Als Propagandabroschüre taugt er nicht

Der Armutsbericht ist keine Schönfärberei.

Deutschland geht es zweifellos gut. Noch nie hatten so viele Menschen einen Job, und noch nie nach der deutschen Wiedervereinigung waren so wenige Menschen arbeitslos. Die wirtschaftlichen Erfolge sind beinah schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Aber geht es dabei auch sozial gerecht zu? Mit dieser Frage hat sich die Bundesregierung sehr schwer getan. Monate lang wurde zwischen Union und SPD um Details und Formulierungen im neuen Armuts- und Reichtumsberichts gerungen. Nun liegt das Werk offiziell vor. Und trotz aller Kritik über vermeintlich einseitige Betrachtungen lässt sich festhalten, dass der Bericht insgesamt ein nüchternes und differenziertes Bild über die soziale Lage in Deutschland zeichnet. Der Vorwurf bloßer Schönfärberei ist jedenfalls fehl am Platze.

Nun ist der aktuelle Befund schon deshalb ein besonderer, weil er genau in die Zeit des anschwellenden Bundestagswahlkampfs fällt. Und er bietet ja auch Wahlkampfmunition für jede politische Couleur. Wenn in dem Bericht zum Beispiel festgestellt wird, dass die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft über mehr als die Hälfte der gesamten Vermögen verfügen, aber die untere Hälfte nur über ein Prozent, dann ist das sicher Wasser auf die Mühlen linker Umverteilungspolitiker. Wenn es aber an anderer Stelle heißt, dass die Einkommensungleichheit seit 2005 nicht mehr gestiegen ist, werden sich jene bestätigt fühlen, die keinerlei politischen Handlungsbedarf sehen. Niemand sollte versuchen, den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht als Propagandabroschüre zu missbrauchen. Allerdings lassen sich aus den vielen Daten und Fakten durchaus praktikable Schlüsse ableiten.

Eine künftige Bundesregierung muss hier keineswegs bei Null anfangen. Erinnert sei nur an die Einführung des Mindestlohns, der für Millionen Geringverdiener spürbare Verbesserungen gebracht hat. Dass die unteren 40 Prozent der Beschäftigten heute trotzdem weniger verdienen als noch vor 20 Jahren, ist zweifellos auch Folge einer rückläufigen Tarifbindung. Hier hat Arbeitsministerin Andrea Nahles versucht gegenzusteuern, indem sie per Gesetz die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichterte. Ein nächster Schritt muss die Eindämmung befristeter Jobs sein. Denn Planungssicherheit für die Betroffenen bedeutet letztlich auch mehr soziale Sicherheit. Die hängt übrigens auch in immer stärkerem Maße von einer guten Qualifizierung ab. Also muss der Staat noch viel stärker in Schule, Forschung und Kinderbetreuung investieren. Dort ist das Geld allemal besser angelegt, als Menschen mit deutlich mehr Hartz IV und anderen Sozialtransfers ruhigzustellen.

Der heutigen Armutsgeneration in Deutschland mag das alles nur noch wenig helfen. Aber künftige Armutsgenerationen können damit auf jeden Fall dezimiert werden.
nachrichten.red@volksfreund.de

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