"Operation Sauerkrauts": Der Agent aus Bitburg

Bitburg · Manchmal sind es Zufälle, die unglaubliche Geschichten zutage fördern. Heimatforscher Stephan Garçon entdeckte auf der Internetseite des Geheimdienstes CIA die Geschichte eines Agenten, der aus Bitburg stammt.

 Fundstück von der Internetseite der CIA: Stephan Garçon mit „The Story of the Sauerkrauts“.

Fundstück von der Internetseite der CIA: Stephan Garçon mit „The Story of the Sauerkrauts“.

Foto: Dagmar Schommer

Sein Name: Weinand, Alfred Weinand. Ein Mann, der 1945 gerade mal 26 Jahre alt war. Geboren: 1919, vielleicht auch 1920, in Bitburg. Er hat acht Jahre die Volksschule besucht und war zwei Jahre beim Militär, bevor der Krieg ausbrach. Er hat in Afrika gekämpft. Als er von diesem Feldzug in die Heimat zurückkehrte, musste er feststellen, dass sein Vater, ein aktiver Kommunist, der von den Nationalsozialisten in ein Konzentrationslager verschleppt worden ist. Seine beiden Brüder galten an der Ostfront als vermisst. In einem KZ muss der Vater schon mal zuvor für zwei Jahre gewesen sein. Welches Lager, ist ungewiss. Wie so vieles bei dieser Geschichte, die dennoch lohnt, erzählt zu werden.

Dass nach mehr als 70 Jahren wie aus dem Nichts überhaupt noch mal etwas über diesen Mann aus Bitburg auftaucht, ist an sich schon spannend. Erst recht, wenn man bedenkt, aus welcher Quelle die spärlichen Informationen über Alfred Weinand stammen. Sie sind von einer Internetseite der Central Intelligence Agency, besser bekannt als CIA, der amerikanische Geheimdienst.

Weinand war offenbar Agent geworden, so steht es in dem Dokument auf der Seite der CIA. Der junge Mann ist von der Wehrmacht desertiert. Vertrauenserweckend für den Geheimdienst - es muss ein Vorläufer der CIA gewesen sein, die ja erst 1947 gegründet wurde - war, dass Weinand in einem kommunistischen Umfeld aufgewachsen sei und, so steht es in dem Bericht, "der diktatorischen Naziherrschaft misstraut und weder in die faschistische Partei eingetreten war, noch Mitglied der Hitlerjugend oder irgendeiner anderen Nazi Organisation" gewesen ist.

Auf den Bericht ist der Bitburger Heimatforscher Stephan Garçon gestoßen. Durch Zufall. "Ich bekomme so einen Rundbrief einer Computerfirma, da war der Hinweis dabei und dem bin ich dann gleich nachgegangen", erzählt Garçon. Der Hinweis war ein Link auf eins der vielen Millionen Dokumente, die Barack Obama noch kurz vor dem Ausscheiden aus seinem Amt öffentlich zugänglich gemacht hat. "Das ist doch spannend: Geheim-Dokumente der CIA", sagt Garçon, der sofort daran dachte, zu prüfen, ob sich da was zu Bitburg findet: "Schließlich waren die Amerikaner hier jahrzehntelang stationiert, sind es heute noch in Spangdahlem."

Gedacht, getan: Garçon ruft die Internetseite auf, gibt bei der Suchfunktion "Bitburg" ein - und tatsächlich, es erscheint eine ganze Liste mit Dokumenten. Das meiste davon sind Verweise auf Zeitungsartikel in Zusammenhang mit dem Besuch Ronald Reagans 1985 in Bitburg, der wegen der Kranzniederlegung auf dem Gedenkfriedhof Kolmeshöhe, wo auch SS-Soldaten bestattet sind, weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Die Artikel, die dort aufgeführt werden, haben mehr den Charakter einer Sammlung. Auch über den Reagan-Besuch selbst findet sich in den freigegebenen Dokumenten nichts besonders Spannendes, Geheimes, Neues. Hängengeblieben ist Garçon bei einem Eintrag mit dem Titel "The Story of the Sauerkrauts".

Offenbar, so erschließt sich aus dem Dokument, gab es eine "Operation Sauerkrauts", die im Juli 1944 begann. 16 Agenten sollen dafür angeworben worden sein - einer davon Alfred Weinand aus Bitburg. Es waren Kriegsgefangene aus einem Gefängnis in Aversa, Italien, nahe Neapel, die - so steht es weiter in dem Bericht -, die in deutschen Uniformen und mit gefälschten Papieren getarnt, die Aufgabe hatten, hinter die feindlichen Linien zu kommen, um dort Propaganda-Material zu verteilen, dass die deutschen Truppen in ihrem Kampfwillen demoralisieren sollte.

