Auf dem Holzweg

Die Deutschen sind weit davon entfernt, ein streikwütiges Volk zu sein. Im internationalen Vergleich nehmen sich die Fehlzeiten durch Arbeitskämpfe sehr bescheiden aus.

Das liegt in erster Linie an einer verantwortungsvollen Tarifpolitik der allermeisten Gewerkschaften. Erinnert sei nur an die globale Wirtschafts- und Finanzkrise vor ein paar Jahren, als sich Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter auf Mittel und Wege verständigten, um Massenentlassungen zu vermeiden. Und das sehr erfolgreich, wie man heute weiß.
In jüngster Zeit hat die Tarifpartnerschaft allerdings Risse bekommen. Und zwar ebenfalls in erster Linie durch Gewerkschaften, kurioserweise besonders kleine, deren Kraft jedoch im Ernstfall riesengroß ist. Bei der Lufthansa kann die Pilotenvereinigung Cockpit praktisch ein ganzes Unternehmen lahmlegen. Ähnlich ist es bei der Bahn, wo sich die beiden Gewerkschaften GDL und EVG einen harten Konkurrenzkampf um mehr Macht und Mitglieder liefern. Was also tun?
Die Bundesregierung sucht dem Phänomen mit einem Gesetz entgegenzuwirken. Wo zwei Gewerkschaften für ein und dieselbe Arbeitnehmergruppe verhandeln wollen, soll künftig der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft im Betrieb gelten. Keine Gewerkschaftskonkurrenz mit Hilfe von Streiks.
Was zunächst plausibel klingt, ist ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen. Das gibt sogar Arbeitsministerin Nahles indirekt zu, indem sie auf die engen verfassungsrechtlichen Spielräume verweist. Zwar wird das Streikrecht in ihrer Vorlage nicht ausdrücklich erwähnt. Doch wenn eine Gewerkschaft keine eigenen Tarifforderungen durchsetzen kann, macht auch ein Streikaufruf keinen Sinn. So wird das Recht zum Arbeitskampf am Ende trotzdem untergraben.
Im günstigsten Fall kann das geplante Gesetz ein Appell an die gewerkschaftliche Vernunft sein, sich auf Tarifgemeinschaften zu verständigen, wie sie beispielsweise im öffentlichen Dienst gängige Praxis sind. Geschieht das nicht, siehe Bahn-Konflikt, droht das geplante Gesetz die Situation aber sogar noch zu verschärfen. Kleinere Gewerkschaften werden nun jedenfalls alles daran setzen, mit markigen Forderungen ihre Mitgliedschaft zu erweitern. Damit wäre das glatte Gegenteil erreicht.
Es spricht also einiges dafür, dass die Regierung mit ihrer Vorlage auf dem Holzweg ist. Doch ist sie deshalb machtlos? Nein. Anstatt das Streikrecht durch versteckte Tricks aushebeln zu wollen, sollte sich Schwarz-Rot auf andere Möglichkeiten konzentrieren, schädliche Streiks abzumildern.
Arbeitskämpfe, gerade in gesellschaftlichen Schlüsselsektoren, bedürfen zumindest einer längeren Ankündigung. Das kann man gesetzlich vorschreiben. Denkbar sind auch staatliche Schlichter. Bis zur parlamentarischen Verabschiedung eines Gesetzes ist noch Zeit, darüber ernsthaft nachzudenken.
nachrichten.red@volksfreund.de

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