"Das meiste von meinem Geld geht an mein Hündchen"

Trier · Altersarmut ist ein Gespenst, vor dem sich viele Menschen fürchten. Nach einer repräsentativen Umfrage der Stuttgarter Lebensversicherung sehen sich 15,5 Prozent der Menschen über 65 Jahren in Rheinland-Pfalz als arm oder armutsgefährdet an. Der TV wagt einen Blick hinter die Kulissen.

Trier. Von ihrem Hund würde sich Caroline Schmitt (Name geändert) niemals trennen. "Bambi gehörte meiner Tochter", sagt die 77-Jährige. Sie übernahm nach dem Tod der Tochter vor drei Jahren das Tier, "weil wir früher immer einen Hund hatten". Mit 16 Jahren gehört die Hündin, ein Jack Russell Terrier, schon zu den Seniorinnen ihrer Rasse. Caroline Schmitt kommt der gemäßigte Bewegungsdrang des lebhaften Tieres entgegen. Knieprothese, Asthma, Krampfadern und noch einige weitere körperliche Einschränkungen machen der Triererin mehr zu schaffen, als sie zugeben will. Der tägliche Spaziergang mit Bambi ist für sie dennoch Pflichtprogramm.Gesichter der Armut


Hans-Walter Becker, seit knapp drei Jahren ihr gesetzlicher Betreuer vom Katholischen Verein für soziale Dienste (SKM), sieht das gerne. Er verwaltet auf Bitte von Caroline Schmitt auch das wenige Geld der Frau und ist längst zum Freund geworden, der zur Begrüßung immer ein Küsschen auf die Wange bekommt. Sorgen macht Becker sich allerdings dann, wenn sie oder ihre Hündin krank werden. "Kein Sozialamt zahlt für ein Haustier. Tierarztkosten und alles andere muss die Seniorin von ihrem eigenen Geld bezahlen. Die Zeit, in der ein Gassi-Service gebraucht wurde, weil Frau Schmitt wegen einer Krankheit nicht rauskonnte, war finanziell sehr schwierig."
Ohne Zuschuss geht es nicht: 516 Euro Rente bekommt die Mutter von drei Kindern in jedem Monat. 164 Euro Witwenrente für ihren vor 17 Jahren an einem Hirntumor gestorbenen Mann kommen hinzu. Weil das nicht für 520 Euro Warmmiete und die weiteren Lebenshaltungskosten reicht, schießen Arbeitsagentur und Kommune 262 Euro Grundsicherungsleistungen zu. Hilfe vom Sohn oder der in Süddeutschland lebenden Tochter bekommt sie nicht.
"Das meiste von meinem Geld geht an Bambi", sagt die weißhaarige Dame, als sie in ihrer Altbau-Zweizimmerwohnung den Hund liebevoll auf den Arm nimmt. Dann zeigt sie stolz auf das teure Hundefutter, für das sie sich selbst einschränken muss. Von den Nachbarn soll das aber niemand bemerken.
Für den Soziologen Rüdiger Jacob ist ein solches Verhalten typisch. "Armut spielt sich im Verborgenen ab", sagt der Trierer Wissenschaftler, zu dessen neuen Forschungsprojekten ein Sozialatlas für Trier zählt. "Auf dem Land wird Armut sogar noch weniger sichtbar als in der Stadt. Da besitzen die alten Menschen zwar Häuser. Mit denen können sie aber nichts anfangen, weil sie kaum etwas wert sind."

Armutsrisiko Pflege: Auch die Trierer Sozialdezernentin Angelika Birk spricht von viel versteckter Armut in Trier. "Es sind Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung oder eben alte Menschen, die systematisch arm bleiben." Vor allem die hohen Kosten bei Pflegebedürftigkeit machen der Bürgermeisterin Sorgen. "In Trier wächst der städtische Anteil an der Hilfe zur Pflege immer mehr." Diese Form der Sozialhilfe wird dann auf Antrag gezahlt, wenn Betroffene die Kosten für ihre Pflege nicht mehr aus Pflegeversicherungsleistungen sowie Eigenkapital tragen können und das eigene Vermögen nahezu vollständig aufgebraucht ist.
"Hilfe zur Pflege kann die Menschen auch entwürdigen", sagt Angelika Birk. Ein solcher Gedanke kommt dem ehemaligen Unternehmer Paul H. nicht. Der chronisch kranke und fast blinde 79-Jährige lebt in einer spartanisch eingerichteten Zwei-Zimmer-Wohnung an einer stark befahrenen Straße in Trier. Aus dem Haus kommt er nur, wenn er zum Arzt muss. Kaputte Hüftgelenke, Diabetes und Herzprobleme machen ihn zum Pflegefall. Dank der Betreuung vom Pflegestützpunkt fühle er sich zu 100 Prozent versorgt, sagt der Mann. Auch Paul H. verlässt sich auf die Hilfe eines gesetzlichen Betreuers, der die komplizierten Modalitäten mit Kranken- und Pflegeversicherung regelt.

