Die Sache mit der ständigen Erreichbarkeit

Ständige Erreichbarkeit wird als Zeichen für hohes Engagement gewertet. Das glauben viele Mitarbeiter in unterschiedlichen Unternehmen. Doch wie ist es wirklich darum bestellt?

 Martin Wehrle.Foto: dpa

Martin Wehrle.Foto: dpa

Wie es wirklich darum bestellt ist, mag der folgende Dialog verdeutlichen:

"Wenn der Chef mich anruft, stehe ich 30 Sekunden später bei ihm auf der Matte. Er weiß, wie engagiert ich bin."

"Gut, Sie sind schnell zur Stelle. Aber daraus lassen sich auch andere Schlüsse ziehen. Zum Beispiel der, dass Sie nicht viel zu tun haben, womöglich den ganzen Tag auf Kommandos des Chefs warten. So wie ein Hund aufs Pfeifen seines Herrchens."

"Ich bitte Sie! Soll ich meinen Chef etwa warten lassen?"

"Kann es nicht sein, dass Sie mal in einem wichtigen Meeting sitzen? Oder auf Geschäftsreise sind? Oder einen dringenden Vorgang bearbeiten? Oder mit einem wichtigen Kunden sprechen? Leistungsträger sind oft beschäftigt. Bei diesen Gelegenheiten kombiniert der Chef, was ihm sonst leicht entgeht: wie wichtig Sie für die Firma sind."

"Das würde mein Chef wohl kaum verstehen."

"Vielleicht doch. Denn wie halten es Vorgesetzte mit ihrer eigenen Erreichbarkeit? Am laufenden Band betonen sie: voller Terminkalender, großer Reisestress, lange Meetings. Die Signale wirken erzieherisch. Kein Mitarbeiter wagt es, den Chef einfach zu überfallen - man bittet Wochen vorher um eine Audienz."

"Aber ich bin doch kein Chef."

"Dennoch: Seien Sie nicht rund um die Uhr verfügbar, machen Sie sich rarer. Zum Beispiel, indem Sie bei wichtigen Gesprächen oder Aufgaben Telefonate auch mal auf Ihre Mailbox laufen lassen. Die richtige Mischung ist: Sie müssen stark beschäftigt wirken, im Notfall doch erreichbar sein. Kein Dackel, der immer springt - eher ein Wachhund, der im entscheidenden Moment zur Stelle ist."

Unser Kolumnist Martin Wehrle (geboren 1970) gehört zu den erfolgreichsten Karriereberatern in Deutschland. Sein aktuelles Buch: "Bin ich hier der Depp?: Wie Sie dem Arbeitswahn nicht länger zur Verfügung stehen", Mosaik, 14,99 Euro.

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