Die Überflussgesellschaft teilt mit Flüchtlingen

Wittlich · Rund 300 Flüchtlinge und Asylsuchende werden von der Wittlicher Tafel mitversorgt. Zuletzt waren es rund 220 von 1500 betreuten Kunden. Anders als in mancher Großstadt kommt die Wittlicher Hilfseinrichtung mit dem Ansturm noch klar: Es werden keine neuen Bewerber abgewiesen.

Wittlich. Der Bausendorfer steht zum ersten Mal in der Schlange vor der Tür der Tafel in der Sternbergstraße. Eine sozial engagierte Dame begleitet ihn. Sie hat den 26-jährigen Arbeitslosen beim Trampen kennen gelernt und ihn mit ihrem Auto nach Wittlich gebracht, denn einen Bus hätte er an diesem Tafel-Mittwoch nicht bekommen: "Ich bin jetzt auch ein Notfall und kriege Hartz IV", sagt der Deutsche. Hartz IV. Das Schlagwort nennen alle Befragten als Grund ihrer Bedürftigkeit, die an diesem heißen Mittwochvormittag darauf warten, dass sich die Tür öffnet und sie Lebensmittel für einen symbolischen Obolus von zwei Euro je Erwachsener bekommen.
Problem: Die Verständigung


Manche sagen auch nichts, denn es stehen auch Flüchtlinge an, die noch kein Deutsch sprechen. Vielleicht würden sie sonst sagen: Krieg, Flucht, Armut.
Ihr Anteil steigt auch in Wittlich bei denen, die auf die Hilfsgüterverteilung warten: Manche kommen sogar gleich mit Einkaufswagen, manche mit Plastikkistchen, viele mit Taschen und Tüten. Manche sind dick, manche dünn, manche noch Kinder, manche Senioren, viele Deutsche, die sich schon untereinander kennen, viele mit offensichtlich einst anderer Heimat, die noch neu sind. Deren Zahl steigt. Aktuell sind es 300 Flüchtlinge und Asylsuchende kreisweit, die bei der Caritas als Tafelkunden bekannt sind. Manche waren einst Flüchtlinge. "Wir kommen aus dem Iran", sagt eine junge Kopftuchträgerin und: "Ich komme fast jede Woche, schon ein Jahr." Neben ihr steht ein 21-Jähriger: "Ich bin auch aus dem Iran. Seit ich zwölf Jahre alt bin, lebe ich hier. Ich habe sogar einen deutschen Pass, wohne in Bernkastel und arbeite. Aber verdiene zu wenig. Deshalb bin ich hier."
Er wird später eingreifen, als sich zwei Frauen und ein älterer Herr lautstark über einen Wittlicher beschweren. Der kommt spät und mischt sich ganz vorne in die Schlange. Als die Frauen gegen den offensichtlich als Vordrängler bekannten Mann protestieren: "Wir müssen alle warten! Du hast Dich hinten anzustellen!" , stellt sich der Wittlicher mit seinem Rucksack taub, bis der gebürtige Iraner sich einschaltet: "Für alles gibt es eine Lösung. Wir sind doch alle Menschen!" Der Drängler zieht Leine. Ein paar in der Warteschlange gucken irritiert. Sie verstehen nicht, worum es geht, nur, dass es Stress gibt. Vielleicht sind sie Flüchtlinge? Die Verständigung mit ihnen klappt leider nicht.
Drinnen beim Tafelteam, erklärt eine ehrenamtliche Helferin: "Ja, dass wir viele neue Bürger haben, merken wir. Schwierig ist es mit der Sprache. Manche sprechen weder Englisch noch Französisch. Wenn die dann jedes Produkt haben wollen, was ihnen schmeckt, wir aber dosieren müssen, dann muss man viel mit Händen und Füßen erklären."
Noch keine Einschränkungen


