Unterm Strich - Die Kulturwoche

Sommerzeit - Festspielzeit. Das Publikum entert Scheunen und Amphitheater, Fabrikhallen und Festspielhäuser, Seebühnen und Steinbrüche, genießt Opern, Konzerte, Schauspiele.

Die Veranstalter zittern dem Wetterbericht entgegen: Strahlt die Sonne, profitieren die Open Airs, prasselt der Regen, jubilieren die Indoor-Events - und umgekehrt. Da die Preise hoch sind, muss um zahlungskräftiges Publikum gekämpft werden. Die fraglos raffinierteste Taktik haben dabei die Bayreuther Festspiele angewendet. Keine einzige Neuinszenierung, künstlerisch so uninteressant wie seit Jahren nicht, die Nachfrage so dünn wie noch nie, nicht mal die Kanzlerin kommt zur Eröffnung und sorgt mit ihrem Dekolleté für ein bisschen Publicity - was macht man da? Man lässt einfach auf der Bühne den Fahrstuhl mit den Sängern steckenbleiben. Die Vorstellung muss unterbrochen werden, und alle haben was zu schreiben. Selbst hartgesottene Feuilletonisten mutieren zu Kriegsreportern und berichten live aus der Materialschlacht um Tannhäusers havarierten Aufzugkäfig. Schon ist man wieder im Gespräch. Es geht auch anders. Zum Beispiel in Bregenz, wo diese Woche neben der spektakulären "Zauberflöte" auf dem See auch eine Uraufführung im Festspielhaus geboten wurde. Heinz Karl Grubers Opernversion von Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald", inszeniert vom Librettisten Michael Sturminger und dirigiert vom Komponisten höchstpersönlich, wurde zum Triumph. Ein Wagnis, das sich gelohnt hat. So wie bei den SalzburgerFestspielen der Versuch, das monströse Werk "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus auf die Bühne zu bringen. Vier Stunden dauert das Anti-Kriegs-Epos, das Kraus als Antwort auf den Ersten Weltkrieg schrieb - dabei wird nicht einmal ein Viertel des Gesamttextes gespielt. Das Publikum ging am Dienstagabend begeistert mit, ebenso wie bei einer weiteren Produktion anlässlich des 100. Weltkrieg-I-Jahrestags: Katie Mitchells "The forbidden zone", am Mittwoch auf der Perner-Insel uraufgeführt, setzt sich mit dem Erfinder des chemischen Kampfgases, Fritz Haber, auseinander. Besonderer Kick: die ausgefeilte Videokunst. Nicht überall endete die Festspielsaison mit Jubel. In Bad Hersfeld schasste die Stadt am Montag, wenige Tage vor der letzten Vorstellung, den Intendanten Holk Freytag fristlos. Dabei gilt er als durchaus erfolgreich, jedenfalls, was die Publikumsresonanz angeht. Beim Geld scheint das anders auszusehen: Der städtische Magistrat wirft Freytag vor, sich den Sparbemühungen zu widersetzen. So behauptet die Stadt, sie müsse für die laufende Saison trotz eines Rekordbudgets von fünf Millionen Euro eine weitere Viertelmillion zuschießen. Ob die Kündigung juristisch Bestand hat, ist offen. In Avignon hat noch niemand den Kopf von Festival-Intendant Olivier Py gefordert. Obwohl auch er zum Finale am Sonntag ein Kassenloch von 300 000 Euro einräumen musste. Aber das lag an den 12 von 50 Vorstellungen, die wegen eines Streiks der freiberuflichen Theatermitarbeiter ausfielen. Sie wehren sich gegen eine Verschlechterung ihrer sozialen Absicherung. Nun droht im nächsten Jahr eine Reduzierung des Festivals. Dieter Lintz

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