Einmal um die vier Ecken

Mal angenommen, du hättest die Aufgabe, den Menschen in New Trier, Minnesota, droben im Norden der Vereinigten Staaten, zu erklären, warum das Kaff, in dem sie hausen, heißt, wie es heißt. Oder denen in Neu-Trier, Tansania, auf Suaheli Mbulu genannt, nahe der Serengeti, aufgebaut in der Kolonialzeit von Missionaren, den Weißen Vätern.

Einmal um die vier Ecken
Foto: (g_leser
Einmal um die vier Ecken
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Mal angenommen, du hättest die Aufgabe, den Menschen in New Trier, Minnesota, droben im Norden der Vereinigten Staaten, zu erklären, warum das Kaff, in dem sie hausen, heißt, wie es heißt. Oder denen in Neu-Trier, Tansania, auf Suaheli Mbulu genannt, nahe der Serengeti, aufgebaut in der Kolonialzeit von Missionaren, den Weißen Vätern. Weit weg. Von allem. Trier? Was ist das? Hmm.

Du überlegst, dass du vielleicht damit anfängst, dass Trier die älteste Stadt Deutschlands ist, so alt, dass die Urururururu…großväter (ungefähr sechsundsechzig mal Ur) der Jetztmenschen von New Trier und Mbulu bei der Gründung dieser Stadt dabei gewesen sein könnten. Damals. Siebzehn vor oder so. Augusta Treverorum. Die Römer. Der ganze Kram. Du könntest von Kaisern und Bischöfen erzählen. Von Napoleon und Karl Marx. Und Buffalo Bill war auch mal da.

Aber wie ist sie so, diese Stadt? Nicht vor zweitausend Jahren. Heute. Nein, du erzählst nichts von den acht Welterbestätten. Du drehst, wir leben im Zeitalter der Bilder, einen Film. Ein Roadmovie. Einmal um die vier Ecken. Einmal um den Alleenring. Die Geschichte im Quadrat. Südallee, Ostallee, Nordallee, die Uferstraße (inklusive Kaiserstraße, Johanniterufer, Krahnenufer, Katharinenufer, Ausoniusstraße, Friedrich-Ebert-Allee, Christophstraße, Theodor-Heuss-Allee, Balduinstraße, An der Schellenmauer, Weimarer Allee).

Vier mal einskommafünf Kilometer, ungefähr. Fünfundzwanzigtausend Autos jeden Tag. Und mehr. Brrrrrrmmmm. Bis zur nächsten Ampel. Zwanzig davon gibt's. Die Hälfte zeigt immer Rot an. Stop and go. Grün. Ssssssmmmm. Rot. Grün. Rrrrrroooor. Abenteuer im Asphaltdschungel. Tatütata.

Derselbe Weg, zu Fuß: neuntausend Schritte. Und ganz anders. Durch Parkanlagen, eingeklemmt zwischen den vier- bis sechsspurigen Pisten, eine Passage an der Mosel entlang. Brrrrrrmmmm? Ssssssmmmm? Rrrrrroooor? Klingt viel, viel sanfter. Ein Grundrauschen bloß. Stattliche Bäume spenden Schatten. Platanen, Kastanien, Buchen. Menschen flanieren auf den Wegen, ruhen sich auf den Bänken aus. Einheimische, Obdachlose, Touristen. Vögel fiepen, ein Eichhörnchen huscht vorbei. Idylle. Ein paar Meter weiter tost der Verkehr.

Einmal um die vier Ecken, das Roadmovie. Einblicke, Ausblicke, unsortiert. Kopfkino, Film ab: Die Synagoge. Gründerzeithäuser mit lustigen Sprüchen ("Trautes Heim, Glückes Keim. A.D. 1901"). Die Evangelische Stadtmission. Die Barbarathermen, eine ewige Baustelle. Eine Wohnfassade mit Drachentöter-Mosaik und Inschrift ("Heiliger Georg", auf Griechisch). Die alte Stadtmauer. Wasserbetten. Matratzen. Polstermöbel. Ein Puff. Noch mehr Matratzen. Eine Handvoll Hotels, verteilt auf die Strecke. Die Spielbank. Ein Händler von Luxusautos (der Bugatti steht in der Tiefgarage, raunen die Wissenden). Rechtsanwälte. Steuerprüfer. Immobilienmakler. Zwei große Krankenhäuser mit Hubschrauberlandeplatz. Ärzte. Physiotherapeuten. Apotheken. Altenheime. Das Hospizhaus. Kindertagesstätten. Schulen. Ein Institut der Universität Trier ("Fachbereich I, Psychobiologie"). Der Sitz der Karnevalsgesellschaft Heuschreck. Das Stadtmuseum Simeonstift. Die Porta Nigra, natürlich. Schmuck, Mode, Design. Banken, Sparkassen, Versicherungen. Das Gebäude, in dem einst die Gestapo residierte. Das Alleencenter. Die Stadtwerke. Ein Weinladen. Zwei Tankstellen. Verwaltungen. Musikschule. Antiquariat. Asiatisches aus Fernost. Die Handy-Klinik. Eine Polizeistation. Das Hallenbad. Das Landesmuseum. Eine Messstelle der Luftüberwachung Rheinland-Pfalz. Herausgeputzte Villen. Eine Madonna hier, ein Bacchus dort. Verblüffend wenige Kneipen und Restaurants. Ein Tätowierer. Großartige Graffiti-Kunst in den düsteren Unterführungen an den Kaiserthermen.

Einblicke, Ausblicke, unsortiert. So, liebe Leute in New Trier und Mbulu, ist Trier. So alt. So bekannt. Unheimlich schön? O ja, unheimlich und schön!

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