Nach dürrer 100-Tage-Bilanz landet Trump seinen ersten Sieg

Washington · Der US-Präsident feiert euphorisch den gelungenen Angriff auf Obamacare im Repräsentantenhaus. Auf Amerikas Alte, Arme und Kranke kommen ungemütliche Zeiten zu.

Washington Es war, als hätte eine Fußballmannschaft nach hartem Kampf einen begehrten Pokal gewonnen. Die ausgelassene, fast alberne Stimmung ließ an eine Umkleidekabine denken, in der die Sektkorken knallen. Mittendrin Donald Trump, der Kapitän, der nicht nur jubelte, sondern auch, wie so oft, seine eigene Leistung in den Vordergrund stellte. Da gebe es Leute, die ihm geraten hätten, er brauche mehr Zeit, er müsse noch üben, sagte er im Rosengarten des Weißen Hauses. Nun aber, gab er zu verstehen, habe er die Besserwisser eines Besseren belehrt.

Tatsächlich hat Trump den Entwurf eines Gesundheitsgesetzes durchs Repräsentantenhaus geboxt, von dem es noch vor sechs Wochen hieß, der Anlauf sei so gut wie gescheitert. Im März mussten die Republikaner eine fällige Abstimmung abblasen, weil ihnen dämmerte, dass sie auf eine Niederlage zusteuerten. Die Flügel an den Polen der Partei schienen heillos zerstritten: hier die Tea Party, die staatliche Subventionen noch rigoroser streichen wollte als vorgesehen, dort gemäßigte Konservative, denen zu weit ging, was gestrichen werden sollte.

Dass sich beide Fraktionen doch noch auf Kompromisse einigten, erklärt die Partystimmung im Rosengarten. Zwar hat Trump nur eine Etappe gewonnen, und schon an der nächsten Hürde, wenn der Senat über das Paragrafenwerk berät, könnte er scheitern. Dass er dennoch voller Euphorie triumphiert, liegt daran, dass er nach dürrer 100-Tage-Bilanz erstmals einen parlamentarischen Sieg vorweisen kann. Einen Sieg mit vielen Verlierern.

Der American Health Care Act, so der offizielle Titel der Anti-Reform, ist im Kern nicht mehr als ein Sparpaket. Er wickelt vieles wieder ab, was 2010 mit Barack Obamas Gesundheitsreform beschlossen wurde. Mit dem Versuch, sich allmählich dem anzunähern, was in anderen Industrieländern längst selbstverständlich ist: Krankenversicherungen für alle. Konnten sich dank Obamacare rund 20 Millionen Menschen erstmals eine Police leisten, so kehrt Trumpcare den Trend um. Nach Schätzungen des Budgetbüros des Kongresses könnten bis 2026 insgesamt 24 Millionen derzeit Versicherte ihren Schutz wieder verlieren. Bei Medicaid, dem steuerfinanzierten Gesundheitsprogramm für Leute mit niedrigem Einkommen, wird die sprichwörtliche Axt angelegt: Im Laufe der nächsten Dekade sollen die Zuschüsse dafür um 880 Milliarden Dollar sinken.

Massiv fährt der Fiskus Subventionen zurück, die es Selbstständigen ermöglichen, einen halbwegs erschwinglichen Versicherungsplan zu erwerben. Zudem entfällt ein ebenso unpopuläres wie unverzichtbares Instrument von Obamacare: Um zu verhindern, dass junge, gesunde, gut verdienende Amerikaner der Solidargemeinschaft fernblieben, wurden sie mit empfindlichen Steueraufschlägen zur Kasse gebeten, falls sie sich nicht versicherten. Nach Trumps Skizze ist die Strafe passé, was absehbar zur Folge hat, dass die Solidargemeinschaft schrumpft. Damit dürften die Prämien für alte und chronisch kranke Menschen steigen, in manchen Fällen auf realistisch nicht mehr bezahlbare Summen.

Schließlich sollen die fünfzig Bundesstaaten künftig in eigener Regie entscheiden, ob sie Anbieter zwingen, Patienten mit teuren Vorerkrankungen - etwa Krebs, Bluthochdruck oder Asthma - zu ähnlichen Konditionen aufzunehmen wie Leute, denen nichts fehlt. Der Passus holte erzkonservative Skeptiker an Bord, während eine Art Trostpflaster die Moderaten im Boot halten sollte. In der Endphase des Verhandlungspokers segnete die Regierung eine zusätzliche Finanzspritze ab, acht Milliarden Dollar, um chronisch Kranke zu entlasten. Nach Ansicht von Kritikern eine lächerlich geringe Summe. Es laufe darauf hinaus, Krebspatienten mit Hustensaft zu behandeln, spitzt es der New Yorker Senator Chuck Schumer zu.

Fazit: Auf Alte, Arme und Kranke kommen ungemütliche Zeiten zu, wobei es sich gerade im Milieu der weißen Arbeiterschaft um Wähler handelt, die Trump den Vorzug vor Hillary Clinton gaben. Schon deshalb hoffen die Demokraten auf einen Akt verspäteter Rache. Mit der Rotstiftnovelle steigen vielleicht ihre Chancen, den Republikanern bei der Kongresswahl im Herbst 2018 die Mehrheit abzunehmen - falls der Frust über Trumpcare Teile der Trump-Klientel umschwenken lässt.

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