesliga gucken!", ruft Bernd. Ach nein, die Spiele sind ja erst am Nachmittag. Dann halt was anderes. Et kütt, wie et kütt.

Ein letztes Mal dröhnen die Maschinen, geht ein Zittern durch den Rumpf. Dann wird es still. Wie ein riesiges, schlafendes Tier schmiegt sich das Schiff an den Anlegesteg.Extra

 Uli (links) und Bernd: Kein Kölsch im Bordrestaurant? Egal!

Uli (links) und Bernd: Kein Kölsch im Bordrestaurant? Egal!

Foto: Sebastian Gubernator (gub) ("TV-Upload Gubernator"
 Ute, Ulla, Marion (von links) vom Kegelklub: Sekt zum Frühstück.

Ute, Ulla, Marion (von links) vom Kegelklub: Sekt zum Frühstück.

Foto: Sebastian Gubernator (gub) ("TV-Upload Gubernator"
 Endstation Traben-Trarbach. Matrose Tomasz Jesion zurrt das Schiff fest.

Endstation Traben-Trarbach. Matrose Tomasz Jesion zurrt das Schiff fest.

Foto: Sebastian Gubernator (gub) ("TV-Upload Gubernator"
 Willkommen an Bord: 350 Passagiere finden Platz auf der Kröver Reich.

Willkommen an Bord: 350 Passagiere finden Platz auf der Kröver Reich.

Foto: Sebastian Gubernator (gub) ("TV-Upload Gubernator"

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