Wenn der Griff zur Waffe schützen soll

Trier · Reizgas in die Augen, Tritte in die Genitalien, Elektroschocker oder Schreckschusswaffen: Das Bedürfnis nach Sicherheit und Verteidigung hat nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln zugenommen. Doch nicht jede Methode funktioniert. Der schnelle Griff zur Waffe ist bei Experten sehr umstritten.

Trier. Die Furcht, irgendwann selbst zum Opfer eines Überfalls zu werden, beschäftigt offenbar auch in der Region zurzeit viele Menschen. Diese Furcht führt zum Wunsch nach einer Waffe, die einen Angreifer effektiv aufhält. Es sind nicht die großen Kaliber, die zurzeit im Internet und regionalen Waffenläden wie Waffen Wagner in Trier gesucht und nachgefragt werden, sondern Geräte wie Reizgassprüher und Pfefferspray, Elektroschocker oder seltener auch Schreckschusswaffen. Wer diese Dinge in der Öffentlichkeit tragen will, braucht den kleinen Waffenschein.
Alle vier Landkreise im ehemaligen Regierungsbezirk Trier und die Stadt Trier selbst melden übereinstimmend, dass die Zahl der betreffenden Anträge seit Silvester deutlich steigt. Der Eifelkreis Bitburg-Prüm hat 2015 eine Zunahme der Anträge um 200 Prozent registriert, meldet Heike Linden für die Kreisverwaltung.
Linden: "Bis 2014 gab es im Schnitt sieben Anträge pro Jahr, aber 2015 wurden 23 Erlaubnisse erteilt." Seit Silvester verzeichne die Verwaltung "eine weiter stark steigende Nachfrage".
Die Stadt Trier hat 2015 insgesamt 29 kleine Waffenscheine ausgestellt, 2014 waren es 19. "Für 2016 liegen bereits zehn Anträge vor", sagt Ralf Frühauf vom Trierer Presseamt.

Abfeuern verboten



Der Kreis Bernkastel-Wittlich hat 2015 insgesamt 37 kleine Waffenscheine genehmigt. "Seit Silvester gibt es für 2016 bereits 25 Anträge", sagt Mike Winter. Im Kreis Trier-Saarburg waren es im vergangenen Jahr laut Pressesprecher Thomas Müller 27 kleine Waffenscheine. "Für 2016 gibt es bereits zwei Genehmigungen und zwölf weitere Anträge." Verena Bernardy sagt für den Landkreis Vulkaneifel: "Im Jahr 2015 wurden insgesamt 14 Anträge auf einen kleinen Waffenschein gestellt. Für das Jahr 2016 sind es bereits jetzt genauso viele Anträge wie im kompletten Jahr davor."
Doch auch der kleine Waffenschein ist keine Generalerlaubnis zum Einsatz von Pfefferspray und Elektroschocker. Das Abfeuern solcher Waffen in der Öffentlichkeit ist auch mit Schein verboten. Ausnahmen sind natürlich Notwehrsituationen - doch deren rechtliche Definition ist sehr schwierig. Wer subjektiv glaubt, in Not zu sein und selbst Gewalt zur Verteidigung anwenden zu dürfen, muss manchmal vor Gericht feststellen, dass er sich rechtlich gesehen geirrt und sich in der Wahl seiner Mittel klar vergriffen hat.
Die Rechtslage trägt sogar noch weiter zur Verwirrung bei. Bei öffentlichen Veranstaltungen - Demos, Jahrmärkte, Konzerte, Festivals - darf auch ein Träger des kleinen Waffenscheins keine Waffe am Mann oder an der Frau haben.
Wer also eine solche Waffe tatsächlich einsetzt, muss womöglich hinterher sehr viel erklären, auch wenn er oder sie tatsächlich in Not war. Die Polizei warnt mit Nachdruck vor dem Motto "Mit einer Waffe bin ich sicher". Jennifer Schmidt ist die Opferschutzbeauftragte des Polizeipräsidiums Trier. "Gegenstände wie Pfefferspray und Elektroschocker unterliegen strengen waffenrechtlichen Bestimmungen", sagt die Präventionsexpertin. "Sie sind lediglich zur Abwehr von Tierangriffen vorgesehen. Abgesehen davon bedarf es einer ausführlichen Schulung in der Handhabung und Nutzung solcher Gegenstände."

Waffenlose Verteidigung


Die Nachfrage nach waffenloser Selbstverteidigung ist wesentlich schwerer zu erfassen als der Wunsch nach dem kleinen Waffenschein. In jeder der klassischen Kampfsportarten Ringen, Boxen, Judo, Karate und Taekwondo sind starke Elemente der Selbstverteidigung enthalten. Kampfkünste wie das chinesische Wing Tsun und das israelische Krav Maga stellen die sportlichen Elemente zurück und konzentrieren sich komplett auf Kampf und Verteidigung.
All diese Disziplinen sind in vielen Schulen und Vereinen der Region vertreten und werden täglich trainiert. Punktuelle Nachfragen zeichnen schnell ein Bild: Das Interesse ist seit Köln klar gestiegen, aber die Hemmschwelle ist höher als beim Kauf einer Dose Pfefferspray. Selbstverteidigungstraining bedeutet einen regelmäßigen und hohen Aufwand an Zeit und Energie.
Siegfried Wolf ist ein Meister in diesem Metier. Er gehörte in den 1970ern zu den Karate-Pionieren in Deutschland, war 1977 Vizeweltmeister und wurde zu einem der renommiertesten Selbstverteidigungsexperten der deutschen Kampfsportszene. Heute ist der Träger des 8. Meistergrads Präsident des Karate-Verbands Baden-Württemberg.
"Ein nicht zustandegekommener Kampf ist ein gewonnener Kampf", sagt Wolf im Gespräch mit dem Trierischen Volksfreund. "Bevor ich überhaupt an Waffeneinsatz denke, sollte ich Dinge wie Mimik, Gestik, Körpersprache, Stimme und laute Bitten um Hilfe einsetzen. Ein Großteil aller Angriffe kann so vermieden werden."
Das richtige Verhalten sei ein wesentlich effektiveres Mittel als Pfefferspray. "Eine Situation wie in Köln ist natürlich extrem", sagt der Karatemeister. "Dann kann ich nur versuchen, aus dem Pulk rauszukommen und mir Hilfe zu suchen." Wenn in Einzelfällen alle Prävention versagt und es zum Zweikampf kommt, rät Wolf: "Zeit gewinnen, bis Hilfe kommt. Und wenn es dann zum Angriff kommt, gezielt vitale Punkte aussuchen."
Die Fähigkeit, sich im Kampf zu wehren, sei keine Frage schneller Tricks und Kniffe. "Neben richtigem Training ist es meiner Erfahrung nach sehr wichtig, sich gedanklich mit solchen Extremsituationen vertraut zu machen. Rollenspiele helfen dabei enorm."

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