TV-Serie Raus! Geschichten vom Aussteigen: Neue Geistergeschichten

Trier/Trierweiler/Gerolstein · Manchmal gehen Menschen ohne ein Wort – sie "ghosten". Die Verlassenen bleiben mit vielen Fragen zurück. Und versuchen, etwas abzuschließen, für das es keinen Abschluss gibt.

 Eben noch ein Kuss, doch plötzlich ist Schluss: Die abrupte Trennung kann sich das Ghosting-Opfer meist nicht erklären.

Eben noch ein Kuss, doch plötzlich ist Schluss: Die abrupte Trennung kann sich das Ghosting-Opfer meist nicht erklären.

Foto: Lisa Bergmann

Wer kennt ihn nicht, den Witz vom frustrierten Ehegatten, der "mal eben Zigaretten holen" geht und nie wiederkehrt. Lustiger Spruch hin oder her: So etwas passiert tatsächlich in zwischenmenschlichen Beziehungen. Das Phänomen heißt heutzutage Ghosting, manchmal auch Houdhini-Effekt, nach dem berühmten Entfesselungskünstler: Ein Mensch löst sich aus einer Beziehung oder Freundschaft, scheinbar völlig abrupt und ohne jede Erklärung. Das lässt den Ex- Partner mit einer Menge Fragen zurück. Warum hat er oder sie das getan? Hätte ich es kommen sehen müssen? Gibt es eine Chance auf ein Wiedersehen? Das haben auch Menschen aus der Region schon erleben müssen. (Namen von der Redaktion geändert).

Multimedia-Reportage zur Serie 

Ich wurde von einem Mann 'ge-ghosted', der 41 war. Selber war ich damals 29 und dachte, in diesem Alter würde mir so etwas nicht passieren, weil Männer in seinem Alter da raus wären. Aber es ist passiert.
Katharina, Trier

Die Psychologin und Beziehungsexpertin Stefanie Stahl (siehe Extra) glaubt nicht, dass eine bestimmte Altersgruppe anfälliger für das Ghosting ist als andere. "Das hat mit dem Alter nichts zu tun, sondern mit Bindungsangst." Rein statistisch gesehen trifft das Phänomen aber vermutlich eher jüngere Menschen, weil sie öfter Beziehungen beginnen - und wieder abbrechen. Bindungsangst trifft außerdem Männer wie Frauen. "Bei Frauen äußert sich die Bindungsangst manchmal allerdings passiv. Sie suchen sich von vornherein Partner aus, mit denen eine langfristige Beziehung nicht unbedingt wahrscheinlich ist", sagt die Expertin.

Ich hatte ihn über eines dieser Flirtportale kennen gelernt: Erfolgreicher Businessmann, zwei Kinder, nie verheiratet, richtig viel Geld, tolles großes Haus und naja, seinem Alter nicht entsprechend. Es war wirklich nur eine Zahl, weil er sich jünger gekleidet und auch gegeben hat- eher so wie Mitte 30. Wir haben einen ganzen Monat hin und her gemailt, bevor es zum ersten Treffen kam.
Katharina, Trier

Die Wahrscheinlichkeit, an bindungsunfähige Menschen zu geraten, sei online zwar grundsätzlich etwas höher, glaubt Stahl. "Denn die Beziehungsfähigen sind ja irgendwann in einer Beziehung und löschen ihr Profil." Wer nicht beziehungsfähig ist, sucht länger und bleibt auf dem Portal angemeldet. Gleichzeitig belege aber eine Studie, dass Beziehungen, die virtuell enstanden sind, oft stabiler sind als andere. "Bei der Online-Partnersuche ist zumindest am Anfang noch die Vernunft mit im Boot", sagt Stahl. Wer im Internet ernsthaft nach der Liebe sucht, ist ehrlicher und wählt den Partner rationaler aus als im wahren Leben.

Es war vor Weihnachten und er fragte mich sogar, ob wir zusammen einen Baum aussuchen wollen. Wie konnte ich nicht das Gefühl haben, dass dies vielleicht doch was sehr Ernstes ist? Mittlerweile halte ich mich selber für sehr naiv an diesem Punkt, aber er gab mir das Gefühl, gewollt und begehrt zu sein - bis zu einem gewissen Zeitpunkt: Als wir zwei Wochen später in der Kiste gelandet sind. Der Abend war schön, und auch am Morgen danach war noch alles ganz normal - das übliche Getue von Verliebten: Knuddeln, Knutschen und alles ist rosarot. Der nächste Tag kam, ich fuhr zu ihm, das Auto stand im Hof, aber er öffnete die Tür nicht. Ich klingelte mehrfach, rief ihn an, aber es gab keine Reaktion. Also fuhr ich wieder nach Hause, hinterließ eine Nachricht auf der Mailbox, schickte eine Whatsapp und wartete. Ich hörte aber nie wieder was von ihm. Seine Email-Adresse kam mit einer Error-Nachricht zurück, also hatte er die E-mail-Adresse gelöscht. Das erste was meine Freundin sagte, als ich ihr das erzählt hatte war: Boah, krass... du wurdest "ge-ghostet". Ich musste erstmal googeln, was das war, aber ja, ich wurde geghostet.
Katharina, Trier

Stahl ist sicher: einen potenziellen Ghost kann man relativ schnell entlarven. "Bindungsängstliche geizen nicht mit Warnungen". Wenn schon beim ersten Date die Formulierung ,Ich brauche meinen persönlichen Freiraum' fällt, sollten die Alarmglocken schrillen, meint die Expertin. Nicht selten ist der bindungsunfähige Partner unsicher, das Gegenüber spürt das. "Daraus resultiert Verlustangst, denn die Verlustangst fühlt sich an wie Verliebheit, und der Partner klammert sich noch mehr an den Bindungsunfähigen." Ein Teufelskreis.

Die Bindungsangst tritt laut Stahl immer dann bei einem Menschen auf, wenn der das Gefühl hat, vom Partner oder der Beziehung eingeengt zu werden. Sie bezeichnet Ghosting deshalb auch als "plötzlichen Gefühlstod". Immer dann, so Stahl, wenn eine Beziehung die nächste Stufe erreicht, kann der Ghost dieses Gefühl bekommen - und gehen. Wenn aus dem Flirt ein Date wird, aus dem Date eine Beziehung, nach dem Einzug in die erste gemeinsame Wohnung, in äußerst seltenen Fällen sogar noch nach der Hochzeit: Immer dann, wenn das Paar einen solchen Schritt geht, droht aus dem Partner ein Ghost zu werden - wenn er Bindungsangst hat.

Wie Katharina erging es auch Marlen aus Gerolstein. Sie lernt Michael auf der Arbeit kennen. 300 Nachrichten am Tag, sagt sie, schrieben sich die beiden anfangs. Aber es dauert dennoch ein halbes Jahr, bis sie sich treffen.

Am nächsten Morgen brachte ich ihn zu seinem Auto... Er versprach, dass jetzt alles gut wird... und wir uns öfter sehen... Meine Worte werde ich nie vergessen: Michael, lass mich bitte jetzt nicht nochmal ein halbes Jahr warten, bis ich dich wieder sehe... ich hatte ein mulmiges Gefühl... Er verneinte, er freue sich darauf mich schnellstmöglich wiederzusehen. Danach hörte ich nichts mehr von ihm. Jegliche Anrufe oder Nachrichten blieben unbeantwortet. Ich war am Boden zerstört.

Sechs Wochen später meldet Michael sich doch noch einmal. Sie antwortet ihm. Aber die Geschichte wiederholt sich.

Irgendwann setzte ich ihm die Pistole auf die Brust, ich wollte ihn treffen und darüber sprechen. Er versuchte mir immer zu erklären dass er damals eine schwere Zeit hatte und erstmal wieder sein Leben ordnen wollte und mich nicht da reinziehen wollte. Nach zwei gescheiterten Versuchen ihn zu treffen, habe ich ihm ein Ultimatum gestellt. Meine letzte Nachricht an ihn war: Ich warte bis 13 Uhr am vereinbarten Treffpunkt. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Keine Nachricht, kein Anruf, keine Erklärung.
Marlen, Gerolstein

Erklärungen sind das, was der Verlassene sich am dringendsten wünscht. Doch wie erklärt der Ghost vor sich selbst, was er tut? "Er verdrängt", sagt Stefanie Stahl. Oder er rechtfertigt es innerlich. "Hinter dem Ghosting steht oft auch Aggression. Der Ghost fühlt sich vom Partner eingeengt, erdrückt", sagt Stahl. Die Legitimation für den Ausstieg aus der Beziehung.

Auch lockere Affären können aus heiterem Himmel enden, diese Erfahrung hat Heidi aus Trierweiler gemacht. Nach einer Trennung lernt sie einen neuen Mann kennen. Sie beginnt ein Verhältnis mit ihm.

Alles war gut, alles hat super gepasst. Wenn wir zusammen waren, war alles schön. Und wenn wir nicht zusammen waren, dann war es auch in Ordnung. Und im letzten Jahr auf einmal - aus dem absoluten Nichts - war es dann vorbei. Dienstags abends hatten wir uns noch getroffen und hatten wirklich wunderschönen Sex. Er sagte mir noch, wie schön es mit mir sei und wie sehr er unser Zusammensein (das wunderbarerweise niemals langweilig sei - das hat er ausdrücklich betont) genießene und wie gut ich ihm tue. Und ab Mittwoch kam gar nichts mehr. Keine Antwort auf meine Fragen. Nichts mehr. Einmal hat er angerufen - aber sofort wieder aufgelegt. Sonst nichts.

Allen Geschichten ist eines gemein: das Unverständnis über das abrupte Ende, die radikale Exit-Strategie aus der Beziehung oder der Affäre. "Beim Ghosting hat das Herz eine Wunde, die irgendwie nicht heilt, denn es gibt keinen Abschluss", sagt Heidi. Wer das Opfer eines Ghostes geworden ist, dem bleibt eigentlich nur eines: Das Geschehene nicht auf sich beziehen. "Auf diese Weise verlassen zu werden, löst in Menschen häufig ein Gefühl von Zurückgestoßensein und eine Selbstwertkränkung aus", sagt Stahl. Wichtig sei deshalb, sich klarzumachen, dass das Problem nicht bei einem selbst liege. "Der andere hat ein ganz großes Bindungsproblem."

Aber bei allem Unverständnis, manchmal bleibt ein Rest Hoffnung. Lars aus Trier schreibt seinem Ex-Freund über eine Dating-App das erste Mal. Nach ein paar Tagen mit vielen Nachrichten treffen sie sich das erste Mal.

Er war da, ich hab ihn in mein Haus gelassen und wir schauten zusammen eine Serie auf Netflix. Wir haben gekuschelt und uns sehr gut verstanden. Dann ist es passiert: Wir küssten uns, dabei dachte ich mir nichts.

Doch der neue Freund ist nur im Urlaub in der Region, eigentlich wohnt er 350 Kilometer entfernt. Eine Fernbeziehung. Sie treffen sich in seiner Heimatstadt Münster, ein paarmal auch in Köln. In Köln auch die letzte Begegnung, sie verabschieden sich am Bahnhof. Kurz danach ist Schluss. Sie sehen sich nie wieder.

Ich wünsche mir einfach nur, dass dich meine Worte zum Nachdenken bewegen und dass du nochmal zurückkommst. Wenn, dann ist jetzt noch Zeit dafür. Später kann es zu spät sein. Ich hab dich lieb!

Einen Neustart mit dem Ghost hält die Psychologin allerdings nicht für sinnvoll. Es kann durchaus passieren, dass der seine Gefühle für den Verlassenen wiederentdeckt. "Das Gefühl des Eingeengtseins ist ja dann weg." Gebe man der Beziehung aber noch mal eine Chance, beginne alles von vorne. Es ende womöglich in einer On/Off-Beziehung. "Das gibt ein Riesen-Theater", sagt die Psychologin.

Die Autorin Lisa Bergmann war selbst schon mal ein Ghost - sie hat einen vielversprechenden Online-Flirt abgebrochen. Sie schwört, es nie wieder zu tun.

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