Täter und Opfer

TRIER. Kein Totschlag, sondern allenfalls Körperverletzung mit Todesfolge, und die wiederum in Notwehr und damit straflos: Darauf erkannte das Trierer Landgericht im Fall der Hildegard G.

Es war eine Rechts-Findung, mit der es sich niemand leicht gemacht hatte. Am Schluss der Beweisaufnahme, vor den Plädoyers, war man sich immerhin in einem Punkt einig: Die Angelegenheit sei "nicht einfach" (Verteidiger Maximini), bedürfe einer "ausführlichen Beratungszeit" (die Kammervorsitzende Finkelgrün) - und der junge Staatsanwalt Dr. Nannen kämpfte sichtlich darum, die Fülle seiner Erwägungen in einen überschaubaren Gedankenfluss zu bündeln. Dabei war der Sachverhalt als solcher nach den Aussagen der Zeugen und Sachverständigen nicht streitig: Der Wirt Georg W. hatte am Rosenmontag 2002 in der Küche seiner Gaststätte seine Lebensgefährtin Hildegard G. aus Eifersucht bedroht und geschlagen - wie schon häufig vorher. Diese wiederum, mit einem Alkoholwert von 2,5 Promille ausgestattet, hatte ein Messer genommen, W. - laut Obduktionsergebnis ungezielt und ohne Wucht - in den Bereich zwischen Brust und Achselhöhle gestochen und dabei "unglückseligerweise" (Obduzent Dr. Michels) eine lebenswichtige Arterie verletzt. Eine genauere Rekonstruktion war nicht möglich, weil unmittelbare Augenzeugen fehlten und Hildegard G. sich nach eigener Aussage an nichts mehr erinnern konnte. Eine Amnesie, die Gutachter Glatzel als "aus wissenschaftlicher Sicht nicht erklärbar" einstufte. Der Psychiater attestierte allerdings ausdrücklich eine verminderte Schuldfähigkeit, so dass selbst die Anklage von einem minder schweren Fall ausging. Eine Notwehr-Situation schloss der Staatsanwalt dagegen aus, was ihn eine hohe Freiheitsstrafe von vier Jahren fordern ließ. Die Angeklagte hätte "nicht zustechen müssen", sie hätte auch "zunächst mit dem Messer drohen", um Hilfe rufen oder flüchten können. Zudem habe sie sich durch das langjährige Erdulden von Schlägen durch Georg W. "sehenden Auges selbst in Gefahr begeben". Auch die Verteidigung rollte die Vorgeschichte auf, schilderte die Angeklagte als "Opfer eines Leidenswegs", das stets an Männer geraten sei, die Probleme mit Alkohol und Gewalttätigkeit hatten. Eine "Lehrbuch-Konstellation" hatte der Psychiater das Verhalten von Hildegard W. zuvor genannt, bei der sie "konsequent die Opfer-Rolle übernahm". Dabei sei sie aber nie selbst gewalttätig geworden, betonte die Verteidigung. In der fatalen Situation am Rosenmontag habe sie sich einer massiven Bedrohung ausgesetzt gesehen, durch Georg W., einen 1,85-Meter-Hünen, dem eine Zeugin "Hände wie Bratpfannen" attestierte, die er - nach mehreren Zeugenaussagen - auch gegen seine jeweilige Lebenspartnerin einzusetzen pflegte. Das sah auch die Kammer so. Dass Hildegard G. "aus Pflichtgefühl" nicht abgehauen sei, sondern sich der eskalierenden Situation mit dem eifersüchtigen Lebensgefährten stellte, mochten ihr die drei Berufs- und zwei Laienrichter nicht zum Vorwurf machen. An der Bedrohungssituation hatten sie keinen Zweifel, schon aufgrund der körperlichen Unterlegenheit der Angeklagten. Die "wenigen Fixpunkte" (Richterin Finkelgrün), die man habe ermitteln können, ließen eine Notwehr-Situation zumindest möglich erscheinen - deshalb sei Hildegard G. nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" freizusprechen. Hildegard G. und ihre im Saal anwesende Familie nahmen das Urteil mit Tränen der Erleichterung auf. Mindestens ebenso wichtig wie der Freispruch könnte die Analyse des Psychiaters sein: Er bescheinigte der früheren Post-Angestellten, ihr noch vom jahrelangen Alkohol-Missbrauch geprägtes Verhalten habe sich inzwischen deutlich verbessert.

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