Fieser Viez

Welche Eltern wollen ihre Kinder nicht gesund ernähren? Wer ist nicht bestrebt, ihnen zum Beispiel nur natürliches Obst zukommen zu lassen? Noch besser, herrlich wohlschmeckende Säfte aus den Früchten, die nur ein Obstbaum in der Eifel hervorzubringen vermag. Kein noch so preiswertes Fruchtsaftgetränk aus dem Discounter kann dies ersetzen. Wir auf jeden Fall suchten Äpfel, Fallobst, und besaßen dann nach etlichen Stunden nicht nur einen krummen Rücken, sondern auch mehrere Körbe voll von dieser gefallenen Frucht, auf die bereits Adam hereingefallen war, und verstauten sie im Kofferraum unseres Autos. Nach langer Suche (gelbe Seiten) fanden wir auch endlich einen netten Mann – 50 Kilometer von unserem Wohnort entfernt -, der bereit war, uns diese Apfelmenge zu süßem Saft zu pressen. Wer beschreibt unseren Stolz, als dann anderentags dieser Entsafter – 50 Kilometer von uns wohnend - tatsächlich uns 80 Flaschen mit dunkeltrüben Saft übergab, die wir dann liebevoll in unserer Vorratskammer abstellten? Und in der Tat, dieser Fruchtsaft – voller Bio, Würze und Natur – mundete köstlich, schickte Legionen von Vitamine durch unsere Blutbahnen und bereicherte unseren Speiseplan – zumindest die ersten acht Tage. Die Gewissheit, sich wieder auf den naturbewussten Spuren unserer bäuerlichen Vorfahren bewegt zu haben, ließ uns auch sehr ruhig schlafen. Wenn da eben nicht eines Nachts ein deutliches „Flopp“ zu hören gewesen wäre. Nun denkt man sich ja im ersten Moment des Übergangs vom Schlaf zum Wachsein nicht viel, aber wenn dann aus dem „Flopp“ ein „flopp-flopp-flopp“ wird, wird man dann doch aufmerksam. Wer zum Kuckuck trommelt zur nachtschlafenden Zeit denn noch so laut und so atypisch unrhythmisch? Im Mitteilungsblatt stand auch nichts zu lesen von irgendeiner nächtlichen Feier, bis auf einmal meine bessere Hälfte mit weit aufgerissenen Augen zur Erkenntnis kam: „Das Flopp-flopp-flopp kommt aus unserer Vorratskammer!“ Im Nu sprangen wir auf, standen in unseren Vorratsraum und auch bis zu den Knöcheln in weicher, milder dunkelbrauner Brühe. Sanft stiegen zarte Bläschen aus der Überschwemmung empor, rochen irgendwie säuerlich wie abgestandenes Bier, und wie zur Bestätigung machte es noch einmal „Flopp“, und der Korken aus der letzten Apfelsaftflasche streifte mein linkes Ohr, und ein Liter Saft suchte engsten Kontakt mit dem Nachtgewand meiner besseren Ehehälfte. Unser Hilfeschrei weckte den Nachbar, der hilfsbereit herbeieilte und uns – klar er war ja Studienrat – die Belehrung gab: „Apfelsaft hat Zucker – Zucker wandelt sich durch Gärung um in Alkohol – die Gärung erzeugt Gase – wollen Sie die mathematische Formel dazu haben? – die Gase lassen sich nicht einzwängen – sie suchen einen floppigen Ausgang und Abgang, in diesem Falle diesen Boden – was zurückbleibt ist ein herrliches, lobenswertes Getränk, ist reiner Viez, den schon die Römer liebten – wollen Sie die bei Tacitus erwähnte Textstelle hören? – Schade um diesen halben Hektoliter Viez hier auf diesem Boden. So viel Wohlgeschmack und Gesundheit!“ Ähnliches dachte wohl auch meine bessere Hälfte, als sie meinte: „Ethymologisch gesehen ist Viez also von fies abzuleiten oder umgekehrt!“ Wer will es ihr verdenken, als ihre Hand am kommenden Tag nach einem preiswerten Fruchtsaftgetränk im Discounter griff? Aber es stand „Bio“ auf dem Etikett! Alois Mayer, Daun

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