Der ewige Zweite

Trier · Mit Dr. Watson hat alles angefangen. Die rechte Hand von Sherlock Holmes war der erste berühmte Assistent der literarischen Kriminalgeschichte. Auch 125 Jahre nach seiner Erfindung kommt nach wie vor kaum ein Krimi ohne den "zweiten Mann" aus - schon, damit sich der Kommissar angemessen profilieren kann.

 In dieser Verfilmung von Regisseur Billy Wilder spielt Robert Stevens Sherlock Holmes (rechts) und Colin Blakely Dr. Watson. Foto: dpa

In dieser Verfilmung von Regisseur Billy Wilder spielt Robert Stevens Sherlock Holmes (rechts) und Colin Blakely Dr. Watson. Foto: dpa

Trier. Modern nennt man das einen "Sidekick": Die Ergänzung zur eigentlichen Hauptfigur, der Helfer, Stichwortlieferant, Autovorfahrer, Hofnarr, Lehrling. Die Nummer zwei, manchmal auf ewig, wie Gerd Heymann alias Michael Ande, der seit 34 Jahren im ZDF-Freitagskrimi in prägnanter Farblosigkeit einem Alten nach dem anderen dient.
Das hatte sich der Arzt und ehemalige Soldat Sir Arthur Conan Doyle ganz anders gedacht, als er 1886 seinem Helden Sherlock Holmes den Arzt und ehemaligen Soldaten Dr. John H. Watson zur Seite stellte. Ein gebildeter und kluger Mann, ohne die exorbitante Intelligenz seines Meisters, aber doch auf Augenhöhe. Und vor allem der Chronist, aus dessen Blickwinkel die Abenteuer erzählt wurden - eine eher seltene Konstruktion, die Jahre später Rex Stout für seinen ebenso genialen wie verfressenen Detektiv Nero Wolfe und dessen "Mädchen für alles" Archie Goodwin wieder aufleben ließ.
Job für den Ehemann


In den 1920er Jahren begann der Abstieg des Assistenten zum etwas holzköpfigen Adlatus, mit dem sturen Colonel Watson, den Agatha Christie ihrem belgischen Grauen-Zellen-Akrobaten Hercule Poirot zugesellte. Für den vollends dämlichen Mister Stringer, der in späteren Verfilmungen als Faktotum von Miss Marple auftauchte, konnte Christie freilich nichts: Die Rolle wurde überhaupt nur geschaffen, weil Hauptdarstellerin Margaret Rutherford einen Job für ihren Ehemann einforderte.
Georges Simenon entwickelte für seinen Kommissar Maigret das Genre von 1930 bis 1970 weiter: Hier fungierte ein ganzes Team von Mitarbeitern als Hintergrund-Folie, ohne jemals eine wesentliche Rolle zu spielen. Der Chef war in der Nachkriegszeit eine unangefochtene Autorität, der seine Mitarbeiter wie der deutsche Fernseh-"Kommissar" Keller zu duzen pflegte, als seien sie große Kinder, derweil die Untergebenen ihren Vorgesetzten stets ehrerbietig siezten.
Doch mit den 68ern wandelte sich auch die Hackordnung am Schauplatz des Verbrechens. Verkörperte Friedhelm Werremeiers Kommissar Trimmel noch einen eigenbrötlerischen Individualisten mit Assistenten-Staffage, brach mit der Tatort-Kommissarin Marianne Buchmüller (Nicole Heesters) die erste Frau in die Männerdomäne ein, gefolgt von Doris Gehrckes Emanzen-Kriminalistin Bella Block.
Die Assistenten: männlich, unscheinbar, nicht übermäßig scharfsinnig. Dass Männer Hilfsarbeiter unter einem weiblichen Chef sein sollten, bedurfte einiger mühsamer Jahre der Gewöhnung.
Zuweilen erlaubte sich der Krimi sogar ein gewisses Maß an Anarchie, wie beim österreichischen Major Kottan und dessen volltrotteligen Assistenten Schrammel und Schremser, der eine doof, der andere einbeinig. Aber Ironie und Krimi blieben eine eher seltene Mixtur.
Inzwischen hat sich Teamwork am Tatort durchgesetzt, beim Fernsehkrimi wie im Buch. Wer Chef ist, spielt keine große Rolle mehr, wobei die Charaktere oft kontrastieren, wie einst beim Duo Schimanski/Thanner oder heute bei Odenthal/Kopper, Leitmayer/Batic und Schenk/Ballauf - wobei letzterer eines der raren Beispiele dafür ist, dass ein Assistent auch zur Nummer eins aufrücken kann. Aus England kam in den letzten Jahren ein neuer Trend: Statt des klassischen Assis rückte der Polizeipsychologe in den Blickpunkt, der Kommissar wird fast zur Nebenfigur. Val McDermids unkonventioneller Tony Hill und der genial-schräge "Fitz" Fitzgerald setzten da ganz eigene Akzente.
Und wer meint, in Sachen Assistent wäre nun wirklich irgendwann alles ausgereizt, braucht nur einen Blick in die funkelnagelneuen Erfolgsromane von Jussi Adler-Olsen zu werfen: Carl Mörks Keller-Mitarbeiter Hafez el-Assad ist ein mysteriöser Syrer mit Geheimdienst-Vergangenheit und höchst kuriosen Gewohnheiten. Also keine Angst, Dr. Watson: Die Assistenten sterben so schnell nicht aus.
volksfreund.de/krimispecial

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