Musikgeschichte(n)

Opa repariert in der Garage Pauls Fahrrad. "Auf, du junger Wandersmann", singt er dabei so laut, dass ihn Paul und Oma im Wohnzimmer hören können. Klingt ziemlich schrecklich. "Warum singt man eigentlich?" fragt Paul. "Das frage ich mich auch", seufzt Oma.

Das hört Opa, der gerade hereinkommt. "Wo man singt, da lass dich nieder, böse Menschen haben keine Lieder", lacht er. Opas Spruch stammt von einem Dichter, der Gottfried Seume heißt und vor 200 Jahren lebte. Darin wird etwas ganz Wichtiges ausgedrückt. Singen ist etwas, das aus dem Herzen kommt, will der Dichter sagen. Menschen, die gefühllos sind, können auch keine Lieder singen. Tatsächlich ist das Gefühl beim Singen etwas sehr Wichtiges. Singen ist nämlich nichts anderes als "Klangsprechen". Das heißt, einer bestimmten Folge von Tönen werden Wörter zugeordnet.

Die Bedeutung der Worte wird durch die Töne regelrecht erklärt. Dazu ist ganz viel Gefühl nötig. Wer zum Beispiel singt: "Leise rieselt der Schnee" muss sich die Stille einer Winterlandschaft vorstellen können, auf die fein der Schnee fällt. Singt man das Lied zu laut oder zu schnell, wird aus dem leise rieselnden Schnee ein Schneesturm. Um mit Gefühl zu singen, muss man ein gutes Gefühlsgedächtnis haben.

Das gibt es tatsächlich. Forscher haben herausgefunden, dass unser Gedächtnis nicht nur Wissen wie Vokabeln, Uhrzeiten, Jahresdaten oder Rechenergebnisse speichert, sondern auch Gefühle - also wie man sich fühlte, als man sich gefreut hat, als man traurig war, gefroren oder geschwitzt hat. An alle diese Gefühle muss sich das Gedächtnis beim Singen erinnern und sie als richtigen Ausdruck durch die Stimme den Wörtern zuordnen, die gesungen werden. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Zum Singen reichen natürlich nicht nur Gefühle.

Singen bedeutet nämlich auch, eine Linie aus Tönen ziehen. Das ist so ähnlich, wie wenn man mit dem Bleistift einen Punkt macht und Punkt für Punkt daran setzt, bis eine Linie entsteht. Die Töne sind die Punkte. Damit das Lied richtig klingt, muss man die Folge der Töne kennen, ihre Höhe und ihren Wert, also wie lange sie dauern. Wie eine Bleistiftlinie können auch Gesangslinien fallen und steigen, sie haben Verzierungen, können Kringel und Schleifen malen. Übrigens gibt es kein Volk, bei dem nicht gesungen wird. In Europa gehören zu den frühen in Noten aufgeschriebenen Gesängen die gregorianischen.

Die Gesänge heißen nach dem Papst Gregor, der vor 1400 Jahren gelebt hat. Sie wurden in den Kirchen und Klöstern gesungen. Es sind gesungene Gebete, die als lange Klanglinien nach oben steigen, sozusagen Himmelsleitern aus Tönen.

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