Hitziger Prozess in Wittlich: Zwei Verhandlungen an einem Tag - Fall beginnt wegen Verfahrensfehlern erneut

Wittlich · Ein Fall vor dem Wittlicher Jugendschöffengericht ist innerhalb von neun Stunden gleich zwei Mal verhandelt worden. Grund war ein sogenannter absoluter Verfahrensfehler. Dabei wurden die Vorwürfe gegen die Angeklagten, darunter auch gefährliche Körperverletzung, in einem Zwist zwischen Anwalt und Richter fast zum Nebenschauplatz.

Nach fast vier Stunden Verhandlung fällt es Anwalt Rühlmann auf: Die Schriftführerin des Gerichts hat versäumt, die Rolle am Eingang des Gerichtssaals mit Verweis auf die Öffentlichkeit des Prozesses vor der Verhandlung aufzuhängen - ein Din-A4-Blatt an der Gerichtstür mit großer Wirkung. Richter Thul sieht keine Möglichkeit mehr, weiterzuverhandeln.

Der Hinweis auf den absoluten Verfahrensfehler sei als "Erpressung" zu verstehen, die der Anwalt des Angeklagten seinerseits dazu nutzen könne, in Revision zu gehen, wenn ihm der Ausgang des Prozesses nicht gefalle. "Das ist mir in 30 Jahren Berufsleben nicht passiert", sagt Thul. Die Stimmung zwischen Anwalt, Staatsanwalt Anton und Richter heizt den sonst kühlen Gerichtsraum merklich auf.

Anscheinend ist keinem daran gelegen, den Prozess neu zu verhandeln. Die Mehrzahl der Zeugen wurde zu diesem Zeitpunkt schon vernommen - für die Angeklagten hieße es nur weiteres Warten auf einen neuen Termin.

Ein 20-Jähriger aus Wittlich und eine 21-Jährige aus Daun müssen sich für mehrere Delikte verantworten: Während es bei der Angeklagten um Körperverletzung und Bedrohung geht, wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten gefährliche Körperverletzung, Beleidigung, Besitz von Betäubungsmitteln, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung vor.

Das sagen die Angeklagten: Der größte Tatkomplex der vielen Anklagepunkte dreht sich um schwere Körperverletzung, bei der sowohl der Angeklagte als auch die Angeklagte beteiligt waren: Der Wittlicher und die Daunerin hatten im Mai 2015 einen Streit auf offener Straße. "Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie dieser Typ mit meiner Freundin geschlafen hat, und unser Kind war im selben Raum", erklärt sich der Angeklagte. Denn als drei der anwesenden Zeugen den Streit schlichten wollten, griff der 20-Jährige einen dieser an - eben jenen dem er ein Verhältnis mit der ebenfalls Angeklagten Ex-Freundin unterstellt.

Er gesteht, diesen gewürgt und geschlagen zu haben. Den Einsatz einer Dose bestreitet er vehement. Er habe bei der Attacke auf das Opfer stark unter Drogen gestanden. "Heute tut es mir leid", sagt der Angeklagte, der sich momentan seit einem halben Jahr in Haft befindet. Die Angeklagte möchte sich zu den Vorwürfen, ihr Ex-Freund habe eine Dose benutzt, nicht äußern, räumt in ihrem eigenen Fall ein, das Opfer ebenfalls geschlagen zu haben, als der Mitangeklagte auf dieses einschlug. "Er hätte sich nicht einmischen sollen", sagt sie zum Opfer, zeigt aber auch sie Reue.

Das sagen die Zeugen: Das Opfer im Fall der gefährlichen Körperverletzung berichtet, wie der Angeklagte ihn von hinten überwältigt habe und mehrfach geschlagen. Eine Nacht musste das Opfer mit Gehirnerschütterung im Krankenhaus verbringen, die Lippe genäht werden.

Zwei Zeugen bestätigen, dass eine Dose als Waffe benutzt wurde, zwei andere sind sich nicht sicher. Nach vier Stunden Verhandlung unterbricht Richter Thul den Prozess für eine fünfminütige Pause mit Folgen.
Nach einem Disput zwischen dem Anwalt des Angeklagten entscheiden sich alle Anwesenden dafür, den Prozess sofort neu zu verhandeln.

Alle bisherigen noch anwesenden Zeugen sagen also noch mal aus - wie bei einem Laien-Theaterstück, bei dem die Schauspieler nach mehreren Vorführungen nicht mehr ganz so motiviert erscheinen.
Ein Detail wird noch deutlicher beim zweiten Durchgang: Einer der Zeugen, der vorher die Dose nicht wirklich bestätigt hatte, wird von Staatsanwalt Anton intensiver befragt, sodass auch seine Version auf die Dose als Waffe hinleitet.

Das Urteil: Nach rund neun Stunden und fast zwei Verhandlungen spricht Richter Thul sein Urteil. Vorher nutzt Anwalt Rühlmann die Gelegenheit, Thul zu kritisieren: Er wirft dem Richter Befangenheit vor durch Aussagen wie "das ist nur heiße Luft, was sie erzählen" und meint, man hätte den Prozess nicht neu verhandeln müssen. Dieser Umstand habe bewirkt, dass das Thema der Sozialprognose viel zu kurz gekommen sei und seinen Mandanten benachteiligt.

Thul verurteilt die Angeklagte zu drei Monaten auf Bewährung, ihren Angriff auf das Opfer wertet er als "spontanen Ausbruch". Der Angeklagte aus Wittlich wird in fast allen Fällen für schuldig gesprochen, während der Vorwurf der Beleidigung fallen gelassen wird. Er muss sich mit einem Jahr und acht Monaten Haft verantworten.

Als "Schutzmaßnahme für sich selbst" sei diese bewusst nicht auf Bewährung ausgesetzt, um dem Angeklagten bei seinen Drogenproblemen zu helfen.
"Eine Therapie soll im Schutzraum der Haftanstalt vorbereitet werden", schließt Thul seine Begründung ab.

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