Pergamons Panorama, Kluges Stimme und Berlusputins Gehirn

Am Mittwoch zählte man bei der Berliner Pergamon-Panorama- Ausstellung die Köpfe der geneigten Besucher und konnte erfreut feststellen, dass nach gerade mal gut vier Monaten sage und schreibe eine halbe Million Interessenten zur Museumsinsel gepilgert sind.

Für die Schau mit 450 Exponaten rund um die antike Metropole Pergamon sind Rekordzahlen zu erwarten: Sie dauert noch bis Ende September. Anderswo versucht man mit Maßnahmen aus dem klassischen Marketing-Repertoire das junge Publikum für die Hochkultur zu interessieren. Das Koblenzer Kulturbündnis "cool tour" bietet ab sofort nicht nur Sonderpreise und Schnupperangebote für die Klientel zwischen sechs und zwanzig Jahren, sondern auch einen ungewöhnlichen Extrarabatt: Wer via Stempelheft nachweisen kann, dass er sechs Mal Theater, Museum oder Klassikkonzert besucht hat, kann Eintrittskarten für Rock am Ring oder ein Fußball-Bundesligaspiel gewinnen. Wo von Trier aus zurzeit eh so viel Richtung Moselmündung geschaut wird: Da könnte man von den Koblenzern vielleicht was lernen. Von den Berlinern könnte man wiederum lernen, wie sich alte Industriebauten für Kultur nutzbar machen lassen. Im ehemaligen Heizkraftwerk Kreuzberg laufen diese Woche die Schlussproben für die Revolutionsoper "Al gran sole carico d'amore" von Luigi Nono. Eine Tribüne für etwa 1000 Besucher wurde ebenso installiert wie ein Orchestergraben für 100 Musiker. Premiere ist am nächsten Donnerstag, es dirigiert der Neue-Musik-Spezialist Ingo Metzmacher. Während in der Hauptstadt womöglich eine neue Ära beginnt, geht beim Stuttgarter Ballett eine zu Ende: Christian Spuck, Tanztheater-Zauberer, wechselt nach Zürich. Zum Abschied mit E.T.A. Hoffmanns "Das Fräulein von Scuderi" holte der Choreograph vergangenes Wochenende sogar die 74-jährige Tanzlegende Marcia Haydée auf die Bühne zurück, die den jungen Tänzer Spuck vor fast zwanzig Jahren nach Stuttgart gebracht hatte. 2001 war Spuck zum Haus-Choreographen avanciert und hatte sich einen exzellenten Ruf erarbeitet - zuletzt auch als Opern-Regisseur. Einen eher unerfreulichen Ruf hat das Museum Schloss Friedrichshain in Gotha. Nirgendwo kamen in den vergangenen 100 Jahren so viele Gemälde abhanden. Mal plünderte die Rote Armee die Archive, mal räumten Kunsträuber ab - zuletzt 1979 in der ehemaligen DDR. Am Mittwoch stellte das Haus eine aufwendig erarbeitete Verlustliste vor: Danach verschwanden 435 Bilder, darunter Werke von Rubens, Cranach, Holbein, Brueghel oder Caspar David Friedrich. Der Wert: zig Millionen. Die Chancen auf Rückgabe: gleich null. Selbst der DDR-Raub ist seit 2009 verjährt. Wann verjährt aber Majestätsbeleidigung? In Moskau hatte diese Woche ein bitterböses Theaterstück nach Dario Fo Premiere, das unübersehbar auf Wladimir Putin zielt. "BerlusPutin" schildert die Situation, wie sich Silvio Berlusconi und der Kreml-Chef nach einem fiktiven Terror-Anschlag ein Gehirn teilen müssen. Die gute Nachricht: Die Premiere am Dienstag im "teatr.doc" konnte unbelästigt von der Staatsgewalt stattfinden. Wie das nach der Wahl in zwei Wochen aussieht, wird man sehen. Es sind nicht allzu viele Leute, die jemals einen Film von Alexander Kluge gesehen haben. Aber die markante Stimme des Regisseurs kennt jeder, der beim spätabendlichen Zappen versehentlich in einem der Qualitätssender Sat 1, Vox oder RTL auf ein Kulturmagazin oder eine schräge Interview-Sendung mit arg esoterischen Themen gestoßen ist. Der große alte Intellektuelle der deutschen Kinokunst ist am Valentinstag 80 geworden. Dieter Lintz

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort