Die bittere Bilanz des Frank-Walter Steinmeier: Er hat vermittelt wie kein Außenminister zuvor - Genutzt hat es wenig

Berlin · Man könnte meinen, 300.000 Flugkilometer pro Jahr, dazu immer wieder nächtelange Verhandlungen, das schafft man nur, wenn man unter Strom steht. Aber bei Frank-Walter Steinmeier gingen weder Sprechtempo, noch Puls häufig hoch. Und die Emotionen nach außen auch nicht. Dieser Außenminister war die Ruhe selbst.

Bereits seine Vorgänger Joschka Fischer (Grüne) und Guido Westerwelle (FDP) hatten sich stärker als frühere deutsche Außenminister in das Getümmel der Weltkonflikte gestürzt. Der Sozialdemokrat Steinmeier, den am Donnerstag seine letzte Amtsreise nach Paris führte, hat das noch gesteigert. Er hat Deutschlands gewachsene Verantwortung in der Welt regelrecht verkörpert.

Am Auffälligsten war das bei den Atomverhandlungen mit dem Iran, bei denen Deutschland, obwohl nicht Mitglied des fünfköpfigen UN-Sicherheitsrats, mit am Tisch saß. Fünf plus Eins hieß die Formel. Auch wegen Steinmeiers Vermittlerqualitäten. Nach Aufhebung der Sanktionen reiste er sofort nach Teheran. Und versuchte dort gleich den nächsten Coup - er wollte Iran und dessen Erzfeind Saudi-Arabien an einen Tisch bringen, da beide Schlüsselmächte des Syrien-Konfliktes sind.

Ähnlich bedeutend war sein Engagement im Ukraine-Konflikt. Als 2014 die Proteste auf dem Maidan kurz vor einer gewalttätigen Eskalation standen, flog er kurzerhand nach Kiew und bildete zusammen mit seinem französischen und polnischen Kollegen eine Art diplomatischen Schutzschild. So lange die Drei mit Diktator Janukowitsch verhandelten, konnte nicht geschossen werden.

Dass die friedliche Machtübergabe, die das Trio erreichte, nicht lange hielt und Russland die Krim annektierte, war nicht Steinmeiers Schuld. Seitdem widmete er sich unermüdlich der Aufgabe, wenigstens das Waffenstillstandsabkommen von Minsk aufrecht zu erhalten. Außenminister haben selten nachhaltige Erfolge. Steinmeier hat das immer gewusst. Es geht immer nur um die Verhinderung von Schlimmerem und darum, den diplomatischen Prozess irgendwie in Gang zu halten. "Aufgeben kann keine Option sein", sagte er oft. Gesprächsfäden finden und aufnehmen, jedes "Säbelrasseln" vermeiden, dass war seine Grundeinstellung. Deshalb hat er sich auch immer geweigert, öffentlich lautstark Stellung zu beziehen, etwa gegen Putin oder Erdogan. Viele haben das mit Verständnis für diese Autokraten verwechselt.Persönlicher Draht

Steinmeier hat zu vielen Amtskollegen einen persönlichen Draht aufgebaut, am meisten zum Amerikaner John Kerry und zum Franzosen Laurent Fabius. Jean Asselborn aus Luxemburg trifft er auch privat. Und er hat in Israel wie Palästina gleichermaßen Freunde. Zudem hat Steinmeier das Auswärtige Amt wieder gestärkt. Er hat sich auf die erfahrenen Diplomaten dort gestützt, auch solche, die ein anderes Parteibuch haben. Und der Kultur als Mittel der Diplomatie hat er eine größere Bedeutung gegeben.

Freilich, die Welt hat sich verändert. US-Präsident Trump will das Iran-Abkommen eventuell kündigen. Und Großbritannien die EU verlassen. Über die Brexit-Befürworter hat Steinmeier gesagt, sie seien "unverantwortliche Politiker, die sich jetzt aus dem Staub machen und Cricket spielen gehen". Da war noch nicht klar, dass Boris Johnson neuer britischer Außenminister werden würde. Steinmeier nannte Donald Trump gar einen "Hassprediger". Zum Schluss also doch ein paar Emotionen - nämlich Wut. Die internationalen Verhältnisse sind trotz aller Mühen nicht wirklich besser geworden. Das ist Steinmeiers bittere Bilanz.Extra

Frank-Walter Steinmeier ist fast genau sieben Jahre Außenminister gewesen, vom 22. November 2005 bis zum 28. Oktober 2009 und dann noch einmal vom 17. Dezember 2013 bis zum 27. Januar 2017. Das ist Platz drei auf der Rangliste der deutschen Außenminister. Joschka Fischer von den Grünen amtierte einen Monat länger, Hans-Dietrich Genscher (FDP) sogar insgesamt 18 Jahre. Steinmeier hat in seinen beiden Amtszeiten nach Auskunft seines Ministeriums fast 100 Länder besucht. Frankreich und Belgien (wegen der EU-Zentrale in Brüssel) mit jeweils 30-mal am häufigsten. Es folgen Italien (13-mal), Österreich (zwölfmal) und die USA (zehnmal). Australien ist der einzige Kontinent, den er ausließ. Von den bedeutenderen Ländern war er nur in Kanada und Schweden noch nie. In seiner zweiten Amtszeit machte der Minister 219 Reisen in drei Jahren. So flog er im Sommer 2015 in zwei Wochen sechsmal nach Wien - zu den Atomverhandlungen mit dem Iran. Insgesamt legte er seit 2013 über 977.000 Flugkilometer zurück, das entspricht 24 Erdumrundungen. Oft flog Steinmeier in prominenter Begleitung: Frankreichs Außenminister Laurent Fabius nahm er 2013 in seinem Flugzeug mit, um auf einem Rundtrip von Moldau über Georgien und Tunesien bis Paris Gemeinsamkeit zu demonstrieren. Regelmäßig waren auch Unternehmer und Künstler mit an Bord. Mehrfach gab es Flugpannen. Mal zwang ein geplatzter Reifen zum Startabbruch in Berlin-Tegel, mal legte ein Defekt in der Benzinzufuhr in China die Maschine lahm. Rauch zwang 2014 zu einem Aufenthalt in Adis Abeba, ein Riss in der Cockpit-Scheibe zur Zwangspause in Vilnius. 2006 ließ die Flugbereitschaft einen Tankstopp absichtlich in Helsinki vornehmen - der fußballbegeisterte Minister konnte so eine Halbzeit eines deutschen WM-Spiels gucken. Direkt im Hangar.wk

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