So lange wie möglich: An eine solche Situation will Caroline Schmitt noch nicht denken. "Ich kann zwar nicht mehr auf eine Leiter steigen", sagt die 77-Jährige. "Aber dann bleibt die kaputte Glühbirne eben aus, bis ich jemanden finde, der mir die austauscht. Und die Oberfenster werden einfach nicht mehr geputzt." 50 Prozent Gehbehinderung wegen der kaputten Knie reichen nicht für einen zusätzlichen Nachteilsausgleich.
Vor fünf Jahren habe sie das einmal beantragt, verrät die Frau. Nach der Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse und viel Papierkram sei das abgelehnt worden. "Ich habe keine Nerven dazu, das noch einmal zu versuchen." Zumindest der Sohn ihrer Nichte helfe ihr regelmäßig und kaufe für sie ein, freut sich Caroline Schmitt. "Für Paul koche ich dafür jeden Tag."
Betreuer Hans-Walter Becker hofft, dass die trotz aller körperlichen Probleme agile Seniorin noch lange ohne weitere Einschränkungen leben kann. Einmal in der Woche bringt er Caroline Schmitt das Geld zum Einkaufen. Dass er es an diesem Tag aus der eigenen Tasche vorstreckt, weil auf dem Konto der Frau nur noch wenige Euro sind, verrät er ihr nicht.

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Extra: Drei Fragen an...

... Angelika Winter (45), seit 2008 Frauenbeauftragte der Stadt Trier. Die Mutter von drei Kindern beschäftigt sich beruflich intensiv mit dem Thema Armut, vor allem bei Frauen.

Frau Winter, warum ist die Bekämpfung der Altersarmut so ein wichtiges Thema?
Winter: Die Antwort darauf ist einfach: Fast jede zweite Frau arbeitet in Teilzeit und wird deshalb wenig Rente bekommen. Da ist Altersarmut programmiert, wenn der Mann als Versorger ausfällt. Viele Frauen bekommen beim Blick auf ihren Rentenbescheid einen riesigen Schreck.

Reicht die neue Mütterrente nicht, um die Situation entscheidend zu verbessern?
Winter: Nun werden auch Erziehungszeiten für Kinder angerechnet, die vor 1992 geboren wurden. Aber im Gegenzug ist die Versorgung über den Ehemann nicht mehr abgesichert. Zudem muss bedacht werden, dass auch bei Männern das Rentenniveau sinkt. Es müsste einen wirklichen Ausgleich für Erziehungszeiten geben. Die Rentenlücke im Alter, die durch Kindererziehung entsteht, liegt derzeit bei bis zu 60 Prozent.

Wie könnte so ein Ausgleich aussehen?
Winter: Es geht um echte partnerschaftliche Mitverantwortung. In Familien mit Kindern halte ich einen Ausgleich zwischen Frau und Mann für sinnvoll. Das kann zum Beispiel darin bestehen, dass der Mann als Hauptverdiener auch für seine Partnerin privat mit vorsorgt. r.n.
Extra: Kampagne

Arbeitslosigkeit, dauerhafte Minijobs oder Teilzeitarbeit gelten als Hauptgründe für das Risiko, im Alter auf finanzielle Unterstützung angewiesen zu sein. Der Caritas-Diözesanverband Trier macht auch deshalb mit der Kampagne "Stell mich an, nicht AUS" auf das Thema Langzeitarbeitslosigkeit aufmerksam. "Wir sehen dringend bundespolitischen Handlungsbedarf, denn trotz der guten Wirtschaftslage hat sich die Langzeitarbeitslosigkeit weiter verfestigt", sagt Diözesan-Caritasdirektorin Birgit Kugel. In Rheinland-Pfalz liege die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit 2008 bei 40.000 Menschen. Bundesweit seien es über eine halbe Million. Nach Aussage von Martina Messan, Caritas-Referentin für Arbeitsmarktpolitik, wird nur noch jeder elfte Hartz-IV-Empfänger mit einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gefördert. Die Mehrzahl der Langzeitarbeitslosen werde so ins gesellschaftliche Aus gestellt. r.n.
ida.caritas.deExtra: Podiumsdiskussion

Gesichter der Armut ist das Thema der Podiumsdiskussion am Mittwoch, 22. Juni, 18 Uhr, im Palais Walderdorff in Trier (Domfreihof). Gesprächspartner sind Angelika Birk (Sozialdezernentin der Stadt Trier), Joachim Christmann (Leiter Geschäftsbereich II der Kreisverwaltung Trier-Saarburg), Prof. Dr. Rüdiger Jacob (Professur für Empirische Sozialforschung an der Universität Trier), Bruder Elias Brück (Barmherzige Brüder), Angelika Winter (Frauenbeauftragte der Stadt Trier) und Linda Rennings (Heimatlos in Köln - Hilfe für Obdachlose). Veranstalter ist das Aktionsbündnis Aktiv gegen Armut. Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei. r.n.
armut-in-der-region.de

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