Der will doch nur quälen

"Tiere' ist mein zweiter Roman und bis heute wohl mein bösester", schreibt Autor Simon Beckett im Vorwort. Ja, das kann man wohl sagen!

Das Böse erscheint in dem 2011 in Deutschland veröffentlichten Roman (Originalausgabe 1995) jedoch in völlig anderer Form, als in Becketts weltweit erfolgreichen Thrillern um den forensischen Anthropologen David Hunter. Diesmal sind es nicht von Maden bedeckte, durch bestialische Rituale entstellte Leichen, die den Leser schockieren. Es ist der erschreckende Blick in die gestörte Psyche eines jungen Mannes, der emotional völlig verwahrlost ist.

Nigel arbeitet im Arbeitsamt am Kopierer. Er wohnt allein im ehemaligen Pub seiner verstorbenen Eltern. Er liest Comics, liebt Pommes und Disney-Filme. Wenn ihn seine hübschen Kolleginnen ansprechen, wird er rot. Und er meidet dunkle Gassen, weil ihm da ein "Irrer" auflauern könnte.

Aber Nigel ist selbst alles andere als normal. Im Keller des Pubs hält er Menschen in vergitterten Abteilen gefangen. Er nennt sie "das Dicke" oder "das Rothaarige", füttert sie mit Hundefutter, schüttet ihnen Wasser über den Kopf, wenn sie nicht spuren.

Es ist dieser Kontrast, der zugleich abstößt und fasziniert. Becketts Sprache ist zwar simpel, es gibt auch keinen ausgefeilten Spannungsbogen. Die Geschichte steuert eher gemächlich dem unvermeidlichen Knall entgegen, wenn Nigels Geheimnis droht, ans Licht zu kommen. Dennoch trifft sie einen ins Mark. Durch die bedrückend stille Art, mit der Beckett Nigel erzählen lässt, wie er seine Opfer etwa zwingt, vor ihm zu Elvis-Songs zu tanzen, um sich ihr "Fressen" zu verdienen. Die Verzweifelten damit gar in den Selbstmord treibt.

Aber nicht nur Nigel spielt mit seinen "Tieren", auch Beckett mit dem Leser. Denn gleich auf der nächsten Seite ertappt man sich dabei, Mitleid zu empfinden für diesen gestörten Wicht. Wenn er von den Kollegen wegen seiner Verklemmtheit verspottet wird. Oder wenn sein Vater ihn auslacht, weil er kein Bier verträgt. Das ist verstörend, und berührt dennoch.

Christa Weber

Simon Beckett, "Tiere", Rowohlt Taschenbuch Verlag, 288 Seiten, 9,99 Euro.

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