"Überall entlang der Front in Italien lasen deutsche Soldaten Dokumente, die ihnen glaubhaft machen sollten, dass zuhause die Revolte gegen die Nazis längst begonnen habe", steht dazu in dem Dokument - auf Englisch natürlich, hier wörtlich übersetzt. Zudem, so weiter im Bericht, hätten die Agenten auch dem amerikanischen Militär wertvolle Informationen gebracht - "obgleich das nicht vorrangig ihre Aufgabe war".

Offenbar war also auch Alfred Weinand einer der Kriegsgefangenen, der sich wie die übrigen Agenten "charakterlichen Prüfungen" unterziehen musste, bevor er in die Mission "Sauerkraut" kam, die wegen ihres Erfolgs rasch um weitere Agenten vergrößert wurde, wie es in dem Bericht heißt.

Der ist für Heimatforscher Garçon ein kostbares Fundstück: "Das ist das erste, mir bekannte Beispiel, dass ein Bitburger aktiven Widerstand gegen das Nazi-Regime geleistet hat." Ungefährlich sei der Agenten-Job sicher nicht gewesen. "Als Deserteur, der zum Feind übergelaufen ist, musste man mit dem Tod rechnen, falls man enttarnt wurde." Garçon hofft natürlich, mehr über diesen Alfred Weinand herauszufinden: "In Matzen ist das ein geläufiger Name. Vielleicht kann sich jemand erinnern."

Weinand, so steht in dem Bericht abschließend, soll acht Monate mit einer Frau in Rom gelebt haben, die er später geheiratet hat. Gegenüber den Alliierten soll er gesagt haben, dass er auch weiter für sie in Deutschland arbeiten würde, aber er in das Land nicht zurückkehren möchte, um zu bleiben. Er habe vor, in seinem Beruf als Auto-Mechaniker weiterzuarbeiten - "irgendwo, aber nicht in Deutschland".

Den kompletten Bericht gibt es im Internet auf der Seite
https://www.cia.gov/library/readingroom/
Info: ITALIEN 1943/44

Auf der Casablanca-Konferenz Anfang 1943 versuchte der britische Premier Winston Churchill, US-Präsident Franklin D. Roosevelt zu überzeugen, den Angriff auf die "Festung Europa" von Sizilien aus zu wagen. Die Operation gegen Sizilien begann am 10. Juli 1943 und wurde im August erfolgreich abgeschlossen. Es folgte eine Operation auf dem Festland. Zuvor hatten die Deutschen weitere Divisionen in Norditalien und bei Rom stationiert, um im Falle eines Separatfriedens der neuen italienischen Regierung - Diktator Benito Mussolini war abgesetzt, Nachfolger Pietro Badoglio verhandelte mit den Alliierten - die italienische Armee zu entwaffnen. Im Januar 1944 landeten britische und US-Truppen mit Transportschiffen in der Nähe von Anzio und Nettuno mit 36?000 Soldaten und 3200 Fahrzeugen. Der Widerstand der Deutschen war gering. Etwa 200 deutsche Soldaten gerieten in Kriegsgefangenschaft. Die Schlacht um Monte Cassino führte im Mai 1944 zum Durchbruch durch die deutschen Stellungen. Am 4. Juni 1944 marschierten die Amerikaner in Rom ein. (Quelle Wikipedia)
Aufruf: WER KENNT DIESEN MANN?

 Sah er so aus? Diese Strichzeichnung gibt es in dem Bericht "The Story of the Sauerkrauts" von Alfred Weinand.

Sah er so aus? Diese Strichzeichnung gibt es in dem Bericht "The Story of the Sauerkrauts" von Alfred Weinand.

Foto: Dagmar Schommer

Über Alfred Weinand aus Bitburg, der 1945 gerade mal 26 Jahre alt war, steht nicht viel in dem Bericht. Heimatforscher Stephan Garçon hofft, dass sich Menschen melden, die Alfred Weinand vielleicht kannten oder jemanden kannten, der mal etwas von dem Mann gehört hat. Oder seiner Mutter, seinen Brüdern oder den Vater. Wer Hinweise hat, melde sich bei Stephan Garçon, Telefon 06561/67639, oder per E-Mail an:
stiwie1@t-online.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort