Trierer wählen nie die Falschen - Zur Polarisierung ungeeignet: Angela Merkels netter Wahlkampf macht Station vor der Porta Nigra

Trier · Wahlkampf, aber in der ganz entspannten Variante: Angela Merkels Trierer Kundgebung hatte wenig von den Gladiatoren-Auftritten ihrer Vorgänger Kohl und Schröder. Die Stimmung auf der Bühne und dem Porta-Vorplatz war gleichermaßen relaxed.

Der junge Mann von der Piraten-Partei beantwortet höflich alle Fragen, die ihm Neugierige stellen, und lässt seine orangefarbene Fahne im lauen Wind flattern. Außer einem unauffälligen Greenpeace-Transparent ist er die einzige sichtbare "Opposition", die sich zum Merkel-Gastspiel eingefunden hat.

Wo einst bei Kohl oder Strauß auf Pfeifen getrillert wurde und gutbürgerliche Christdemokraten sich nur mühsam verkneifen konnten, ein paar verlotterte Protestler an den Kanthaken zu nehmen, wo bei Gerhard Schröders heiseren Tiraden altgedienten Genossen Tränen in die Augen traten, da herrscht eine Stimmung wie beim Pur-Open-Air. Man findet sich nett, plaudert übers Wetter und wartet, bis der Star vorbeikommt. Angela Merkel eignet sich einfach nicht zur Polarisierung.

Genauer gesagt: "Die Bundeskanzlerin". Der Name Merkel fällt fast nie, ehrfürchtig und wie von einer sorgfältigen Regie instruiert, halten sich alle an Rang und Titel. Außer der jungen Cheerleader-Truppe von der JU, die auf Transparenten ihre "Angie" feiert.
"Angie" kommt volksnah zu Fuß durch die Simeonstraße, so unauffällig, dass es kaum einer merkt. Ein einsamer Klatscher vor der Eisdiele wird freundlich angelächelt, am Porta-Vorplatz wartet Freund Jean-Claude Juncker zwecks gemeinsamen Einmarschs durch die Massen. "6000 Besucher" wird der Moderator später begrüßen - mit etwa dem gleichen Wahrheitsgehalt, wie Politiker am Wahlabend Ergebnisse kommentieren.

Die großen Gesten sind Merkels Sache immer noch nicht, fast etwas schüchtern winkt sie im lachsfarbenen Jäckchen ins Publikum. Ihrem Nachbarn aus Luxemburg ist der Star-Status sichtlich eher auf den Leib geschrieben. Juncker ist für die Pointen zuständig, auch für die gefährlichen. Was er an den Trierern besonders möge, wird er gefragt. "Dass sie bei Wahlen nie die Falschen wählen", lautet die spontane Antwort. Da lächeln seine Parteifreunde Ulrich Holkenbrink und Berti Adams etwas gequält, haben sie doch die letzten Wahlen vor Ort knallig verloren. Überhaupt mehren sich die Lücken in der Riege der CDU-Regionalgranden, die sich am Rand der Bühne versammeln. Einst standen hier reihenweise Ministerpräsidenten, Staatssekretäre, Landräte, Oberbürgermeister. Viel ist nicht übrig geblieben. Da bleiben nur die schmucke Bundestags-Riege Kaster/Schnieder/Bleser und Vize-Landeschef Günther Schartz. Der darf die Begrüßungsrede übernehmen, weil sein Vorsitzender Baldauf nicht mit angereist ist. Den hatten sie bei Merkels Nachmittags-Kundgebung in Ludwigshafen noch als "Kreisvorsitzenden" begrüßt.

Für einen Multikulti-Tupfer sorgt der Name der Band, die beziehungsreich "Simply the best" singt. "Gypsy" heißt sie, zu Deutsch: Zigeuner. Sie spielen Musik, die so nett, sympathisch und massenkompatibel ist wie die ganze Veranstaltung.
Merkels Wahlkampf-Ansprache ist frei von jeder Aggressivität und Schärfe. Das mag taktisches Kalkül sein, aber es wirkt auch einfach authentisch. Merkel pur, keine einstudierte Hemdsärmel-Pose wie beim Herausforderer. Kein böser Blick auf Steinmeier, keine Polemik - andere Parteien kommen in Angies Welt ohnehin nicht mehr vor.

Inhaltlich hat sie freilich seit ihrem Porta-Auftritt vor vier Jahren eine Kehrtwende um 180 Grad vollzogen. Seinerzeit trat sie als Mahnerin auf, forderte Umkehr, kündigte Steuererhöhungen an, und Einschränkungen des Sozialstaats.

Diesmal, trotz wesentlich schlechterer Krisen-Vorzeichen, kein Wort von Grausamkeiten für die Bürger. Im Gegenteil. Ein bisschen Wachstum, alle packen an, "dann sanieren wir den Haushalt und können uns wieder mehr leisten". Weder das Wort noch überhaupt das Thema "Gesundheitssystem" kommen in ihrer Rede vor - mit diesem Ärger soll sich SPD-Kollegin Ulla Schmidt herumschlagen.
Erdrückende Schulden? "Momentan können wir uns nicht leisten, zu sparen". "Let the good times roll", müsste die Band jetzt eigentlich spielen. Die Gute-Laune-Kanzlerin hat aus dem vorigen Wahlkampf eines gelernt: Dass ehrliche, aber schlechte Botschaften beim Wahlvolk nicht gut gelitten sind.

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