Und dann wurde es finster…

Sprengstoffbunker auf Prümer Kalvarienberg explodierte vor 60 Jahren – War es Sabotage?

 Auch das Gedenkkreuz auf dem Prümer Kalvarienberg stammt von Johann Baptist Lenz. TV-Foto:Archiv/ Christian Brunker

Auch das Gedenkkreuz auf dem Prümer Kalvarienberg stammt von Johann Baptist Lenz. TV-Foto:Archiv/ Christian Brunker

Es waren nur wenige Sekunden im Jahr 1949, die Hunderten von Menschen alles nahmen, was sie besaßen: Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag der nördliche Teil Prüms zum zweiten Mal in Schutt und Asche. Zwölf Menschen starben, und 200 Familien verloren ihr Heim, als vor 60 Jahren, am 15. Juli, etwa 500 Tonnen Sprengstoff detonierten und 250 000 Kubikmeter Steine, Erde und Bautrümmer auf Prüm einhagelten. Als „Stätte des Grauens“, „Die Hölle von Prüm“ und „loderndes Fanal der Grenzlandnot“ beschrieben Zeitungen 1949 den Anblick, der sich den Menschen nach der Explosion des Kalvarienbergs bot. Zwölf Einwohner kamen damals ums Leben, 60 Menschen wurden verletzt, 237 Häuser zerstört oder beschädigt. Knapp 1000 Einwohner hatten kein Dach mehr über dem Kopf. Der Schaden betrug rund fünf Millionen Mark. „Es war die größte Menge Sprengstoff, die jemals in der Geschichte der Menschheit in die Luft flog“, berichtet die Prümer Zeitzeugin Monika Rolef. Rückblick: 1939 war in den Kalvarienberg ein Stollensystem gebaut worden. Dort wurden ab 1947 unter der französischen Besatzung Sprengstoffe gelagert, mit denen die Reste des Nazi- Westwalls zerstört werden sollten. Der Großteil der Munition stammte von den Amerikanern. Rolef erinnert sich: „Wir wussten damals: Wenn der Berg einmal Feuer fängt, dann sind wir alle verloren.“ Und genau das geschah am 15. Juli 1949. Ein Wachmann bemerkte um 18.20 Uhr Rauch, der aus dem Luftschacht stieg. Wenig später hallte der Klang der Brandglocke durch Prüm. Angestellte der Stadt rannten panisch umher und forderten die Menschen mit Rufen wie „Bunker brennt, Prüm raus!“ auf, die Stadt zu verlassen. Es kam zu einer Massenflucht: Mütter suchten nach ihren Kindern, Männer nach ihren Familien. Es war etwa 20.20 Uhr, als der Bunker explodierte. Zum Glück war zu diesem Zeitpunkt kaum noch jemand in der Stadt. Die Bergspitze hob sich – und fiel wieder zurück. Eine etwa 2000 Meter hohe, pilzförmige Feuersäule stieg empor. „Es sah aus wie die Detonation einer Atombombe“, berichtet Ingeborg Schwickerath aus Waxweiler, die damals acht Jahre alt war. Es folgte eine minutenlange Finsternis. „An keinem Baum, an keinem Strauch war mehr ein Blatt.“ So schildert die heute 68-Jährige den Anblick der Stadt, als sich die Luft geklärt hatte. Betonklötze halb so groß wie Häuser seien bis nach Niederprüm geflogen. Steine, Bautrümmer und Erdmengen wurden kilometerweit geschleudert, durchschlugen Dachböden und Zimmerdecken. Rotbrauner, Lavaähnlicher Schutt legte sich über das Land. Noch Monate später lag überall roter Staub, „der beim Essen zwischen den Zähnen knirschte“, wie Schwickerath erzählt. Selbst in Koblenz war die Detonation zu hören, und die Erdbebenwarten in Stuttgart, Göttingen und Basel verzeichneten den Erdstoß. „Ich war zu diesem Zeitpunkt in Pelm und habe die Explosion von dort aus gesehen“, sagt die Triererin Johanna Gerhartz, deren Mann Albert damals auf der Polizeistation unterhalb des Bergs die Stellung hielt. So kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der nördliche Teil der Stadt an diesem Tag bis auf die Grundmauern der Häuser ein zweites Mal zerstört. Viele der Gebäude waren gerade erst wieder aufgebaut worden. Auch das Krankenhaus sackte in sich zusammen, doch die meisten Kranken und Schwestern hatten sich in Sicherheit gebracht. „Die Hölle brach auf, ein unbeschreibliches Krachen und Bersten und Tosen“, beschrieb eine Schwester den Zeitpunkt der Explosion. Übrig blieb nichts mehr als eine Sandwüste. „Die Menschen irrten herum, sie hatten gar nichts mehr“, erinnert sich Rolef. „In Prüm hat der Krieg noch einmal ein Gastspiel gegeben“, schrieb ein Journalist der „Zeit“ damals. Der SED-Pressedienst sah in der Katastrophe wiederum die Enthüllung des Verbrechens, „dass die Kriegsproduktion im Westen Deutschlands im großen Ausmaß weiter betrieben werde.“ In den folgenden Tagen und Wochen erreichte Prüm über Landesgrenzen große Hilfe. Im Hotel „Goldener Stern“ wurde eine Unfallhilfestelle eingerichtet, in der mehr als 1000 Menschen verpflegt wurden. Selbst der Vatikan spendete Nahrungsmittel, und Schulkassen opferten ihr Kirmesgeld oder ihre Wanderkasse für die Kinder aus Prüm. Doch wer war schuld an dieser Katastrophe? Diese Frage ist bis heute nicht beantwortet. Eine Theorie besagt, dass zwei Wachmänner – ein Jugoslawe und ein Ungar – den Bunker absichtlich in Brand gesteckt hätten. Sie hatten sich zuvor ein Visum nach Australien besorgt und wurden nach dem Unglückstag nie mehr in Prüm gesehen. Die französische Militärregierung habe dem ungarischen Leiter des Depots verboten, vor der deutschen Kriminalpolizei auszusagen, hieß es damals. Auch Ingeborg Schwickerath glaubt an Sabotage. Sie sei an dem Schicksalstag mit ihrer Familie in Richtung Niederprüm geflohen und habe auf Höhe des E-Werks einen luxuriösen schwarzen Wagen gesehen. „Davor standen Männer mit Anzügen und englischen Hüten, die sich das Schauspiel anschauten und mit zufriedenen Gesichtern wieder einstiegen. Die hatten mit Sicherheit etwas mit der Explosion zu tun“, erzählt sie. „Aber das wurde alles unter den Teppich gekehrt.“ Zwar gab es ein Bekennerschreiben – eine „Kampfgruppe zur Erzwingung eines gerechten Lastenausgleichs“ erklärte sich als Täter, deren Ziel es sei, die Aufmerksamkeit der Welt auf sie zu lenken. Viel Glauben schenkte die Stadt diesem Schreiben aber nicht. Außerdem soll ein Kind an diesem Tag gegen 3 Uhr auf dem Berg Sprengungen – möglicherweise von Flugzeugteilen – und eine Schießerei beobachtet haben. Weil es so heiß war, könnte sich die Munition allerdings auch selbst entzündet haben. Oder aber die Wachmannschaft handelte leichtsinnig, indem sie am Bunker mit Feuer hantierte. Bis heute wurden weder Menschen offiziell beschuldigt noch bestraft. Die französische Besatzungsmacht zahlte Prüm damals zwei Millionen Mark, weil sie den Bunker nicht ausreichend gesichert hatte – verbunden jedoch mit der Auflage, die Schuldfrage in der Öffentlichkeit nicht zu untersuchen. Bemühungen des ehemaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping Ende der 90er Jahre, in Zusammenarbeit mit dem französischen Archivamt Licht ins Dunkel zu bringen, verliefen bislang im Sande. Der Trierische Volksfreund sah in dem Unglück damals eine Mahnung: „Wir wollen von Krieg, von Sprengstoff und Munition nichts mehr wissen. Deutschland und Europa haben genug gelitten. Jetzt müssen sie ihr ganzes Streben auf Frieden und Wohlfahrt richten.“

Ursula Quickert

In einer Gedenkfeier erinnern die Stadt und der Geschichtsverein Prüm am Mittwoch, 15. Juli, ab 19.30 Uhr im Prümer Konvikt an die Katastrophe.

EXTRA Die Explosion riss ein 190 Meter langes, 90 Meter breites und im Schnitt 26 Meter tiefes Loch in den Kalvarienberg. Der Prümer Stadtrat diskutierte in den folgenden Jahren oft darüber, was mit dem Kalvarienberg geschehen soll. Unter anderem war die Rede davon, den Krater zuzuschütten, um dort ein Sportstadion zu bauen. Doch heute hat allein die Natur den Krater in ihrer Gewalt, der heute bewaldet ist und als Naherholungsgebiet dient. Als Mahnung an Kriegs- Zeiten und die Katastrophe von 1949 hat die Stadt zunächst ein Holzkreuz und 1979 schließlich ein Basaltkreuz auf dem Berggipfel errichtet. (uq)

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