Zwei Jahre Nationalpark Hunsrück-Hochwald: Junge Buchen, neue Moore, mehr Besucher

Erbeskopf · "Willkommen im Urwald von morgen" lautet das Motto des Nationalparks Hunsrück-Hochwald. Für den Park gibt es viele Ziele und Pläne.

Im Hunsrückhaus klappert Geschirr zu fröhlichem Stimmengewirr. Eine etwa 60-köpfige Gruppe stärkt sich beim Büfett für die Gipfeltour mit Nationalparkführerin Petra Schmidt. Bald schon werden die Männer und Frauen unter rauschenden Wipfeln zu einem Wald laufen, wie es ihn in Deutschland nur selten gibt. Zu einem Stückchen Erde, das seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt wird. Wo die Natur Natur sein darf. Wissenschaftler hätten die Parzelle untersucht, sagt Schmidt und festgestellt, dass es dort 89 Flechten-, 89 Moos-, 51 Vogel-, 11 Fledermaus- und 410 Käferarten gebe. "Das ist nur möglich, weil der Wald seit 33 Jahren nicht bewirtschaftet wird", sagt die Thalfangerin begeistert, während ein Ranger vor dem Haus auf weitere Neugierige wartet, die sich von ihm kostenlos durch den Park führen lassen.

Naturschutz
Große Artenvielfalt soll es künftig in weiten Teilen des Nationalparks geben, dessen Motto "Willkommen im Urwald von morgen" lautet. "Das ist der Kern dessen, worum es uns geht", sagt Nationalparksprecher Sören Sturm. Ziel sei an allererster Stelle der Naturschutz. "Forschung, Umweltbildung, Tourismus und Regionalentwicklung kommen erst dann, wenn es der Schutzzweck erlaubt."

Die 14.000 Fußballfelder große Fläche soll artenreiche Hangmoore, Arnikawiesen, Orchideen und heimische Wälder ermöglichen, in denen Buchen so alt werden, dass sie nach 300 Jahren einfach zusammenbrechen. Eine Heimat für Wildkatzen, Schwarzstörche, Spechte, Fledermäuse und 1400 Käferarten.

Noch wachsen vielerorts Fichten, die im Hunsrück nicht heimisch sind. Das wird sich mit den Jahren ändern: 163.000 Buchen wurden allein 2016 neu gepflanzt, 45.000 Festmeter Fichte gefällt. Vor allem dort, wo sich wieder Moore entwickeln sollen. Ursprünglich waren 13 Prozent der Nationalparkfläche von Sümpfen bedeckt. 2016 waren es gerade mal 0,1 Prozent. "Da arbeiten wir dran", sagt Sturm. 100 Kilometer Grabensysteme werden zurückgebaut, damit das Wasser sich stauen kann und typische Feuchtbiotope entstehen, wo Smaragdlibellen zwischen Wollgras, Sonnentau und Siebenstern umherschwirren. Auch darf sich die Natur 300 von 500 Wirtschaftsweg-Kilometern zurückerobern. Nach 30 Jahren sollen 75 Prozent des Gebiets "wild" sein. "Geben Sie uns 200 bis 300 Jahre Zeit, dann haben wir es", sagt Sturm. Geduld ist gefragt.

Tourismus
Bis Touristen flächendeckend unberührte Natur sehen können, wird es also dauern. Wer in den Nationalpark fährt und "ein fertiges Produkt" erwartet, wird wohl enttäuscht. Auch lässt die touristische Infrastruktur weiter zu wünschen übrig. "Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn der Gast Geld ausgeben will, aber nicht kann", sagt Sturm.
Dennoch hat sich in den vergangenen zwei Jahren einiges bewegt. So sind die Besucherzahlen an den drei künftigen Nationalparktoren sprunghaft gestiegen: 2014 kamen noch 22.000 Besucher zum Wildfreigehege und zum Hunsrückhaus. Ein Jahr später waren es laut Nationalparkamt 36.000. Im Mai 2016 wurde das Keltendorf in Otzenhausen eröffnet. Seitdem kamen mehr als 15.000 Besucher. Im Spätsommer 2018 soll im Hunsrückhaus eine moderne Nationalpark-Ausstellung eröffnen, die Lust auf Streifzüge macht. Die Ausschreibung läuft.

Und die Hotels? "Wir brauchen keine Bettenburgen in Börfink", sagt Sturm. Aber auf Qualität lege man großen Wert. 39 Betriebe haben inzwischen an Seminaren für Servicequalität teilgenommen. Mehr als 50 haben Interesse bekundet, Partner des Nationalparks zu werden. Sie lassen sich nun zertifizieren.

In Kell am See, einer Verbandsgemeinde, die kürzlich beantragt hat, der Nationalparkregion beizutreten, hat sich das Hotel zur Post ganz auf das Schutzgebiet ausgerichtet: Großflächige Naturbilder zieren die frisch sanierten Duschkabinen. Das Interesse der Gäste am Park sei riesig, sagt der Hotelinhaber. Auch der Landal-Ferienpark in Kell sieht die Nähe als Chance (der TV berichtete).

In Nohfelden hat das Café Kelte Katz eröffnet, das sich ganz am Nationalpark orientiert. Und als Andenken können Besucher inzwischen Schmuck, Kaffee oder Tassen mit dem Nationalparklogo "Keltenkatze" erwerben.

Umweltbildung
Mehr als 600 Kinder besuchten den Nationalpark 2016 mit ihren Schulklassen, 722 Kinder nahmen in den Ferien an mehrtägigen Outdoorveranstaltungen teil, 183 Pädagogen wurden weitergebildet.

28 Ranger sind inzwischen fest angestellt. Sie führten 2016 rund 1500 Gäste in 268 kostenfreien Touren durch den Park.

Die 57 zertifizierten Nationalparkführer, die nicht beim Park angestellt sind, haben 2016 insgesamt rund 3000 Interessierten mehr über die Natur und Geschichte der Region beigebracht. Auch moderne Schatzsuche ist beliebt. 40 Geocashes sind im Nationalpark verborgen.

Forschung
Zahlreiche Forschungsteams kartieren Biotope, erfassen sämtliche Arten, untersuchen Naturwaldreservate, messen Wasserstände und schießen 270 hochauflösende Panoramafotos. Alle fünf bis zehn Jahre soll ein neues 360-Grad-Bild entstehen, das dokumentiert, wie aus Fichtenforsten im Laufe der Zeit Buchenwälder, Moore und Wildblumenwiesen werden.

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