Und es gibt symbolische Zeichnungen. Wichtigste Regel: Ein durchgestrichenes griesgrämiges Gesicht (Nein!!! No!!! Non!!!") und darunter das weltweit bekannte Smiley-Gesicht. Und draußen vor der Tür können die Wartenden ebenfalls mehrsprachig lesen und sich auch durch ein Foto zusammenreimen, dass, wer dabei erwischt wird, dass er Lebensmittel wegwirft, eine Sperre von vier Wochen erhält.
Immerhin wächst die Menge der Lebensmittel und sonstigen Spenden, die die insgesamt 90 ehrenamtlichen Tafelhelfer kreisweit einsammeln, sortieren, lagern und verteilen, nicht. Dabei steigt die Zahl der Hilfesuchenden. Doch anders als in Großstädten, wo die Tafeln aktuell keine Neukunden mehr aufnehmen können, trägt das System in Wittlich noch. Jedoch meint eine Helferin: "Wir überlegen aber, ob wir wieder einführen, dass Kunden drei Wochen kommen und eine Woche aussetzen müssen." Bislang gibt es für die Empfänger der Spenden noch keine Einschränkungen. Eine 38-Jährige aus Hupperath sagt: "Wir haben immer so viel bekommen. Ich bin dankbar und sehr zufrieden. Auch sind die Mitarbeiter immer freundlich."
Die bereiten sich nach ihrer kurzen Pause auf den nächsten Ansturm der Menschen draußen vor der Tür vor. Insgesamt schafft die Wittlicher Tafel bis zu 250 Personen. Damit sei man aber an eine Grenze gelangt, sagt Anja Adams vom Caritasverband.
Armut gibt es immer


Sie sagt auf die Frage, inwieweit die Tafel Aufgaben übernehme, die eigentlich der Staat meistern müsste - beziehungsweise was wäre, wenn es die Tafel nicht gäbe?: "Das ist eine gute Frage. Armut gab es ja schon immer und wird es vermutlich auch immer geben. Traurig ist nur, dass Familien trotz Arbeit nicht über die Runden kommen, weil der Verdienst einfach zu gering ist. Ebenso unsere älteren Mitmenschen, die jahrelang hart gearbeitet haben und jetzt mit einer kleinen Rente auskommen müssen. Wenn es die Tafeln nicht gäbe - dann würden wohl viele Menschen wirklich Hunger leiden."Extra

 Nicht taufrisch, trotzdem gesund: Ein Tafel-Sortiment aus Wittlich.

Nicht taufrisch, trotzdem gesund: Ein Tafel-Sortiment aus Wittlich.

Foto: (m_wil )
 Die tatkräftigen Helfer vom Tafelteam sammeln nicht nur die Lebensmittelspenden ein, sondern verteilen sie auch immer mittwochs. TV-Fotos (2): Sonja Sünnen

Die tatkräftigen Helfer vom Tafelteam sammeln nicht nur die Lebensmittelspenden ein, sondern verteilen sie auch immer mittwochs. TV-Fotos (2): Sonja Sünnen

Foto: (m_wil )

Wittlicher Tafel heißt ein Spendenprojekt. Dabei werden immer mittwochs in der Sternbergstraße Lebensmittel an Menschen aus dem gesamten Landkreis verteilt, die nicht viel Geld haben. Das Essen wird von 37 Geschäften gespendet. Ehrenamtliche holen es ab, sortieren und verteilen es. Erwachsene Tafelkunden zahlen mittwochs immer zwei Euro und bekommen dann etwas von den gespendeten Sachen. Dadurch kann etwa die Hälfte dessen bezahlt werde, was das Tafelangebot trotz der vielen Helfer kostet, etwa für Miete oder Benzin. Als "Ritter der Tafelrunde" kann man zudem Geld spenden. Das machen 38 Menschen. Aktuell steigt wöchentlich die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchende unter den Tafelkunden. Laut Anja Adams, die sich bei der Caritas Wittlich um die Tafel kümmert, braucht man bei der Tafel noch Hygieneartikel wie Seife, Shampoo, Zahnpasta aber auch Milchprodukte und verpackte Wurst. Probleme wegen Ausländerfeindlichkeit gibt es nicht. Schwierig für die Helfer ist aber, dass Flüchtlinge oft weder Deutsch noch Englisch oder Französisch sprechen. sos

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