Bibliothekstage 2016 in Wittlich: Berliner erklärt Nahostkonflikt

Wittlich · Risikobereitschaft gehört für ihn zum Beruf. Und in manchen Jahren reist er mehr, als er schreibt. Seine preisgekrönten Bücher sind geprägt vom Nahostkonflikt. Autor Sherko Fatah eröffnet mit seiner Lesung am Sonntag, 23. Oktober, um 17 Uhr die Bibliothekstage 2016 Rheinland-Pfalz in der Stadtbücherei Wittlich.

Wittlich. Sein Akzent verrät Sherko Fatah sofort als Berliner. Der in Ost-Berlin geborene Sohn eines irakischen Kurden hat, anders als sein Vater, den Krieg nie erlebt. Mit seinen Büchern reißt Fatah den Leser in einen gewaltsamen Nahen Osten - und wurde für seine Sprachkunst mehrfach ausgezeichnet. Unser Redaktionsmitglied Nicolay Meyer hat Sherko Fatah interviewt.

Man könnte Sie als Weltbürger bezeichnen. Wo waren Sie zuletzt unterwegs? Sind Ihre Reisen eher privates oder beruflicher Natur?
Sherko Fatah: Das mischt sich. Die Reisen in den Nahen Osten sind meistens familiär bedingt. Das beginnt als Privatreise und ich mache dann häufig genug Recherche-Reisen daraus. Inzwischen sind dann auch so Kombinationen dabei. Ich war etwa in Jordanien und bin dann noch in den Irak. Viele Aufenthalte sind mit Stipendien verbunden, wie dieses Jahr drei Monate in der Schweiz.
Wie viel Zeit verbringen Sie dann noch zu Hause?

Fatah: Darauf muss man etwas achten und das ist auch das Problem. Da ich Freiberufler bin, muss ich Dinge annehmen. Wenn eine Phase ist, in der ich viel reise, muss ich danach sehen, dass wieder eine ist, in der ich wieder schreiben kann. Das ist jedes Jahr ein neues Zeitmanagement. Letztes Jahr habe ich etwa kaum etwas schreiben können.
Wie sieht so ein Alltag eines Schriftstellers aus?

Fatah: Idealerweise würde ich morgens aufstehen und eine Planung für den Tag machen. Ich schreibe gerne nachmittags - aber wenn ich Deadlines habe, muss ich auch bis in die Nacht schreiben. Ich muss dann abliefern. Es sind viele Schritte bis zum fertigen Buch, die muss ich alle einplanen, wie etwa das Lektorat oder die Werbung. Insofern ist das Kreativität unter zeitlichem Druck.
War es immer leicht seinen Lebensunterhalt von der Schriftstellerei zu bestreiten?
Fatah: Nein, das ist das große Problem für alle Freiberufler. Die zahlen ihren Preis für ihre Freiheit und der ist Unsicherheit. Man kann nicht planen, ich kann nichtmal beim Finanzamt vorveranschlagen was ich verdienen werde.
Insofern, da es sehr schwankt, muss man versuchen sich die Finanzen einzuteilen.
Wenn ich ein gutes Jahr habe, denke ich schon voraus: Kann ich mit dem was ich habe die Zeit finanzieren, um das nächste Projekt fertigzustellen?
Man erreicht nie diesen satten Status sicherer monatlicher Einkünfte. Risikobereitschaft gehört also dazu. Niemand kann mir garantieren, dass mein nächstes Buch ein Bestseller wird.
Sie sind hochdekoriert mit Preisen, gelten als literarische Institution, wenn es um das Aufeinandertreffen von arabischer und europäischer Welt geht. Wie kommt es, dass Sie aus der Metropole Berlin ins kleine Wittlich kommen?

Fatah: Naja, das ist eine Einladung, die ich bekomme und die nehme ich gerne an, weil das zu meinem Beruf gehört. Ich bin jetzt übrigens in Bergen-Enkheim (Frankfurt), weil ich hier Stadtschreiber bin und konnte das hier verkürzen. Nach Wittlich fahre ich nach Erfurt und halte Lesungen an drei Schulen.
Das ist auch mein Alltag als Schriftsteller. Und das ist auch gut so. Denn ich muss mein Publikum auch mal sehen. Das Buch hat auch an Bedeutung verloren in der Gesellschaft und die Schriftsteller reisen viel mehr als früher. Günther Gras sagte mir mal "Ihr jungen Leute, ihr fahrt so viel rum, das habe ich nie gemacht."
Heute braucht das Buch selbst die Präsenz des Autors um sein Publikum noch zu erreichen. Deshalb reisen alle Schriftsteller viel.
Ihr letztes Werk ist 2014 erschienen. Woran schreiben Sie aktuell?
Fatah: Ich schreibe aktuell an einem zeitgeschichtlichen Stoff. Ein Roman, der den Nahostkonflikt behandelt. Das spielt in den 1970ern und beschäftigt sich mit den Ursprüngen des Terrorismus, mit einer Zeit, die wir alle noch erinnern.

Ihre Figuren befinden sich oft in gewaltsamen Konflikten. Welche Erfahrung haben Sie selbst mit Gewalt und Krieg gemacht?
Fatah: Gott Lob nicht direkt, aber indirekt. Mein Vater war Kurde. Ich habe viele Geschichten darüber erfahren, denn diese Geschichten aus dem kurdischen Teil Iraks waren immer gewalttätig. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn die Leute heute angstvoll auf dieses Land schauen wegen dem IS, dann ist das für die Menschen dort fast schon alltäglich.
Wissen Sie, ob Ihre Werke auch im arabischen Raum gelesen werden?
Fatah: Übersetzt sind sie teilweise, zwei Romane sind in Kairo erschienen, ein anderer wird gerade ins Kurdische übersetzt. Stark wahrgenommen werden sie eher nicht. Der Roman hat nicht so eine starke Tradition im Nahen Osten, die Literatur besteht mehr aus Märchen und Gedichten. Aber ich tue, was ich kann.
Was können die Besucher der Bibliothekstage in Wittlich erwarten am Sonntag?
Fatah: Eine Lesung und Gespräch - für das ich sehr offen bin. Ich beantworte auch gerne zwischendurch Fragen, das liegt mir auch mehr als eine einstündige frontale Wasserglaslesung. Meiner Erfahrung nach gehen uns die Gesprächsthemen nie aus.
Ich fahre in erster Linie hin mit meinem letzten Roman "Der letzte Ort", aber wenn das Bedürfnis da ist, noch aus einem anderen Buch zu lesen, mache ich das auch. Ich bin da relativ flexibel.
Warum sollte man sich auch 2016 noch Zeit nehmen, ein gutes Buch zu lesen? Gibt es einen Mehrwert gegenüber anderen Medien?
Fatah: Natürlich ist es langsamer und es ermöglicht uns Figuren in ihrer Entwicklung zu sehen. Das kann kein anderes Medium bieten. Wenn wir sie als Bilder sehen, wie Filmfiguren, das ist zu kurz.Öffentlichkeit und das Freie Wort sind wertvolle Güter unserer Gesellschaft. Dafür engagieren Sie sich auch im PEN-Zentrum Deutschland. Der türkische Präsident Erdogan verklagte den deutschen Satiriker Jan Böhmermann für ein Schmähgedicht. Haben Sie sich damit auseinandergesetzt?
Fatah: Ich habe es begleitet. Da ist etwas Politisches aus etwas gemacht worden, was eigentlich ein ziviler Streit war, um eine Art Geschmacksverirrung. So toll war das Gedicht nun auch nicht und ich finde die Provokation auch nicht nötig. Aber den Kontext der Türkei, als despotischer Staat, kann man nicht übersehen, ein Land in dem ganz viele Journalisten im Gefängnis sitzen. Das wird derzeit verdrängt durch den Krieg in Syrien und den IS. Die Böhmermann-Geschichte ist nur ein Anlass, der dafür genutzt werden sollte, mehr über die Türkei zu berichten. Die Sache selbst ist im Grunde eine Lapalie.
Gibt es einen eigenen Titel, den Sie unseren Lesern besonders ans Herz legen würden? Worum geht es in zwei Sätzen?
Fatah: Wenn man an der Flüchtlingssache interessiert ist, sollte man "Das dunkle Schiff" lesen, da geht es um einen jungen Mann, der aus dem Nahen Osten auf illegale Weise nach Berlin kommt. Ich habe es vor Jahren geschrieben und finde es interessant, dass dieses Buch mittlerweile zur Begleitliteratur zu den aktuellen Ereignissen geworden ist. meyExtra

Der deutsche Autor Sherko Fatah wurde 1964 in Ost-Berlin als Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen geboren. Er wuchs in der DDR auf und siedelte 1975 mit seiner Familie über Wien nach West-Berlin über. Das Gros seiner Romane bewegt sich im Spannungsfeld zwischen arabischer und westlicher Welt: "Im Grenzland" (2001), "Ein weißes Land" (2011) oder im Herbst 2014 "Der letzte Ort" über die Entführung eines Deutschen und seines Übersetzers durch islamistische Terrorgruppen im Irak. Neben anderen Auszeichnungen erhielt Fatah 2015 den Großen Kunstpreis Berlin für sein bisheriges Werk.meyExtra

Nächster Termin: Am Dienstag, 25. Oktober, wird den sechs erfolgreichsten Klassen des Lesesommers aus dem Cusanus-Gymnasium, der IGS Salmtal und dem Peter-Wust-Gymnasium der Preis in Form einer Lesung überreicht. Die Künstlerin Charlotte Hofmann veranstaltet ein "Comic-Live-Abenteuer". Weitere Termine online unter www.bibliothekstage-rlp.de mey

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