Ein Stück Stoff anbeten

Eine Reliquie anbeten - das gibt es für Protestanten eigentlich gar nicht. Warum durch die Heilig-Rock-Wallfahrt das Bekenntnis zu Jesus Christus trotzdem gemeinsam gestärkt werden kann, erklärt der evangelische Pfarrer Guido Hepke aus Trier in einem Gastbeitrag.

Vor ein paar Tagen rief ein Freund aus Bonn an. Er ist selbst Theologe. "Was macht ihr da eigentlich in Trier?", fragte er. "Wieso macht ihr da mit? Als Evangelische. Ausgerechnet bei dieser katholischen Wallfahrt mit Reliquienverehrung?"
Das Votum macht deutlich: Es besteht Klärungsbedarf. Auch in unserer eigenen Kirche. Also: Was haben wir dabei zu suchen, als Evangelische, bei dieser Wallfahrt? Und was nicht?
Für mich als evangelischen Christenmenschen ist klar: Dieses Gewand im Trierer Dom, das ist kein heiliger Gegenstand. Völlig unabhängig von der Frage nach seiner historischen Echtheit. Ich bin der festen Überzeugung: Reliquien haben keinerlei Heilsbedeutung. Uns ist das Heil geschenkt - durch Jesus Christus. Und durch nichts und niemand sonst. Die Beziehung, die Gott uns Menschen in Jesus Christus anbietet, ist unmittelbar und direkt. Vor allem: Sie ist an keine Vorleistungen oder Gegenstände gebunden.
Das heißt: Nach evangelischem Verständnis kann die Anbetung einer Reliquie keine Heilsbedeutung haben. Jesus Christus ist es, der uns hineinzieht in die unendliche Liebesgeschichte Gottes mit uns Menschen.
Ich weiß, damit markiere ich eine deutliche Grenze. Trotzdem: Im Rahmen der Christuswallfahrt wirke ich sehr gerne mit bei gemeinsamen Gottesdiensten und Andachten, bei Gebeten und Vorträgen, die auf Jesus Christus und seine Bedeutung hinweisen.
Denn bei allen Grenzen und Unterschieden, die da sind zwischen den Konfessionen. Es gibt gleichsam dahinterliegend etwas Gemeinsames, das alle Unterschiede umfängt: das Bekenntnis zu Jesus Christus.
Und diese Verbundenheit, die möchte ich starkmachen, auch und gerade in den Wochen der Wallfahrt. Diese Gemeinsamkeit ist wichtiger als alle Grenzen und Unterschiede: Wir können gemeinsam hinweisen auf diesen Christus, in dem Gottes Liebe ein menschliches und mitfühlendes Antlitz erhalten hat.
Reliquienverständnis ändert sich


Zugleich beobachte ich: Das traditionelle Reliquienverständnis verändert sich. Auch wenn die alten Dogmen kirchenrechtlich noch Bestand haben, hat sich das Grundverständnis doch gewandelt. Ich nehme wahr: Sehr viel stärker - auch im Vergleich zur Wallfahrt 1996 - wird das Gewand im Trierer Dom schlicht als Symbol verstanden.
Und zwar als ein Symbol, das auf Jesus Christus hinweist - und so Anlass gibt, sich mit den Grundfragen des Glaubens zu beschäftigen. Die Wallfahrt wird dann zu einem großen Fest, bei dem Menschen sich in der Gemeinschaft wechselseitig ihres Glaubens vergewissern.
Bei diesem Geschehen bin ich gerne dabei. Mit vielen anderen Christenmenschen möchte ich dazu beitragen, dass Menschen miteinander ins Gespräch kommen über die Frage: Welche Bedeutung hat Jesus Christus für mich? Ökumenische Weite kann diesem Austausch nur guttun.
So kann die Wallfahrt dazu beitragen, die Relevanz christlichen Glaubens bewusst zu machen. Wohl wissend: Vielen Menschen in unserer Gesellschaft ist es inzwischen völlig egal, ob jemand evangelisch ist oder katholisch.
Die gesellschaftlich viel spannendere Frage ist inzwischen: Kannst du überhaupt etwas anfangen mit Jesus Christus? Mit diesem Revolutionär, der auf Gewaltlosigkeit setzt. Mit diesem radikalen Ethiker, der die Liebe zum alleinigen Maßstab erhebt. Mit diesem Menschen, in dem Gott uns nahekommt, uns auf die Pelle rückt. So wird die Christuswallfahrt zum Testfall für ökumenisches Miteinander: Auch wenn Unterschiede und Grenzen da sind, die gemeinsame Botschaft von Jesus Christus ist entscheidend - und bringt uns zusammen.
Ich hoffe, das gelingt. Und die ökumenischen Projekte der Wallfahrt werden bei anderen Gelegenheiten fortgesetzt. Zum Beispiel, wenn 2017 an 500 Jahre Reformation erinnert wird. Denn auch da gilt es, das Gemeinsame zu suchen und zu stärken: das Bekenntnis zu Jesus Christus.

Pfarrer Guido Hepke, Evangelische Kirchengemeinde TrierExtra

Der gebürtige Kölner Guido Hepke ist 47 Jahre alt und seit 1994 Pfarrer in Trier. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Die evangelische Gemeinde beteiligt sich am Programm der Wallfahrt. Allerdings: "Ich werde im Rahmen der Wallfahrt nicht in die Heiligtumskammer gehen zum Gewand im Trierer Dom", zieht Hepke seine persönliche Konsequenz. woc

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