Schwindelerregende Sprachkunst

Einen Frühlingstag im walisischen Küstenstädtchen Llareggub beschreibt Dylan Thomas in seinem Hörbuch "Unter dem Milchwald". 1954 wurde es zum ersten Mal gesendet - zwei Monate, nachdem Thomas, 39 Jahre alt, gestorben war.

Er hatte 18 Whiskeys getrunken. Ein schwindelerregendes Sprachkunststück hat der Waliser gedichtet, das mit seinen zahllosen Charakteren eine reizvolle Herausforderung für jede Produktionstruppe ist. Der Hörverlag hat nun eine Edition mit drei Inszenierungen herausgebracht: Eine Aufnahme der BBC von 1963 mit Richard Burton als Erzähler; eine des NWDR von 1954 und eine des MDR von 2003, in der sich Harry Rowohlt und Boris Aljinovic meisterhaft den Erzählerpart teilen.

Ein wahres Hörvergnügen ist es, einzelne Passagen hintereinander vergleichend abzuspielen - und sich dann als i-Tüpfelchen das Original dieses "Spiels für Stimmen" in der gelungenen Übersetzung von Erich Fried (Verlag Reclam, 3,60 Euro) dazu zu nehmen, die auch den deutschen Inszenierungen zugrunde liegt. Eine bunte Vielfalt an Stimmen und Klängen brandet einem entgegen, sprachtrunkene Beschreibungen der kleinen Stadt, begonnen in der "mondlosen Nacht (...), sternlos und bibelschwarz", dann der geschäftige Vormittag und der "sonnige, langsam lullende Nachmittag", der "gähnend durch die nickende Stadt" geht.

Es gibt Klatsch und Tratsch, gesprochen mit "rasselnden Zungen der Nachbarn", man begegnet den verschrobenen Einwohnern, zärtlich-zynisch porträtiert. Darunter sind zum Beispiel der pensionierte blinde Schiffskapitän Kapitän Cat, die "billige Stallmagd" Bessy Großkopf, Boyo Nichtsnutz, Ehrwürden Eli Jenkins, Mrs. Dai Brot Eins und Mrs. Dai Brot Zwei ... Man kann gar nicht genug von ihnen bekommen. Aber auch in Llareggub geht der Tag vorbei: "Nun ist die Dämmerung ertrunken, für immer vorüber bis morgen. Mit einem Male ist es Nacht."Ariane Arndt-Jakobs

Dylan Thomas: Unter dem Milchwald / Under Milk Wood; 6 CDs, 278 Minuten; der Hörverlag 2014; 24,99 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort