TV-Serie Raus! Geschichten vom Aussteigen: Vom Priester zum Papa (Multimedia-Reportage)

Traben-Trarbach · Auch Johannes Werling ist ein Aussteiger. Als junger Mann lässt er sich zum Priester weihen, macht Karriere in der Kirche und wird Professor für Religion. Dann verliebt er sich in eine Frau.

TV-Serie Raus! Geschichten vom Aussteigen: Vom Priester zum Papa (Multimedia-Reportage)
Foto: Sebastian Grauer

Johannes Werling sitzt am Kopfende. Neun weitere Stühle stehen um den Glastisch herum. Der 74-Jährige erwartet keine große Gesellschaft. Die Stühle sind regelmäßig besetzt. Denn Johannes Werling hat zusammen mit seiner Frau acht Kinder.

Multimedia-Reportage zur Serie

Eine eigene Familie - vor rund 30 Jahren wäre das für ihn undenkbar gewesen. Johannes Werling ist ein suspendierter Priester und Theologieprofessor. Hineingeboren in eine katholische Familie in Traben-Trarbach, geht er mit zehn Jahren auf ein Internat nach Speyer. Später wechselt er an die Universität nach Innsbruck, an der er Philosophie studiert und Kurse in Theologie belegt. Als sich ihm die Chance bietet, an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom zu studieren, greift er zu - es handelt sich um eine Eliteuni für den Nachwuchs in der katholischen Kirche.

Werling ist 27 Jahre alt, als er zum Priester geweiht wird. Für diesen Beruf habe er sich ganz bewusst entschieden, sagt Werling. "Ich wollte mit Menschen arbeiten, nicht mit Dingen.” Der Zölibat (siehe Extra) habe ihn nicht gestört - auch, weil zu seiner Studienzeit in den 1960er Jahren vieles möglich erschienen sei: "Die 68er Bewegung gab es auch in der Kirche.” Einige Bischöfe hätten ihren Studenten gesagt, dass sie sich ruhig weihen lassen könnten ohne Angst zu haben, später nicht heiraten zu dürfen.

Unter diesen Studenten ist auch Johannes Werling, auch er glaubt an eine moderne Kirche. Aber auch daran, dass ein Leben im Zölibat möglich ist. Der junge Priester macht Karriere. Er promoviert in Rom, wechselt 1975 nach Pirmasens, dann nach Bad Bergzabern. Dort ist er als Seelsorger und Religionslehrer tätig, hütet in den Pfarrgemeinden seine Schäfchen. Zudem wird er Seelsorger an der Hochschule in Kaiserslautern. 1982 folgt eine Berufung an die Hochschule in Mainz, Werling wird Professor für Religionspädagogik. Im Wochentakt pendelt er zwischen der Stadt am Rhein und der in der Pfalz.

In seiner Zeit als Dozent beobachtet Werling, dass immer weniger Reformen, die 1965 beim zweiten Vatikanischen Konzil (siehe Extra) beschlossen wurden, tatsächlich umgesetzt werden. Schlimmer noch für ihn: Konservative Kirchenfunktionäre wollen das Rad zurückdrehen. Aus Angst, Privilegien zu verlieren und entmachtet zu werden, mutmaßt Werling. Er beginnt zu zweifeln. Seine Studenten leiden unter dem Reformstau: "Sie kamen mit soviel Elan ins Studium, wurden dann aber in den Gemeinden von den älteren und konservativen Priestern ausgebremst.” Einige seiner Schützlinge hätten das Studium abgebrochen.

Auch Werlings Überzeugung ist angezählt. Wenig später erhält sie einen weiteren Schlag. Bei einer Trauung lernt der Theologieprofessor Sabine kennen. Zunächst ahnt er nicht, dass die junge Frau sein Leben von Grund auf verändern wird. Doch als er einen Kollegen in Kröv vertritt und Sabines Familie ihn einlädt, passiert es: Johannes Werling verliebt sich in die 23 Jahre jüngere Medizinstudentin aus dem Moselort. Das junge Paar trifft sich in Mainz, dort studiert Sabine zu diesem Zeitpunkt. "Es entstand eine tiefe emotionale Bindung”, erzählt Werling. Der Konsequenzen sei er sich bewusst gewesen. "Ein Jahr lang habe ich das mit mir herumgetragen.”

Irgendwann will er seine Liebe nicht mehr verheimlichen. Er informiert seinen Bischof in Speyer. Werling wird suspendiert und erhält ein Lehrverbot. Die schriftlichen Prüfungen darf er seinen Studenten noch abnehmen, die mündlichen nicht mehr. "Vermutlich hatten einige Leute in der Kirche Angst, ich würde die Studenten beeinflussen. Ich war raus.”

Seine berufliche Laufbahn, alles, wofür er gearbeitet hatte - vorbei. "Das war eine Lebenszensur. Mit 48 bist du in einem Alter, in dem du noch was machen willst. Ich wollte auch, durfte aber nicht.” Zudem sei es nicht einfach, in diesem Alter etwas Neues anzufangen. "In gewisser Weise war das ja auch ein sozialer Abstieg. Aber ich bin niemand, der lange im Loch liegen bleibt.”

Zumal es einen Lichtblick gibt: Kurz nach der Suspendierung heiratet Johannes Werling seine Sabine auf dem Standesamt. Eine Hochzeit in der Kirche ist nach geltendem Recht nicht möglich. Er hilft seiner Frau, eine Zahnarztpraxis in Traben-Trarbach aufzubauen. Beide fangen bei Null an. Ersparnisse habe er kaum gehabt, weil er als Priester einen Großteil seines Verdienstes gespendet habe, erzählt Werling.

Doch das Paar kämpft sich durch. Der Priester tauscht die Soutane gegen eine Kochschürze und wird Hausmann. Denn der Nachwuchs lässt nicht lange auf sich warten. Heute sind Sabine und Johannes Werling Eltern von acht Kindern - fünf Mädchen und drei Jungs im Alter von zwölf bis 23 Jahren. Neben der Familie sucht sich Werling neue Herausforderungen, wird Mitglied in Vereinen und im Schulelternbeirat. Außerdem hält er Vorträge.

Der Zölibat ist seiner Meinung nach weder zeitgemäß noch biblischen Ursprungs. Auch deshalb fehle der Kirche Nachwuchs. "Das Problem gibt es, weil die Kirche auf ihr Recht pocht. Wir brauchen wieder eine Kirche, die für die Menschen da ist und sich nicht selber als Institution in den Mittelpunkt stellt.” Natürlich müsse e ein Priester die Werte seiner Kirche vor der Gemeinde vertreten. Doch das könne er genauso gut mit einer Familie. Zumal in der Bibel stehe, dass nur der eine Gemeinde leiten könne, der auch ein Vorbild in seiner Familie sei. "Ich habe gerade wieder mit dieser Begründung einen Brief an den Papst geschrieben. Ich weiß allerdings nicht, ob der ankommt”, sagt Werling. Gehadert hat er mit seinem Ausstieg nie: "Ich habe es nicht bereut, Priester zu werden, und ich habe es nicht bereut, damit aufzuhören.” Er sieht sich noch immer als katholischer Wertevermittler. Er steht zwar keiner Pfarrgemeinde vor, aber einer zehnköpfigen Familie. Und deshalb sitzt er nun dort, am Kopf des Tisches mit den vielen Stühlen. ? Autor Sebastian Grauer beschlich während des Gesprächs mit Johannes Werling das Gefühl, dass die Kirche im Grunde genommen ein Großkonzern ist wie Volkswagen oder Siemens.

ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL Das Zweite Vatikanische Konzil begann 1962. Insgesamt 2498 Konzilsväter zogen in einem langen kirchlichen Umzug in den Petersdom der Vatikanstadt ein. Mit dabei waren Bischöfe aus 133 Ländern. Die Kirchenvertreter kamen zusammen, um über Reformen zu diskutieren und diese auch zu beschließen. Nach Ansicht von Johannes Werling herrschte in der Kirche zu dieser Zeit eine Aufbruchstimmung. Ergebnisse des Konzils waren unter anderem, dass die Gottesdienste nicht mehr in Latein gehalten werden sollten, sondern in der jeweiligen Landessprache und dass es jedem Einzelnen frei überlassen sein sollte, welcher Religion er zugehörig sein möchte. Auch die Ausbildung der Priester sollte geordnet werden.

ZÖLIBAT
Der Zölibat ist im Christentum das Versprechen, nicht zu heiraten. Die Kirche gebe als Grund an, dass nur, wer zölibatär lebe, sich voll und ganz auf seine Aufgabe als Priester konzentriere könne, erklärt Werling. "Wer das möchte, kann das ja auch tun. Ich bin davon überzeugt, dass es funktionieren kann.” Doch die Gründe für den Zölibat sind für ihn aus historischer Sicht andere: Das Erbe eines familienlosen Priesters falle nach dessen Tod zurück an die Kirche, und nicht an Frau und Kinder. Damit habe das Zölibat auch einen finanzpolitischen Grund, den die Katholische Kirche so natürlich nicht kommuniziere.

Wie tickt jemand, der eine Welt verlässt und in eine neue eintritt? Die Protagonisten der Serie Raus! beantworten drei
Was würden Sie tun, wenn Sie 50 Euro finden würden?
Johannes Werling: Ich würde es spenden.

Was würden Sie tun, wenn Sie König von Deutschland wären?Werling Ich würde ein Fest für alle organisieren, um die Menschen gemeinsam zum Feiern zu bringen.

Was soll auf ihrem Grabstein stehen?
Werling Sein Leben war nicht umsonst.

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